„Willkommen an Bord“„Was heißt es eigentlich, wenn Musik mich emotional packt?“Prof. Dr. Matteo Nanni verstärkt die Geisteswissenschaften und den Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“
30. November 2021, von Nanni/Red.
Foto: Privat
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor.
Prof. Dr. Matteo Nanni kommt zum Wintersemester 2021/22 von der Justus-Liebig-Universität Gießen und wird an der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Professur für „Historische Musikwissenschaft: Musik des 20. und 21. Jahrhunderts“ antreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Der aktuelle Fokus meiner Forschungen liegt zum einen im Bereich der Ästhetik zeitgenössischer Musik und zum anderen im Bereich der Theorie der musikalischen Schrift – insbesondere zu den Notenschriften des Mittelalters. In Hamburg werde ich meinen Fokus erweitern, indem ich mich im Rahmen des Clusters „Understanding Written Artefacts“ mit musikalischen Archiven aus Lateinamerika befassen werde. Meine Interessen liegen zwar historisch weit auseinander, sind aber von derselben Passion verbunden: Musik in ihrer jeweiligen Erscheinungsform zu verstehen.
Und so erkläre ich (meinen) Kindern/Freunden/meiner Familie, worum es da geht:
Wir alle hören Musik, manche von uns lesen dabei eine Partitur. Was passiert eigentlich dabei? Was heißt es eigentlich, wenn Musik mich emotional packt? Mich interessiert am meisten, in der Forschung aufzuzeigen, dass Gefühl und Denken, Emotion und Intellekt gar nicht so sehr voneinander getrennt sind. Immer wenn wir das Wort „abstrakt“ gegen das Wort „konkret“ ausspielen wollen, verlieren wir von beiden etwas.
Daher ist meine Frage: Wie kommt es, dass man sich für ein Konzept genauso begeistern kann wie für eine ganz konkrete musikalische Passage? Meine Auffassung des Faches Musikwissenschaft ist ganz im Sinne der Geisteswissenschaften geprägt: Ich möchte durch die Auseinandersetzung mit Musik und derer Geschichte, Ästhetik, Notation, Kompositionsgeschichte etwas über die Menschen, die diese Musik gemacht, gespielt, geliebt haben, erfahren. Dabei erfahre ich zugleich immer auch etwas über mich selbst.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Das Institut und die Universität in Hamburg sind genau der Ort, an dem ich diese Art von Musikwissenschaft „ausleben“ kann. Denn Musik kann nur ausgehend von einem Dialog mit anderen Disziplinen besser verstanden werden. Auch die Stadt bietet enorme Möglichkeiten in dieser Hinsicht, da ich nicht nur musikalisch, sondern auch durch die vielen anderen kulturellen „Szenen“ viel Neues lernen werde.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg; das würde ich gern ins Leben rufen oder verstärken (in Bezug auf Transfer, Lehre o.Ä.):
Eine meiner großen Leidenschaften ist das Musiktheater. In Hamburg möchte ich einen neuen Schwerpunkt zum Musiktheater und zur Performancekunst aufbauen. Im Fokus könnten die Tanz- und Bühnenmusik der Nachkriegszeit stehen sowie das Verhältnis von Musik und Politik in musikalischen Performances, wie etwa in der sogenannten Konzeptmusik oder auch im Bereich der populären Musik. In Kooperation mit inner- und außeruniversitären Institutionen, wie beispielsweise den Performance Studies, den Medienwissenschaften und der Hochschule für Musik und Theater möchte ich diese neue Forschungsrichtung implementieren.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Es ist immer schwer, eine solche Aussage über sich selbst zu erläutern. Ich wünsche mir, dass die Studentinnen und Studenten im Idealfall von meiner Begeisterung „infiziert“ werden und darum – ein Stück weit unabhängig vom Gegenstand der Lehrveranstaltung – einfach Lust bekommen, zur Uni zu gehen. Nicht, um ein paar Hundert Gramm Wissen abzuholen, sondern um über ihre eigenen Emotionen das Denken zu lernen.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Ende dieses Jahres geht das trinationale Projekt „Writing Music“ zu Ende. Mit Kolleginnen und Kollegen aus Basel, Wien und Innsbruck haben wir uns einige Jahre lang mit der Frage nach einer Theorie der musikalischen Schrift befasst. Da ich ursprünglich aus Italien komme – ich bin in der Hafenstadt Genua geboren – habe ich auch engere Kontakte mit italienischen Universitäten (Bologna, Cremona) und mit italienischen Institutionen wie dem Archivio Luigi Nono in Venedig. Demnächst werde ich ein Projekt zur Musikphilosophie mit der Universität Basel starten.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig – zur Lösung dieser Probleme könnte meine Forschung beitragen:
Meine Forschung löst keine Probleme, aber sie stellt sich Problemen oder vielmehr Fragen. Musikwissenschaft hat in dieser Hinsicht viel mit Philosophie zu tun. Statt Antworten zu liefern, geht es eher darum, Fragen zu stellen und dabei eine Gemeinschaft der Wissenden – so hat sich die ursprüngliche Universität selbst verstanden – zu stiften.
Eine Gemeinschaft, die sich in der Passion um die Sache versammelt, um über etwas nachzudenken, das für den Menschen sehr wichtig ist: die Musik. Mir schwebt eine „andere“ Universität vor, eine „unbedingte Universität“, wie sie einmal Jacques Derrida formuliert hat – eine Universität, in der sich Menschen als Menschen begegnen und in der es nicht um die bloße Quantifizierung des Wissens geht. Eine Universität, an die sich Studentinnen und Studenten später vielleicht als einen Ort erinnern mögen, an dem sie zu fliegen gelernt haben.