„Willkommen an Bord“„Wir brauchen eine neue Generation junger Menschen, die kritisch, innovativ und selbstreflektiert denken“Prof. Dr. Aaron Butts verstärkt die Geisteswissenschaften
12. Oktober 2022, von Butts/Red.
Foto: UHH/Esfandiari
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal Prof. Dr. Aaron Butts.
Prof. Dr. Aaron Butts ist von der Catholic University of America (Washington, D.C.) gekommen und seit dem 1. September 2022 an der Fakultät für Geisteswissenschaften als Professor für „Semitistik, insbesondere Äthiopistik“ tätig. 2022 wurde er vom Europäischen Forschungsrat mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet und erhält knapp zwei Millionen Euro für seine Forschung. An der Universität Hamburg wird er eng mit dem Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ zusammenarbeiten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Meine Forschung befasst sich hauptsächlich mit den semitischen Sprachen der Spätantike und des Mittelalters, insbesondere mit dem Altäthiopischen und dem Syrischen. Neben diesen Sprachen interessiere ich mich auch für die Texte, die diese Sprachen überliefern, sowie für die Gemeinschaften, die diese Texte geschrieben und kopiert haben. Darüber hinaus untersuche ich den historischen Kontext der christlichen Gemeinschaften des Nahen Ostens, einschließlich ihrer Interaktionen miteinander sowie mit Juden und Muslimen.
Und so erkläre ich meiner Familie, worum es da geht:
Der große Fokus meiner Arbeit liegt auf Texten, Manuskripten und Inschriften, die in altsemitischen Sprachen geschrieben sind. Manche sind wahrscheinlich mit modernen semitischen Sprachen wie Arabisch oder Hebräisch vertraut und vielleicht sogar mit dem im heutigen Äthiopien gesprochenen Amharisch, aber ich arbeite hauptsächlich mit antiken semitischen Sprachen.
Unter den antiken semitischen Sprachen habe ich mich vor allem auf zwei spezialisiert. Die eine ist Altäthiopisch: Sie ist eine alte Sprache, die in der Region des heutigen Eritrea und Nordäthiopiens geschrieben wurde. Altäthiopisch ist erstmals in Inschriften aus den ersten Jahrhunderten nach Christus bezeugt und entwickelte sich schließlich zur literarischen und religiösen Sprache des äthiopischen und eritreischen Christentums. Die andere antike semitische Sprache, auf die ich mich spezialisiere, ist Aramäisch. Aramäisch ist vielleicht am besten als die Sprache bekannt, die Jesus und andere Juden des ersten Jahrhunderts sprachen, aber die Geschichte des Aramäischen reicht tausend Jahre vor Jesus zurück und setzt sich bis in die Gegenwart fort, wobei es in jeder Zeit in vielen verschiedenen Dialekten präsent war. Ich konzentriere mich auf einen der aramäischen Dialekte, der Altsyrisch oder einfach Syrisch genannt wird.
Sowohl Äthiopisch als auch Syrisch sind klassische Literatursprachen der christlichen Gemeinschaften. Ich arbeite an den Manuskripten und Inschriften dieser Gemeinschaften und interessiere mich besonders für ihre Geschichte von den ersten Jahrhunderten nach Christus bis zum Mittelalter.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Mit meinem Umzug in die Stadt Hamburg und an die Universität Hamburg eröffnen sich mir viele neue Möglichkeiten, sowohl persönlich als auch beruflich. Ich habe mich schnell in die Stadt Hamburg verliebt, die ich als eine lebendige, internationale Stadt empfinde, die ihren Bewohnerinnen und Bewohnern so viel zu bieten hat: einen ruhigen Spaziergang an der Alster, eine spektakuläre Aufführung in der Elbphilharmonie, einen Nachmittag bei Planten un Blomen, fabelhafte Museen und scheinbar endlose Cafés und Restaurants ... Ich schätze mich glücklich, in Hamburg zu leben.
Zudem gehört die Universität Hamburg zu den besten Hochschulen in Deutschland und passt besonders gut zu meinem Profil. Das Hiob Ludolf Zentrum an der Uni Hamburg ist weltweit führend auf dem Gebiet der Äthiopistik und ich freue mich sehr darauf, zu seinem hervorragenden Lehr- und Forschungsprogramm beizutragen. Darüber hinaus ist die Universität Hamburg bekannt für ihren Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“. Er ist einer der Hauptanziehungspunkte, die mich an die Uni gelockt haben, und ich freue mich darauf, mit den Kolleginnen und Kollegen im Cluster zusammenzuarbeiten, die an so vielfältigen Themen arbeiten – von Palimpsesten bis zu Inschriften, von Graffiti bis zu Manuskripten.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
An der Universität Hamburg wird mein Projekt „BeInf – Beyond Influence: The Connected Histories of Ethiopic and Syriac Christianity“ starten, das durch einen ERC Consolidator Grant gefördert wird. In unserer Arbeit werden wir den konzeptionellen Rahmen der bisherigen Forschung über Bord werfen und stattdessen neue Denkansätze für die Verbindungen, Kontakte und den Austausch zwischen dem äthiopischen und dem syrischen Christentum entwickeln.
BeInf verfolgt dabei einen multidisziplinären Ansatz, der Methoden zusammenbringt, die traditionell nicht miteinander verbunden waren: Kunstgeschichte, Linguistik, Manuskriptstudien, Philologie, Textstudien und Geschichte. Auf diese Weise ist mein BeInf-Projekt in der Lage, sowohl inhaltlich als auch konzeptionell einen bedeutenden und dauerhaften Beitrag zur Äthiopistik zu leisten und gleichzeitig als Modell für andere geisteswissenschaftliche Projekte zu dienen, die sich in einem multidisziplinären Ansatz mit „Connected Histories” in all ihren Nuancen, ihrer Komplexität und ihrer Textur befassen.
Zudem möchte ich die Stärken der UHH im Bereich der Äthiopistik am Hiob-Ludolf-Zentrum sowie in der Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik, insbesondere der altäthiopischen Sprache, Literatur und Manuskripte, weiter ausbauen. Darüber hinaus möchte ich neue Schwerpunkte in den Themenbereichen „Semitistik“ und „Christlicher Orient“ aufbauen. Mein besonderes Interesse gilt der Entwicklung der Syristik und der christlichen Arabistik, um die semitischen Sprachen der Spätantike und die verschiedenen Traditionen des christlichen Orients auf eine breitere Basis zu stellen. Das wird Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus der Judaistik und der Islamwissenschaft bieten.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Zu Beginn meiner Lehrveranstaltungen betone ich oft, dass es mein vorrangiges Ziel ist, den Studierenden beizubringen, wie sie Texte, aber auch Kunst und Architektur, sorgfältig und mit methodischer, wenn nicht theoretischer Raffinesse lesen können. Wenn sie etwas über verschiedene Teile der Welt lernen wollen, vom Nahen Osten bis zum Horn von Afrika, dann werden meine Kurse für sie von Interesse sein. Aber auch wenn sie sich nicht für diese speziellen Regionen interessieren – oder zumindest noch nicht –, sollten sie wissen, dass meine Kurse darauf abzielen, eine der wichtigsten Fähigkeiten im Leben zu vermitteln: wie man kritisch, innovativ und selbstreflektiert denkt.
In meinen Kursen werden die Studierenden ermutigt – ja sogar aufgefordert – ihre eigenen Gedanken und Perspektiven zu entwickeln und diese in ihren eigenen Worten auszudrücken. Die akademische Welt – und die Gesellschaft im weiteren Sinne – braucht dringend neue Ideen, und durch meinen Unterricht möchte ich die Studierenden dazu befähigen kann, sich an diesen Diskussionen zu beteiligen.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Ich werde weiterhin mit meinen vielen Kolleginnen und Kollegen in Nordamerika zusammenarbeiten. Ich freue mich sehr darauf, diese Beziehungen jetzt, wo ich an der Universität Hamburg tätig bin, auf neue Weise zu nutzen. Darüber hinaus freue ich mich auf neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in Europa, die durch die räumliche Nähe erleichtert werden wird.
Ich habe zwar schon zahlreiche Verbindungen zu Forschenden in ganz Europa geknüpft, aber meine Zusammenarbeit mit europäischen Kolleginnen und Kollegen wurde durch die räumliche Entfernung doch erschwert. Jetzt, wo ich in Deutschland lebe, sind die Voraussetzungen ganz anders und ich sehe in jeder Richtung spannende neue Möglichkeiten. Zudem freue ich mich darauf, die Netzwerke und Verbindungen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Nahen Osten und in Afrika zu stärken. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sie – zusammen mit den Gemeinschaften, die sie vertreten – nicht nur Teil des Gesprächs in meinem Fachgebiet sind, sondern dass sie im Mittelpunkt stehen.
Mein BeInf-Projekt wird in den kommenden fünf Jahren auch zwei Postdocs und zwei Senior Research Fellows aus dem Ausland an die Universität Hamburg bringen sowie mehrere große internationale Konferenzen ausrichten, an denen Dutzende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, Europa und dem Ausland, insbesondere Nordamerika und Äthiopien, teilnehmen werden.
Zusätzlich zu BeInf möchte ich ein „Semitistisches Forschungskolloquium“ ins Leben rufen, das während des gesamten akademischen Jahres regelmäßig Vorträge und Seminare abhalten wird. Diese werden in einem hybriden Format stattfinden, das die Gemeinschaft in diesem neuen Forschungsbereich fördern und gleichzeitig unsere neue Ausrichtung in der breiteren akademischen Gemeinschaft bekannt macht. Die Vortragenden werden externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sein, die auf diesem Gebiet tätig sind und an die Uni Hamburg kommen, um ihr Fachwissen und ihren Enthusiasmus zu teilen.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Weil sie dazu anregt, neue Denkansätze für alte Probleme zu entwickeln. Man braucht nur die Titelseite der Zeitung zu lesen, um zu wissen, dass die Gesellschaft mit zahllosen Problemen konfrontiert ist, z. B. mit der Covid-Pandemie, mit Kriegen oder dem Klimawandel, die alle durch unser Versagen bei der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit noch verschärft werden. Wir sind eine Gesellschaft, die mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert ist.
Meine Forschung bringt keine neuen Impfstoffe hervor oder entwickelt neue erneuerbare Energiequellen. Sie lehrt nicht einmal Diplomatie oder Geopolitik. Wir brauchen zweifelsohne mehr Forschung und Lehre in diesen und vielen anderen Bereichen. Mir geht es jedoch um einen grundlegenderen Gedanken: Wir brauchen eine neue Generation junger Menschen, die kritisch, innovativ und selbstreflektiert denken können, und meine Forschung und Lehre zielen im Wesentlichen darauf ab, diese Fähigkeit zu entwickeln.
Konkret befasst sich meine Forschung mit Fragen der Perspektivenvielfalt, des Wettbewerbs und der Ko-Existenz zwischen Gruppen, mit religiösen Unterschieden und Spannungen sowie ganz allgemein mit der Frage, wie man historische Entwicklungen und Veränderungen untersuchen und verstehen kann. Mein besonderes Interesse gilt den Verbindungen, Kontakten, der Zirkulation, der Integration und dem Austausch, die das menschliche Streben in Vergangenheit und Gegenwart kennzeichnen.