Studierende in der SteinzeitExperimentelle Archäologie zur Geschichte Norddeutschlands
28. Juli 2020, von Anna Priebe
Foto: Friedrich Meller
Wie haben die Menschen in Norddeutschland vor 6.000 Jahren gelebt? Das erproben 16 Archäologie-Studierende der Universität Hamburg vom 28. bis zum 31. Juli im Steinzeitpark Dithmarschen. Sie nähern sich – unter Einhaltung der Abstandsregeln – den damaligen Handwerken experimentell und erweitern dabei nicht nur ihr eigenes Wissen.
Manche der insgesamt 14 Häuser des Dorfes würde man eher als Hütten bezeichnen. Andere sind so groß, dass man sich gut vorstellen kann, wie die ganze Dorfgemeinschaft in der langen Halle im Inneren zusammenkommt. Im mehr als 40 Hektar großen Steinzeitpark Dithmarschen in Albersdorf sind die Gebäude allerdings nicht aus festem Stein, sondern die Holzkonstruktionen sind mit Lehm verputzt. Die Dächer bestehen aus Reet, auf manchen wächst Gras. Sie sind so rekonstruiert, wie Gebäude im Norddeutschland vor rund 6.000 Jahren aussahen. Auch die Vegetation und die Tiere auf den angrenzenden Feldern sind quasi originalgetreu.
Steinzeitprogramm seit 2004
Etwas aus der Zeit fallen dagegen die 16 Archäologie-Studierenden, die in der letzten Juliwoche vor den Augen der Besucherinnen und Besucher des Freilichtmuseums werkeln, kochen und nähen. Während des Semesters haben die Bachelorstudierenden die Quellen bearbeitet, sich Funde und die dazugehörigen Informationen angeschaut und jeweils eigene Projekte vorbereitet. Nun werden sie in den Häusern des Steinzeitdorfes selbst aktiv. Geplant ist unter anderem die Herstellung von sogenanntem Steinzeitklebstoff, der aus Birkenrinde gesiebt werden muss, sowie die Produktion und Verwendung von Nadeln aus Tierknochen.
Die Studierenden machen „das totale Steinzeit-Programm“, wie Tosca Friedrich es nennt. Die Museumspädagogin und Lehrbeauftragte der Universität organisiert diese Übung bereits seit 2004 – gemeinsam mit Birte Meller, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Universität arbeitet. Beide studierten damals am Institut und Birte Meller schrieb ihre Magisterarbeit unter anderem zur Einrichtung von steinzeitlichen Häusern. „Wir hatten die Idee, die Forschungsergebnisse praktisch umzusetzen – und konnten Dr. Frank Andraschko, unseren Dozenten, für die Idee gewinnen“, erinnert sich Friedrich. Sie und Meller übernahmen nach ihrem Abschluss die Regie des Seminars – und bringen Studierenden seitdem die experimentelle Archäologie näher.
Ein anderer Zugang zur Geschichte
„Die Techniken sind Jahrtausende alt und natürlich wurden sie auch schon von verschiedenen Forschern angewandt, aber unsere Teilnehmer werden sich das erste Mal an ihnen ausprobieren“, so Friedrich. Dazu wurden vorab detaillierte Materiallisten erstellt, die von Keramik und Ton über Wolle bis Feuerstein reichen. „Das Museum liefert einen Teil, aber es gibt inzwischen schon einen kleinen Projektfundus, aus dem wir schöpfen können“, erzählt Birte Meller.
Ziel ist es, durch eigene Erfahrungen nachzuempfinden, wie die Menschen früher gelebt haben: „Die Dinge, die wir heute aus dieser Zeit finden, sind ja zum großen Teil Produkte handwerklicher Tätigkeit, etwa Schalen aus Ton oder Waffen. Wenn man dann selber zum Beispiel mal Feuerstein bearbeitet hat und weiß, wie der Stein auf bestimmte Einflüsse reagiert, dann kann man die Funde anders interpretieren“, beschreibt Friedrich die Idee hinter der experimentellen Archäologie. Die Herangehensweise an die Artefakte verändere sich mit diesem Ansatz stark, so die Dozentin.
Eingeschränkte Möglichkeiten in Zeiten der Corona-Pandemie
In vergangenen Jahren haben einige der Studierenden auch mal eine Nacht in den Häusern verbracht und Steinzeitkleidung getragen. Die anderen übernachteten gemeinsam in einer Schule. Dieses Jahr wird wegen der Corona-Pandemie vieles anders: Nachdem die vorbereitende Exkursion in den Steinzeitpark noch ganz ausfallen musste, gelten für die Übung strenge Regeln. Jede und jeder der Studierenden schläft in einem Zelt und versorgt sich selbst. Im Museum muss Abstand zu den anderen Teilnehmenden sowie zu den Besucherinnen und Besuchern gehalten werden. „Dadurch fällt der Gemeinschaftsfaktor leider etwas weg, aber ich hoffe, dass sich trotzdem wieder eine gute Dynamik entwickeln wird“, so Friedrich.
Während es in den vergangenen Jahren zudem ein umfangreiches, von den Studierenden gestaltetes Programm für die Gäste des Museums gab, sind es dieses Jahr statt interaktiver Führungen und Mitmachaktionen vor allem Vorführungen. Dennoch freuen sich die beiden Organisatorinnen auf die Zeit im Park: „Es ist ein großer Reiz, mehrere Tage lang mit dem Thema zu spielen. Viele Besucherinnen und Besucher kommen schon seit Jahren, weil sie wissen, dass wir etwas Spannendes auf die Beine stellen.“ Zudem sei das auch ein wichtiger Lernaspekt für die Studierenden: „Teil der Übung ist es, das eigene Wissen weiterzugeben – ob in Gruppenführungen oder durch spezielle Angebote für Kinder. Es geht darum, die eigenen Erkenntnisse anderen interessant und unterhaltsam näherzubringen.“
Experimentelle Archäologie und Museumspädagogik
Tosca Friedrich, Lehrbeauftragte am Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Universität, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Birte Meller organisieren die Übung sowie das dazugehörige Praktikum „Experimentelle Archäologie und Museumspädagogik“, das sich an Bachelorstudierende der Vor- und frühgeschichtlichen Archäologie richtet. Die 16 Studierenden werden vom 28. bis zum 31. Juli im Steinzeitpark Dithmarschen in Albersdorf ihre Projekte durchführen. Das Freilichtmuseum kann täglich zwischen 11 und 17 Uhr besucht werden (Museum kostenpflichtig, Freigelände kostenlos); die Studierenden bieten ein eigenes Vorführprogramm für die Besuchenden an.