Glacier Kwong ringt um die Demokratie in ihrer Heimat„In Hongkong wird es schon als Aktivismus angesehen, wenn Journalistinnen und Journalisten ihren Job machen“
2. September 2021, von Niklas Keller
Foto: Privat
Glacier Kwong aus Hongkong promoviert zurzeit an der Universität Hamburg. Früher demonstrierte sie in ihrer Heimat für Demokratie, heute engagiert sie sich von Hamburg aus vor allem für Datenschutz und digitale Rechte. Im Interview erklärt sie, wie sich das wissenschaftliche Arbeiten in Hamburg und Hongkong voneinander unterscheidet und warum ihr das Thema Datenschutz so sehr am Herzen liegt.
Sie sind 2018 nach Hamburg gezogen, leben nun hier im Exil. Warum ist Ihre Entscheidung auf die Hansestadt gefallen?
Ich war bereits vorher einmal in Hamburg und finde die Stadt einfach wahnsinnig schön – zumindest wenn hin und wieder die Sonne scheint. Außerdem bietet die Universität Hamburg in Kooperation mit dem Europa-Kolleg den Studiengang „European and European Legal Studies“ an, der für mich sehr gut gepasst hat, da ich mich sehr für europäisches Datenschutzrecht interessiere.
Wie unterscheidet sich das Studium in Deutschland zu dem in Hongkong?
Die Atmosphäre in der Universität ist ganz anders. In Hongkong werden wir im Endeffekt zu Prüfungsmaschinen erzogen. Es geht nur darum, in der Vorlesung zu sitzen, die Prüfungen zu bestehen, den Abschluss zu machen und einen guten Job zu bekommen. In Hongkong werden Vorlesungen durchgezogen und PowerPoint-Folien durchgeklickt. Viele Leute sind nicht daran interessiert, darüber zu diskutieren, was wir gerade gelernt und worüber wir gesprochen haben.
In Deutschland ist das anders. Hier hat man den Raum, um zu diskutieren. Man kann einer Professorin oder einem Professor widersprechen und sie oder er wird sich gern auf eine Diskussion einlassen. Ich habe auch das Gefühl, dass die Studierenden in Deutschland keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Sie können sagen, was sie denken und andere antworten: „Es ist interessant, dass du so denkst, aber ich habe eine andere Meinung.“
Sie haben die Nichtregierungsorganisation „Keyboard Frontline“ gegründet, die für Privatsphäre im Netz eintritt. Wie wichtig ist Ihnen das Thema?
Datenschutz und digitale Rechte bedeuten mir sehr viel, weil es lange ein unterschätztes Thema in Hongkong war. Es gibt viele Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für verschiedene politische Ziele einsetzen. Aber niemand dachte über die Zukunft der digitalen Rechte nach. Deshalb habe ich mich damals in Hongkong dafür eingesetzt. Daraus entwickelte sich das Interesse am Datenschutz und ich beschloss: Ich muss mehr wissen. Also entschied ich mich nach dem Master, meine Doktorarbeit dazu zu schreiben. Ich bin sehr leidenschaftlich bei diesem Thema. Es klingt sehr langweilig und auch nerdy – aber ich interessiere mich sehr dafür.
Was untersuchen Sie in Ihrer Doktorarbeit?
Es geht vor allem um die Rechtstheorie des Datenschutzes. Wir leben in einer Welt der kommerziellen und staatlichen Überwachung. Diese neue Realität erfordert, dass wir das Konzept der persönlichen Daten untersuchen und gegebenenfalls die inhaltliche Grundlage ändern, die wir im europäischen Recht oder an vielen Orten der Welt verwenden. Es ist also eine rechtstheoretische Studie, wie sich die Art und Weise ändert, in der wir persönliche Daten sehen und behandeln.
Wie vereinbaren Sie Ihre Tätigkeit als Aktivistin und Ihre Promotion im Alltag?
Um ganz ehrlich zu sein, fällt es mir sehr schwer, das Gleichgewicht zu halten. Manchmal fühle ich mich wie in einem Paralleluniversum. Auf der einen Seite denke ich darüber nach, was in Hongkong passiert. Auf der anderen Seite bemühe ich mich, meine Einkäufe zu machen und meine Doktorarbeit zu schreiben. Häufig versuche ich, meine Arbeit als Aktivistin zu limitieren oder einige Aufgaben an andere zu delegieren. Vor allem die Zeitverschiebung macht es mir nicht leicht.
Sie schreiben auch Artikel für eine deutsche Tageszeitung als Autorin, vor ein paar Wochen über die Auflösung der Hongkong-Zeitung „Apple Daily“. Wie wichtig ist Ihnen das Thema „freie Presse“?
Viele meiner Freundinnen und Freunde sind Journalistinnen und Journalisten. Ohne die freie Presse wäre die Gesellschaft ein wirklich schlimmer Ort, weil es niemanden gäbe, der die Regierung im Auge behält. Die Presse ist die vierte Gewalt der Gesellschaft und hat die einmalige Rolle, die Öffentlichkeit zu informieren. Kritik und Debatte in Deutschland über die Rolle der Journalistinnen und Journalisten sind meiner Meinung nach sehr gesund, weil es einen Raum zum Diskurs gibt. Ich bin ein wenig neidisch, weil es in Hongkong schon als Aktivismus angesehen wird, wenn Journalistinnen und Journalisten ihren Job machen. Um in Hongkong überhaupt Diskussionen führen zu können, benötigen wir erstmal eine freie Presse. Aber das ist zurzeit leider nicht gegeben.
Was haben Sie nach Ihrer Promotion vor?
Zum einen würde ich gern weiterhin als politische Aktivistin tätig sein. Zurzeit engagiere ich mich viel im digitalen Raum – gebe Interviews, schreibe Artikel und halte Reden. Ich rufe auch zu Demonstrationen auf und kämpfe dort für mehr Demokratie in Hongkong. Das möchte ich auch weiterhin tun.
Zum anderen kann ich mir gut vorstellen, in einer Nichtregierungsorganisation zu arbeiten, etwa zu Hongkong-Themen und zum Datenschutz. Beim Schreiben meiner Doktorarbeit geht es nicht nur um das Wissen über Datenschutz, sondern auch um die Denkweise, den kritischen Zugang zu Gesetzen, der Politik und der Gesellschaft. Das würde mir bei der Arbeit in einer Nichtregierungsorganisation helfen, die sich mit solchen Themen beschäftigt.