Forschungsteam erstellt Hamburger BewegungsberichtWie aktiv sind die Hamburgerinnen und Hamburger?
19. April 2021, von Anna Priebe
Foto: pixabay/fsHH
Ein Team der Universität Hamburg untersucht, wie sich die Menschen in der Hansestadt bewegen und leitet daraus Empfehlungen ab. Beim Kongress „Sports, Medicine and Health Summit” wird nun von dem Projekt berichtet. Nils Schumacher vom Arbeitsbereich Sportmedizin gibt Einblicke in die Forschung.
Hamburg ist „Global Active City“. Wie bewegt das Hamburg?
Bewegungsmangel ist insgesamt ein großes Thema: 42 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind betroffen. Die Stadt Hamburg hat die 2015 im Rahmen der Olympiabewerbung entwickelten Ideen zum Ausbau und zur Modernisierung der Infrastruktur, insbesondere im Sportbereich, in einen „Masterplan Active City“ überführt. Für diese Strategie zur Schaffung von Strukturen, die es den Bürgerinnen und Bürgern möglichst flächendeckend ermöglicht, sich zu bewegen, wurde sie von der Welt-Breitensport-Organisation TAFISA als „Global Active City“ ausgezeichnet und ist damit eine von sechs weltweit sowie die aktuell einzige in Deutschland.
Bewegungsförderung zielt übrigens nicht nur auf mehr Sport ab, sondern meint auch die körperliche Aktivität im Alltag. So ist beispielsweise die Planung des neuen Stadtteils Oberbillwerder ein Projekt der „Active City“, bei dem von Beginn an Bewegung explizit mitgedacht wird. Das reicht von Grünflächen über Radwege bis zur Gestaltung von öffentlichen Gebäuden. Wie muss etwa eine Schule aussehen, damit sie bewegungsfreundlich ist? Der Fahrstuhl ist es nicht, aber muss es dann die Treppe sein? Oder könnte man weiterdenken und diese zum Beispiel mit einer Kletterwand kombinieren?
Das Konzept wird von Ihrem Arbeitsbereich wissenschaftlich evaluiert. Wie sieht das aus?
Ich sehe die Evaluation als umfassende wissenschaftliche Unterstützung der Initiative. Wir schauen uns natürlich die Prozesse genau an, sind aber auch auf Basis der Ergebnisse beratend tätig.
In einem ersten Schritt prüfen wir die Datenlage, beschreiben Nutzungsmöglichkeiten bisheriger Erhebungen in Hamburg und erstellen so einen Ist-Zustand. Dafür machen wir momentan eine Bestandsaufnahme der verfügbaren Daten für die verschiedenen Altersgruppen. Wir brauchen qualitativ hochwertige Daten für die Analysen und repräsentative Aussagen. Beispielsweise bieten sich Daten der Schuleingangsuntersuchungen und großangelegter Studien an, etwa der NAKO-Gesundheitsstudie oder der Hamburg City Health Study (HCHS) des UKE, der größten ortsbezogenen Langzeitstudie der Welt.
Wie sehen die Daten aus?
Die Daten der Schuleingangsuntersuchungen wären zum Beispielsehr aussagekräftig, weil hier flächendeckend Daten von Kindern aus verschiedenen Hamburger Stadtteilen erhoben und auch unterschiedliche sozioökonomischen Schichten abgebildet werden. Zudem sind die motorischen Fähigkeiten der Kinder explizit beschrieben. Das ist gut, da sie ein objektives Bild über den Leistungsstand der Kinder liefern. In anderen Studien beruhen die Daten eher auf Befragungen, also auf den Einschätzungen der Befragten zum eigenen Bewegungsverhalten. Das ist zum Beispiel auch in der Hamburg City Health Study der Fall. Wichtig ist, dass dabei verschiedene Bereiche, sogenannte Domänen, abgefragt werden: Wie aktiv sind Sie bei der Arbeit? Wie viel bewegen Sie sich in der Freizeit?
Wie geht es nach der Zusammenstellung der Daten weiter?
Wir werden die Daten auswerten, interpretieren und möchten darüber hinaus Profile für verschiedene Bevölkerungs- und Risikogruppen entwickeln. Auf dieser Basis sollen im nächsten Schritt dann Handlungsempfehlungen erstellt werden. Wir können als Universität natürlich nicht direkt in die Umsetzung gehen, aber wir sind unter anderem mit der Innenbehörde im Gespräch und beraten zu potenziellen Partnern, die man bei einer Umsetzung ins Boot holen könnte.
Wir möchten die Erkenntnisse – salopp gesagt – auch auf die Straße bringen.
Unser „Scientific Support Active City“ ist ein gutes Beispiel für den Transfer von Wissenschaft in die Praxis. Es geht nicht nur um die Analyse der Daten für Publikationen. Gerade wir Bewegungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler haben das Selbstverständnis, dass unsere Forschung in der Regel sehr nah an der Anwendung sein sollte und wir die Erkenntnisse – salopp gesagt – auch auf die Straße bringen möchten.
Beim „Sports, Medicine and Health Summit“ wird das Projekt vorgestellt. Was erhoffen Sie sich von dem Kongress?
Im Rahmen des Kongresses werden die Aktivitäten der Global Active City Hamburg vorgestellt– und dazu gehört auch unsere wissenschaftliche Begleitung. Natürlich freuen wir uns hier auch auf den Input von Expertinnen und Experten – aus Vorträgen und aus dem informellen Austausch, der auch im virtuellen Format ermöglicht werden soll. Die WHO ist vertreten, die Welt-Breitensport-Organisation bietet eine eigene Veranstaltung mit den anderen Global Active Cities an. Das wird sicherlich ein spannender internationaler Austausch zur urbanen Bewegungsförderung.
Zudem soll es eine gemeinsame Deklaration zur Förderung der körperlichen Aktivität geben. Diese wird auch von der Stadt Hamburg unterschrieben sowie von mehr als 30 Organisationen und Verbänden, wie dem Internationalen Olympischen Komitee, dem Weltsportärztebund, der Bundesärztekammer und vielen anderen. In den Forderungen wird deutlich, dass Bewegung nicht nur zugänglich gemacht und gefördert werden soll, sondern dieser Prozess auch zu evaluieren ist.
Und abschließend noch die Frage: Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Forschung zur Bewegung in Hamburg?
Die Daten, auf die wir derzeit zugreifen können, wurden vor der Pandemie erhoben. Aber natürlich ist das ein interessanter Aspekt. Wir wissen, dass die Pandemie auch das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflusst. Schulen und Vereine sind die Institutionen, die Bewegung besonders fördern können. Die Kinder waren aber kaum vor Ort, und wenn sie da waren, ging es mehr um Kontaktbeschränkung und Abstand, als um Bewegung und gemeinsames Spielen.
Insgesamt wäre es für weitere Evaluationsschritte daher sicher sinnvoll, andere Wege zur Datenerfassung zu prüfen – und das könnte auch Teil unserer Empfehlungen sein. Etwa zur Nutzung von Sportanlagen oder Bewegungsräumen wie an der Alster. Wie viele Menschen sind dort unterwegs? Wann ist das der Fall? Wie bewegen sich die Menschen? Das wären interessante Daten, die Hinweise für die zukünftige Gestaltung von bewegungsfreundlichen Räumen geben könnten.
Kongress „Sports, Medicine and Health Summit“
Der Summit findet vom 20. bis 24. April 2021 statt und richtet sich an Expertinnen und Experten aus den Bereichen Sport, Medizin und Gesundheit. Mehr als 2.000 Teilnehmende werden zu der Onlineveranstaltung erwartet. Schirmherr der Veranstaltung ist der Erste Bürgermeister der Hansestadt, Dr. Peter Tschentscher, die Behörde für Inneres und Sport fördert den Kongress. Organisiert wird der Summit von einem Team um Kongresssekretär Nils Schumacher am Institut für Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg.
Wichtige Bestandteile der Veranstaltung sind der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) sowie das Treffen von Vertreterinnen und Vertretern der Global Active Cities. Neben wissenschaftlichen Beiträgen – auch von zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Hamburg – wird es auch eine populärwissenschaftliche Vortragsreihe für interessierte Laiinnen und Laien geben. Mehr Informationen zum Programm und zur Teilnahme gibt es auf der Kongresswebsite.