DAAD-Preisträgerin Natali Antidze-Knaus„Literatur macht die Menschen besser“
2. Dezember 2021, von Niklas Keller
Foto: Privat
Der DAAD-Preis geht in diesem Jahr an Natali Antidze-Knaus, die Osteuropastudien im Master am Institut für Slavistik studiert. Die Auszeichnung wird an internationale Studierende vergeben, die sich mit akademischen Leistungen und gesellschaftlichem oder interkulturellem Engagement hervortun. Die Studentin erzählt im Interview, woher ihre Begeisterung für Literatur und interkulturelle Beteiligung stammt.
Wie sind Sie von Georgien an die Universität Hamburg gekommen?
Ich habe bereits als Teenager Texte von Goethe und Schiller gelesen und mich später dazu entschlossen, ein Bachelorstudium der Germanistik an der Universität Tiflis aufzunehmen. Nach zwei Jahren wollte ich meine Deutschkenntnisse verbessern und bin dafür als Au-pair-Mädchen nach Hamburg gezogen. An die Universität Hamburg wollte ich unbedingt, weil sie wie die Uni in Tiflis viele Studierende hat, vielfältig und international ist. Hier habe ich meinen Bachelor mit Germanistik im Hauptfach und Osteuropastudien im Nebenfach begonnen und mich später auf das Nebenfach konzentriert.
Warum Osteuropastudien?
Germanistik studieren wirklich viele Menschen und ich habe mich oft verloren gefühlt. Die Osteuropastudien sind relativ klein, jeder kennt jeden und man kann sich untereinander viel besser unterstützen. Wenn andere Studierende, so wie ich, aus Ländern außerhalb der Europäischen Union kommen, gebe ich Tipps und helfe mit meiner eigenen Erfahrung weiter. Schließlich bin ich den gleichen Weg gegangen wie sie.
Sie engagieren sich unter anderem im Projekt „Go East! Go West!" des Instituts für Slavistik. Was machen Sie dort genau?
Geisteswissenschaftliche Studiengänge sind in der Regel sehr theoretisch. In diesem Projekt, das seit 2015 stattfindet und von der Claussen-Simon-Stiftung finanziert wird, organisiere ich mit Kommilitoninnen und Kommilitonen Projekte, um uns auf den Beruf nach dem Studium vorzubereiten und uns mit dem Kernthema Transnationalität auseinanderzusetzen. Wir haben beispielsweise Menschen eingeladen, die in Deutschland Osteuropastudien studiert haben und mit ihnen über ihre Berufswahl gesprochen. Es finden auch Lesungen von osteuropäischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern statt und es werde Fahrten zur Buchmesse arrangiert.
Sie haben im Rahmen des Projektes auch eine szenische Lesung zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion gestaltet, in der sie selber Textpassagen vorgetragen haben. Wie sah der Entstehungsprozess aus?
Im letzten Semester erzählte meine Professorin Dr. Anja Tippner Kommilitoninnen und mir, dass sie gern eine Lesung zu diesem Thema umsetzen würde. Ich habe etwas überlegen müssen, weil ich weder russische noch deutsche Muttersprachlerin bin. Sie hat mir jedoch Mut zugesprochen und konnte mich letztendlich überzeugen. Wir haben im Anschluss das Buch „Das Echolot. Barbarossa '41. Ein kollektives Tagebuch“ von Walter Kempowski und „Die letzten Zeugen“ von Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch gelesen. Von April bis Juni suchte ich mit anderen Studierenden interessante Stellen aus den Werken und kürzte für die Lesung irrelevante Passagen heraus. Dabei mussten wir viel Fingerspitzengefühl beweisen, um nichts Wichtiges wegzulassen. Eine ehemalige Kommilitonin, die Kenntnisse vom Theater hat, half uns bei der Ausarbeitung der Dramaturgie.
Vieles davon wurde während der Pandemie umgesetzt. Hat diese Ausnahmesituation Sie auch eingeschränkt?
Eigentlich ist im Rahmen meines Masterstudiengangs ein Auslandssemester vorgesehen, das ich sehr gern in Russland verbracht hätte. Die Pandemie hat mir und vielen anderen diese Möglichkeit verwehrt, sodass ich mir die 30 Credit Points in dieser Zeit über andere Kurse erarbeiten musste. Ergänzend habe ich im Sommer an der Universität Warschau meine Polnischkenntnisse vertieft – leider nur über Zoom. Bei der Orientierungswoche in diesem Semester habe ich als Tutorin geholfen, die Erstsemester in die Osteuropastudien einzuführen. Auch hier hatten wir lange Zeit keine Planungssicherheit und mussten in Präsenz und im digitalen Raum planen.
Woher kommt ihre Motivation, sich kulturwissenschaftlich einzubringen?
Ich habe selber viel geschrieben, früher leider mehr als heute. Literatur hat schon immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt. In Georgien habe ich als Kind Kurzgeschichten verfasst, die auch in georgischen Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden. Das ist aber mittlerweile zwölf Jahre her. Häufig ging es darum, mit der Sprache Augenblicke einzufangen, die andere Menschen übersehen. In Georgien war ich Teil eines literarischen Labors an einer Art Volkshochschule, in dem man sich gegenseitig vorgelesen hat, was man unter der Woche geschrieben hat.
Wegen meiner Leidenschaft für die Literatur habe ich mich sehr gefreut, als uns Frau Tippner auf die Lesung angesprochen hat. Der Prozess war äußerst aufregend, beim Lesen der Kriegsgeschichten hatte ich Gänsehaut und Tränen in den Augen. Ich finde, Literatur macht die Menschen besser.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich weiß es noch nicht. Nach meinem Masterstudium möchte ich gern einen zweisemestrigen Master in Peace and Security Studies am Institut für Friedensforschung an der Uni Hamburg anschließen. Über die Pläne im Anschluss mache ich mir noch Gedanken. Die Arbeit bei „Go East! Go West!“ wird mir sicherlich dabei helfen.
DAAD-Preis
Der mit 1.000 Euro dotierte und aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanzierte DAAD-Preis zeichnet jedes Jahr herausragende internationale Studierende bzw. Promovierende aus, die sich sowohl durch besondere akademische Leistungen als auch bemerkenswertes gesellschaftliches oder interkulturelles Engagement hervorgetan haben. Mit dem Preis soll einer breiteren Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, welche Bereicherung internationale Studierende und Promovierende für die Hochschulgemeinschaft darstellen.
Der diesjährige DAAD-Preis wird am 2. Dezember 2021 im Rahmen einer digitalen Veranstaltung vergeben.