Selbstorganisiertes Projekt-Seminar „In Vino Veritas?“Die Kultur des Weintrinkens
16. Juli 2020, von Anna Priebe
Foto: pixabay/Bru-nO
Wein ist seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Kultur. Seine verschiedenen Facetten wissenschaftlich zu beleuchten, haben sich 15 Studierende in einem selbstorganisierten Projekt-Seminar zur Aufgabe gemacht. Im Interview berichtet Mitorganisator Manuel Bolz von Herausforderungen und Zielen.
Sie organisieren ein studentisches Projekt-Seminar. Was verbirgt sich dahinter?
Das Lehrformat ermöglicht es Studierenden, Seminare gemeinsam und selbstbestimmt durchzuführen – bei methodischer und thematischer Gestaltungsfreiheit. Das sogenannte „selbstorganisierte Projekt-Seminar (SPS)“ ist schon seit längerer Zeit am Hamburger Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie verankert. Alle Teilnehmenden können im Seminar ethnografische Arbeitsweisen kennenlernen und Forschungsmethoden anwenden, um eigene Daten zu erheben.
Ich leite das Seminar gemeinsam mit Daria Felicia Margo Helmke und Gert Henry Hagemann – und die Möglichkeiten dieser Projektseminare gehen für uns über das Entwickeln von eigenen Inhalten hinaus: Wir können durch das SPS-Konzept hilfreiche Lehrerfahrung sammeln und wichtige Fähigkeiten, etwa die Planung und Durchführung eines Seminars, weiterentwickeln. Ganz im Sinne der Empirischen Kulturwissenschaft können wir – sofern das Corona-Virus es zulässt – in dieses Seminar sogar eine Exkursion zu einer Weinbauregion integrieren.
Wie sind Sie auf das Thema Wein gekommen?
Einige von uns waren gemeinsam in Rotterdam, im Rahmen eines Seminars, in dem es darum ging, wie Alltagswissen produziert und verarbeitet wird. Als wir abends zusammensaßen, ist uns klargeworden, dass das auch für Wein gilt: Was Menschen über ihn wissen, wie seine Wirkung eingeschätzt wird und welche Bedeutung er hat, ist sozial und kulturell geprägt. Da kam uns die Idee, die Praktik des Weintrinkens und das Weinwissen insgesamt kulturwissenschaftlich zu durchdenken. Dazu gab es aber gerade kein Lehrangebot, daher haben wir uns entschieden, ein SPS zu entwickeln und unsere Forschungsergebnisse in einem Blog festzuhalten. Dort stellen wir auch die Seminarinhalte für eine interessierte Öffentlichkeit bereit.
Was wollen Sie genau untersuchen?
Weinkulturen wurden in der Fachgeschichte der Kulturanthropologie bereits untersucht. Unser persönliches und wissenschaftliches Interesse gilt jedoch nicht primär den historischen Kontexten oder der prominenten Debatte, ob Wein nun ein Natur- oder Kulturprodukt sei, sondern den sozialen Wirkungen von Wein heute. Zum Beispiel unterliegen der Anbau, der Verkauf und der Konsum von Wein, die oftmals exklusiv wirkende Weinsprache oder auch das Halten des Weinglases gesellschaftlichen Normierungen und sind erlernt. Auch Fragen nach Gesundheit, Alkoholmissbrauch, Rausch und Identität beschäftigen uns, denn Wein werden durch Deutungen als Rausch-, Genuss- und Lebensmittel oder als Luxusgut verschiedene Eigenschaften und Effekte zugeschrieben.
Wie sieht die Organisation im digitalen Semester aus und wer macht mit?
Aufgrund der Pandemie mussten wir unsere ursprüngliche Seminarplanung in den digitalen Raum übertragen, aber mit synchronen Videokonferenzen haben wir einen produktiven Arbeitsmodus gefunden. Das Besondere an SPS ist ein gemeinsames Lehren und Lernen auf Augenhöhe.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus verschiedenen Disziplinen bereiten zum Beispiel schriftliche Aufgaben vor. Mithilfe verschiedener Medien und Formate, etwa vertonten Powerpoints und Kleingruppen-Diskussionen, werden Seminarinhalte dann besprochen und festgehalten. Während der Pandemie kommen zudem kreative Formen der ethnografischen Datenerhebung zum Einsatz, da „klassische“ Formen der Feldforschung mit Abstandsgebot und geschlossenen Bars teilweise nicht möglich sind. Zum Beispiel wollen wir durch eine Online-Ethnographie das gemeinsame Weintrinken über Video-Chats untersuchen. Die Praktik wurde aufgrund des Corona-Lockdowns populärer und zeigt, wie Wein über geografische und soziale Distanz vergemeinschaftend wirken kann.
„In Vino Veritas? Wissensraum Wein zwischen Rausch, sozialer Distinktion und Geschmackslandschaft“
Im Rahmen des Seminars führen 15 Studierende eigene wissenschaftliche Projekte rund um das Thema „Wein“ durch. Die Projekte werden auf dem Blog „WeinWissen“ vorgestellt und visualisiert. Betreut wird das Seminar von Dr. Stefanie Mallon, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie der Universität Hamburg. Am Institut haben Studierende im Bachelor und Master die Möglichkeit, sogenannte „selbstorganisierte Projekt-Seminare (SPS)“ zu initiieren, die aus Mitteln des Hochschulpaktes finanziert werden. In den SPS werden kulturwissenschaftliche Inhalte eigenverantwortlich, wissenschaftlich und praxisorientiert bearbeitet. Eine Anerkennung als Studienleistung im Studium Generale ist möglich.