„Willkommen an Bord“„Diskurse über Mobilität analysieren und verstehen“Dr. Sandra Dinter verstärkt die Geisteswissenschaften
4. Januar 2022, von Dinter/Red.
Foto: Privat
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor.
Dr. Sandra Dinter kommt zum Sommersemester 2022 von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und wird an der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Juniorprofessur für „Britische Literatur und Kultur“ antreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
In meiner derzeitigen Forschung konzentriere ich mich auf das Zusammenwirken von Raum, Mobilität und Geschlecht sowie ihren Repräsentationen in der britischen Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts. Mein Fokus liegt auf der Figur der Fußgängerin, die in bekannten Romanen wie Jane Austens „Pride and Prejudice“ oder Charlotte Brontës „Jane Eyre“ präsent ist, und der Frage, wie ihre Bewegungen zu Fuß als Alltagspraxis mit kultureller Bedeutung belegt wurden, insbesondere vor dem Hintergrund der Industrialisierung. Mein Ziel ist es zu zeigen, dass Darstellungen des Gehens in der Literatur keineswegs nur beiläufig auftauchten, sondern als Kristallisationspunkt für die Ausverhandlung diverser gesellschaftlicher Themen fungierten.
Und so erkläre ich meinen Freunden und meiner Familie, worum es da geht:
Oft denken wir, dass das Gehen die ursprünglichste Form der Fortbewegung sei und wir uns rein intuitiv bewegen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt aber ein anderes Bild: Vor dem 18. Jahrhundert existierte der Spaziergang, den wir heute als selbstverständliche Freizeitbeschäftigung kennen, in Westeuropa noch gar nicht, sondern entwickelte sich erst durch das Zusammenspiel verschiedener kultureller, historischer und technologischer Prozesse. Das zeigt, dass unsere Fortbewegung zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Zug oder dem Flugzeug kulturell geprägt ist und sich auch im Zusammenspiel mit Faktoren wie Ethnizität, Gender, Alter und sozialer Schicht ausdifferenziert. Aktuell dient mir die Corona-Pandemie als weiteres gutes Beispiel: Der Spaziergang hatte 2020 nicht nur eine Renaissance, sondern gerade im ersten Lockdown gingen wir im Alltag anders – immer mit Bedacht darauf, Abstand zu anderen Fußgängerinnen und Fußgängern zu halten.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Ich freue mich auf ein lebendiges, vielfältiges und anspruchsvolles Forschungs- und Lehrumfeld an der Universität Hamburg sowie eine produktive Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen und Studierenden an der Fakultät für Geisteswissenschaften sowie dem Institut für Anglistik und Amerikanistik. Außerdem hoffe ich, den ein oder anderen Feierabend an der Elbe ausklingen lassen zu können und somit die vielen Vorzüge, die die Stadt Hamburg bietet, genießen zu können.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
Mit meiner Forschung werde ich die Mobility Studies noch stärker in der Fakultät für Geisteswissenschaften verankern. Für meine Studierenden möchte ich ein Seminar zu der berühmten britischen Schriftstellerin und Feministin Mary Wollstonecraft anbieten, die 1795 nach einem Suizidversuch in Hamburg ankam, in Altona übernachtete und schließlich über Itzehoe und Schleswig nach Skandinavien reiste. Viele Etappen dieser Reise legte sie zu Fuß zurück und hielt ihre Impressionen in einem Reisebericht fest. Diesen Bericht möchte ich mit meinen Studierenden nicht nur im klassischen literaturwissenschaftlichen Sinne ‚im Sitzen‘ diskutieren, sondern mich mit ihnen leibhaftig auf die Spuren von Wollstonecraft in Norddeutschland begeben. Bewegung eröffnet neue Denk- und Interpretationsansätze!
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Für mich gibt es nichts Schöneres als den fachlichen und persönlichen Austausch mit Studierenden und diesen besonderen Moment, wenn es in einem Seminar zu einem ‚Aha-Moment‘ kommt. Studierende können in meinen Lehrveranstaltungen sowohl klassische ‚close readings‘ erwarten, in denen wir gemeinsam bis ins kleinste Detail untersuchen, wie literarische Texte funktionieren und unsere Kultur mitgestalten, als auch Diskussionen über aktuelle popkulturelle und gesellschaftliche Phänomene. Die große Stärke der Geisteswissenschaften ist es, dominante Strukturen aus neuen Blickwinkeln zu untersuchen und zu hinterfragen. Genau das möchte ich in meiner Lehre anhand der britischen Literatur und Kultur vermitteln.
Blick in die weite Welt: Mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen
Durch meine vergangenen Auslandsaufenthalte und aktuellen Projekte habe ich bereits viele Forschungskontakte in Großbritannien und Nordamerika aufgebaut, z. B. in Reading, Oxford, Edinburgh oder Toronto, die ich als Juniorprofessorin in Hamburg ausbauen werde. Insbesondere der Brexit stellt die deutsche Anglistik vor eine große kulturelle und hochschulpolitische Herausforderung.
Seit der Corona-Pandemie habe ich meine angloamerikanischen Kolleginnen und Kollegen nur noch online gesehen. Auch die Begegnungen zwischen Studierenden sind seltener geworden und das Erasmus-Programm mit Großbritannien wird bald auslaufen. Daher ist es mir ein besonderes Anliegen, weiterhin Kooperationen mit britischen Kolleginnen und Kollegen zu initiieren und sie nach Hamburg einzuladen – sei es für Gastvorträge, Konferenzen oder gemeinsame Forschungsprojekte.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Die Frage, wie Mobilität vor dem Hintergrund der Klimakrise global und national in der Zukunft nachhaltig gestaltet werden kann, ist derzeit eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Meine Forschung trägt eine Metaperspektive zu dieser Diskussion bei. Ich beschäftige mich mit Diskursen über Mobilität, also wie gesellschaftlich heute und in der Vergangenheit über bestimmte Fortbewegungsmittel gesprochen wird. Das Auto ist beispielsweise viel mehr als ein reines Transportmittel: In der westlichen Kultur ist es Symbol für Freiheit, Modernität und Individualismus. Diese kulturellen Konstruktionen zu analysieren und zu verstehen ist ein erster wichtiger Schritt, um einen ökologischen Wandel auf den Weg zu bringen.