„Willkommen an Bord“„Ich mag es, Mathematik in alltäglichen Dingen zu entdecken und zu erforschen“Prof. Dr. Nils Buchholtz verstärkt die Erziehungswissenschaft
5. April 2022, von Buchholtz /Red.
Foto: Fiona/PicturePeople
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Nils Buchholtz.
Prof. Dr. Nils Buchholtz kommt von der Universität zu Köln nach Hamburg und tritt ab April eine Professur für die Didaktik der Mathematik (Sekundarstufe) an der Fakultät für Erziehungswissenschaft an.
Mein Forschungsgebiet in wenigen Sätzen:
Mich interessiert vor allem die Frage, welches Wissen, welche Überzeugungen und welche Fertigkeiten Lehramtsstudierende und angehende Mathematiklehrkräfte in der Ausbildung und den ersten Berufsjahren erwerben müssen, um angemessen für die Berufspraxis vorbereitet zu sein, die heute durch eine immer stärker ausgeprägte Diversität der Schülerinnen und Schüler oder den geforderten Einsatz digitaler Medien geprägt ist.
Auch der internationale Vergleich des Mathematikunterrichts war und ist immer wieder Ausgangspunkt für meine Forschungen. So beforsche ich in dem internationalen Drittmittelprojekt „MathMot“ die Unterrichtsqualität im Mathematikunterricht und Bedingungen für die Steigerung der Motivation zum Lernen von Mathematik in sechs Ländern (Norwegen, Schweden, Finnland, Estland, Portugal, Serbien).
Zudem forsche ich seit vielen Jahren zum Thema Outdoor-Mathematik und habe einige mathematische Spaziergänge in Hamburg entwickelt. Hierbei arbeiten die Schülerinnen und Schüler wie bei einer Rallye an verschiedenen Stationen im städtischen Raum und lösen dort mathematische Probleme, bei denen sie Größen schätzen, mit Werkzeugen ausmessen und sinnvoll berechnen müssen – mathematische Tätigkeiten, die im Klassenraum oft zu kurz kommen.
Und so erkläre ich Freunden und Familie, worum es da geht:
Viele Menschen in meinem Umkreis erinnern sich nicht gern an ihren Mathematikunterricht. Mathematik ist ein polarisierendes Fach. Da fallen dann Sätze wie: „Als wir angefangen haben, mit Buchstaben zu rechnen, hörte es auf bei mir.“ Die Komplexität des Faches kann Schwierigkeiten und Frustration erzeugen.
Oft sehen wir im Mathematikunterricht wegen der hohen Stoffdichte zusätzlich stark lehrergesteuerte Unterrichtsmuster. Hier setzt die mathematikdidaktische Forschung an. Sie ist eine sehr anwendungsorientierte Forschung, die das Ziel hat, bessere Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, um Schülerinnen und Schülern beim Lernen von Mathematik besser unterstützen zu können.
Um einmal ein Beispiel zu geben, sollte eine Mathematiklehrkraft in Unterrichtssituationen typische Schülerfehlvorstellungen beim Rechnen mit Variablen, also den Buchstaben, erkennen können und den Aufbau von tragfähigen Grundvorstellungen zu Variablen auch bereits bei ihrer Unterrichtsplanung berücksichtigen. Was kann man sich denn beispielsweise unter dem „x“ in einem Ausdruck wie „3x+4 = 1“ vorstellen? Darauf sollte eine Lehrkraft eine Antwort geben können, und ich erforsche, wie sie das im Lehramtsstudium am besten lernen kann.
Diese Methoden wende ich bevorzugt an:
Ich verfüge über ein breites Repertoire quantitativer Forschungsmethoden, mit dem ich in Studien operiere. Allerdings bin ich bereits früh zu der Erkenntnis gelangt, dass Interpretationen von Ergebnissen rein quantitativer Analysen oft nicht hinreichend sind, um Aussagen über die Wirkung verschiedener untersuchter Aspekte oder neuer Studienstrukturen des Lehramtsstudiums zu treffen. Daher arbeite ich auch qualitativ bzw. in Mixed-Methods-Forschungsdesigns. In dem aktuellen Forschungsprojekt „Math&TheCity“ etwa werden mit Video aufgenommene mathematische Stadtspaziergänge qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Ich habe einige Zeit an der Universität Oslo verbracht. Da Norwegen ein Land ist, dem in internationalen Vergleichen eine sehr ausgeprägte Bildungsgerechtigkeit bescheinigt wird, richte ich seit 2017 mein Forschungsinteresse verstärkt auf dieses Thema. Die Gruppe der Lernenden, auf die unsere Studierenden später in der Praxis in den Schulen trifft, sind in einer Großstadt wie Hamburg extrem diversifiziert in vielerlei Hinsicht. Ich möchte die Studierenden bereits im Studium für den Umgang mit vulnerablen Schülergruppen sensibilisieren. Dazu entwickle ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen in Forschungsprojekten entsprechende Lerneinheiten und Fortbildungen zum sprachsensiblen und inklusiven Mathematikunterricht.
Eine zweite riesige Herausforderung für den Mathematikunterricht stellt der Umgang mit der fortlaufenden Digitalisierung dar. Die Pandemie hat hier gute wie schlechte Entwicklungen hervorgebracht. Wichtig ist mir, dass Lehrkräfte bereits im Studium begreifen, dass der Einsatz von digitaler Technologie im Unterricht allein keine lernförderliche Wirkung zeigt. Erst wenn der Einsatz digitaler Medien und Werkzeuge dazu beiträgt, fachliche Lernprozesse zu unterstützen, können wir von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren. Wir stehen erst am Anfang zu begreifen, was Digitalisierung eigentlich bedeutet. Ihren fachlichen Mehrwert zu erkennen und mit den Studierenden zum Beispiel im Kontext des außerschulischen Lernens zu thematisieren, ist mir ein Anliegen.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Ich möchte den Studierenden gerne ein anwendungsorientiertes Bild von Mathematik vermitteln, damit sie dieses Bild auch in ihrer späteren Berufspraxis an die Schülerinnen und Schüler übertragen. Mathematik spielt doch in so vielen Dingen im Leben eine Rolle, wir sehen sie oft nur nicht; wir nennen es das Relevanzparadoxon der Mathematik. Ich hoffe, die Studierenden teilen wie ich die Lust, Mathematik in alltäglichen Dingen zu entdecken und zu erforschen. Dass das nicht immer einfach ist, merkt man aber schnell, denn Mathematik bedeutet auch, dass man manchmal lange über der Lösung eines Problems brütet. Auch das muss Schülerinnen und Schülern in dieser schnelllebigen Zeit aber vermittelt werden.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg (in Bezug auf Transfer, Lehre o. Ä.):
Mit den mathematischen Stadtspaziergängen haben wir schon erste Transferarbeit geleistet. Hamburger Lehrkräfte können sich mit uns in Verbindung setzen und wir stellen die Materialien momentan alle digital zur Verfügung. Langfristig soll dieses Projekt als festes Angebot für einen außerschulischen Lernort für alle Hamburger Mathematiklehrerinnen und -lehrer ausgebaut werden und durch den Einbezug von Studierenden auch personell betreut werden.
Blick in die weite Welt – mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Ich habe das Glück auf ein großes internationales Netzwerk an Forscherinnen und Forschern zurückgreifen zu können, mit denen sich Kooperationen auf verschiedener Ebene ergeben. Ich arbeite nach wie vor aber sehr eng mit den Kolleginnen und Kollegen in Oslo zusammen, so dass sich langfristig hoffentlich auch etwas wie ein Studierendenaustausch realisieren lässt.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Familie und Heimat.