HRA-Themenjahr zur Rolle sozialer Herkunft in der Wissenschaft„Herausforderungen durch den Background lassen sich überwinden“
28. August 2020, von Julia Kölle
![Prof. Dr. Miriam Beblo beim HRA-Karrieretag 2019](https://assets.rrz.uni-hamburg.de/instance_assets/uni/13903945/hra-beblo2-733x414-db08644ef4b5c3b10e79409833cdf14e8a41f096.jpg)
Foto: Peter Oldorf
Die Hamburg Research Academy (HRA) widmet sich – gemeinsam mit der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten – in diesem Jahr der Frage, welche Rolle die soziale Herkunft für eine mögliche Hochschulkarriere spielt. Unter anderem sprechen „Arbeiterkinder“ in Interviews über ihre Erfahrungen. Mit dabei ist Miriam Beblo, Professorin für Volkswirtschaftslehre und stellvertretende wissenschaftliche Direktorin der HRA.
Sie kommen aus einem Elternhaus ohne akademischen Hintergrund: Ihr Vater war gelernter Werkzeugmacher, Ihre Mutter Kindergärtnerin. Was hat Ihnen auf dem Weg in die Wissenschaft geholfen?
Geholfen hat sicher das zwar nicht akademische, aber sehr weltläufige, politikinteressierte sowie lese- und wissenshungrige Elternhaus. Im finanziell möglichen Rahmen bin ich auch immer meinen Interessen gefolgt und habe Möglichkeiten wahrgenommen – in jeder Bedeutung des Wortes. Eine gewisse Vorbereitung auf das Studium habe ich übrigens schon früh bekommen: Im völlig Didaktik-freien Unterricht meines Erdkunde- und Geschichtslehrers in der Grundschule konnte ich bereits das Mitschreiben und das Erfassen der wichtigsten Inhalte in Vorlesungen üben. Die Kehrseite damals war: Wer das nicht konnte, war schon mit zehn Jahren verloren.
War auf Ihrem schulischen und beruflichen Weg die eigene soziale Herkunft ein Thema?
Ursprünglich nicht, darauf habe ich nie wirklich geachtet. Erst am Ziel stellte ich fest, dass um mich herum fast nur noch Menschen aus akademischen Elternhäusern übriggeblieben waren. Außerdem war mein Weg in die Wissenschaft weniger geradlinig als bei vielen anderen auf vergleichbaren Positionen – also nicht über Juniorprofessur oder Habilitation, sondern mit einem Bein in der Praxis oder zumindest praxisnah. Zum Beispiel bin ich nach der Promotion zunächst an ein Wirtschaftsforschungsinstitut gegangen, dann an eine Fachhochschule. Das hat wahrscheinlich mit einem größeren Absicherungsbedürfnis zu tun, weil von Anfang an klar war, dass der Weg und das Ziel den Lebensunterhalt sichern müssen.
Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass es da einen Unterschied gibt? Und gibt es ein persönliches Ereignis, dass Ihnen dabei besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Die erste Erinnerung stammt aus der Oberschule, einem altsprachlich-musischen Gymnasium – nach Ansicht meines Vaters ein „elitärer Verein“, auf den er mich erst gar nicht gehen lassen wollte. Im Unterricht ging es einmal um Arbeiterkinder und es wurde ernsthaft über die Frage diskutiert, ob denn überhaupt jemand ein Arbeiterkind kenne? Meiner Freundin, Kind eines Siemensianers im Schichtbetrieb, und mir wurde unsere Exotenstellung erst in diesem Moment deutlich.
Ist die soziale Herkunft im Hochschulkontext immer noch relevant?
Zumindest glaube ich, dass eine soziale Mischung an der Universität weiterhin nicht selbstverständlich ist und habe den Eindruck, die Herausforderungen der Herkunft zeigen sich vor allem in der mitunter doch speziellen Sprache im akademischen Betrieb und in den informellen Wissenszugängen, etwa zu Abläufen bei Bewerbung und Studienorganisation. Das lässt sich alles überwinden, aber man braucht viel Energie und muss gute Kontakte aufbauen.
Mir hat da vielleicht auch das altsprachliche Gymnasium eine Rampe gebaut, um mich selbstbewusst und selbstverständlich für eine universitäre Ausbildung zu entscheiden. Diese braucht meine Tochter interessanterweise nicht mehr und kann sich die buntere Gesamtschule leisten, ohne dass damit ihre berufliche Zukunft in irgendeiner Weise vorgezeichnet wäre. Damit bestätigt sich leider wieder, dass die erwähnte soziale Mischung sehr voraussetzungsreich ist.
Was könnten Hochschulen in dem Bereich anders machen?
Es fängt mit der möglichst breiten Ansprache von Kindern und Jugendlichen als potenzielle Studierende an. Die Universität Hamburg hat ja schon das interessante Format „Wir wollen’s wissen“, in dem Uni-Forschende mit Vorträgen an die Hamburger Schulen gehen, sowie zahlreiche weitere Informationsangebote. Sind Studierende erst einmal an der Uni angekommen, können Patenschaften dabei helfen, dass informelles Wissen etwas gleichmäßiger weitergegeben wird – genauso auf Ebene der Promovierenden. Auch Aktionen wie dieses Themenjahr können dazu führen, dass sich Menschen aus wissenschaftsferneren Familien weniger alleine an der Universität fühlen.
Was ist Ihr persönlicher Tipp, wenn sich eine Person ohne akademischen Hintergrund auf den Weg in die Wissenschaft machen will?
Ich koche selten nach Rezept und wenn ich es mache, wandele ich es gleich wieder nach Geschmack und Vorräten ab. Deshalb ist mein Rat eher allgemein und geht zurück auf meine erste Antwort: Folgt Euren Interessen und nehmt alle Möglichkeiten wahr, die Euch passend und spannend erscheinen. Zudem ist es natürlich sehr wichtig, Netzwerke zu pflegen.
Informationen zum Themenjahr
Nur ein Drittel der Promovierenden in Deutschland stammt aus nichtakademischen Familien. Das Themenjahr „Wissen schafft Karrieren? Soziale Herkunft und Chancengerechtigkeit in der Wissenschaft“ bietet Promovierenden der „ersten Generation“ Plattformen für Erfahrungsaustausch und Vernetzung in Hamburg. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Hamburg Research Academy und der hochschulübergreifenden Landeskonferenz für Gleichstellung (LaKoG). Aufgrund der Corona-Krise werden die Aktivitäten im Rahmen des Themenjahrs bis in das Jahr 2021 hinein verlängert.