Universität Hamburg richtet weltgrößten Nachhaltigkeitskongress im Internet ausEin Kongress in 24 Zeitzonen
30. Juni 2020, von Hendrik Tieke

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Wie können Unternehmen, Behörden und andere Organisationen ökologisch und sozial nachhaltiger werden? Um Fragen wie diese geht es beim weltgrößten Kongress der Organisationsforschung. Die Universität Hamburg richtet ihn vom 2. bis 4. Juli aus – wegen der Corona-Pandemie über das Internet.
Das hat es an der Universität Hamburg noch nie gegeben, und auch international ist es in dieser Größenordnung etwas Besonderes: Ein wissenschaftlicher Kongress mit 2500 Teilnehmenden aus der ganzen Welt tagt im Netz. Eigentlich hatte die Universität Hamburg geplant, die Jahrestagung der „European Group for Organizational Studies“ (EGOS) in ihren Hörsälen, Seminarräumen und Foyers auszurichten. Doch wegen der Corona-Pandemie ist ein wissenschaftliches Zusammentreffen dieser Größenordnung gerade nicht möglich. Deshalb findet der weltgrößte Kongress der Organisationsforschung nun in einem virtuellen Tagungszentrum statt – Eröffnungszeremonie und Afterparty inklusive.
Das Motto des Kongresses ist „Organizing for a Sustainable Future: Responsibility, Renewal & Resistance”, auf Deutsch: „Organisieren für eine nachhaltige Zukunft: Verantwortung, Erneuerung und Widerstand“. Dabei geht es um die Frage: Wie können Organisationen ihre wirtschaftlichen Interessen auf der einen Seite mit ihren sozialen und ökologischen Interessen auf der anderen Seite in Einklang bringen? Wie können sie also nachhaltiger werden? Unter Organisationen versteht man zum Beispiel Unternehmen, Stadtverwaltungen, Vereine, Krankenhäuser, NGOs oder das Militär.
Prof. Dr. Daniel Geiger vom Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg leitet das Organisationsteam des Kongresses. Hier erklärt er, wie man eine Tagung dieser Größenordnung ins Internet verlegt.

Herr Prof. Dr. Geiger, wie bringen Sie über 2500 Kongress-Teilnehmende online zusammen?
Das ist tatsächlich unkomplizierter als zunächst gedacht, was an der Struktur unseres Kongresses liegt. Die einzelnen Teilnehmenden sind dort nämlich jeweils Mitglied einer eigenen Diskussionsgruppe. Und die hat sich auf ein bestimmtes Unterthema spezialisiert – etwa auf die Rolle von Ungleichheit in Organisationen oder die Auswirkungen der Digitalisierung auf Organisationsstrukturen.
Pro Gruppe sind es zwischen 25 und 80 Mitgliedern. Sie stellen dort Ihre Forschungsergebnisse vor und diskutieren diese gemeinsam, und zwar über die gesamte Dauer des Kongresses hinweg. Solch eine geringe Zahl an Forschenden kann man gut mit den gängigen Video-Konferenz-Tools zusammenbringen.
Erfüllen solche Tools die Bedürfnisse der Forschenden?
Das einzige, was diese Konferenztools natürlich nicht ersetzen können, ist die körperliche Anwesenheit. Ansonsten können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Präsentationen halten, und eine Moderatorin oder ein Moderator kann bei der anschließenden Diskussion einzelnen Teilnehmenden das Wort erteilen – genauso wie bei einem „analogen“ Kongress. In der Hochschul-Lehre klappt das bereits wunderbar.
Darüber hinaus veranstalten wir spezielle Workshops für Doktoranden und Nachwuchs-Forschende sowie Diskussionsforen zu bestimmten Methoden der Organisationsforschung. Auch dafür nutzen wir gängige Konferenz-Tools. Einloggen in die verschiedenen Veranstaltungen kann man sich ganz einfach über ein virtuelles Tagungszentrum.
Wie sieht es mit der Gestaltung größerer Programmpunkte aus?
Wie bei jedem Kongress gibt es eine große Einführungsveranstaltung, an der alle teilnehmen. Dabei werden kurze Begrüßungsreden gehalten, es gibt einen Forschungsvortrag zur Rolle von Organisationen bei der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme und es werden zahlreiche Forschungspreise verliehen. Die Programmpunkte haben wir vorher aufgezeichnet und zu einem einzigen Video zusammengestellt. Und das wiederum streamen wir dann live zum Auftakt des Kongresses – schließlich schont Streamen Ressourcen. So stellen wir sicher, dass der Kongressauftakt nicht durch zu viele Log-Ins unterbrochen oder durch Netzwerkstörungen verlangsamt wird.
Haben die Forschenden auch Gelegenheit, sich informell auszutauschen?
Ja, auch dafür haben wir gesorgt. Zum einen können die Teilnehmenden sich jederzeit in eigenen Chat- und Videorooms treffen. Zum anderen organisieren wir auch kleine Online-Parties. Sie sind der Ersatz für das gemeinsame Essen und Trinken nach den Veranstaltungen. Denn das ist ein fester Bestandteil eines jeden Kongresses: Hier hat man Zeit, sich persönlich kennenzulernen, Diskussionen aus den Gruppen zu vertiefen oder gemeinsame Forschungsprojekte anzustoßen. Für die passende Atmosphäre sorgt eine Rock-Band, die wir vorher live aufgezeichnet haben und deren Musik als Stream im Hintergrund läuft.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen ja von überall auf der Welt am Kongress teil. Wie gehen Sie damit um, dass sie sich in verschiedenen Zeitzonen befinden?
Wir haben tatsächlich dasselbe Problem wie bei einer Fußball-WM: Wir möchten gerne, dass alle zu einer guten Zeit vorm Bildschirm dabei sind, können es aber natürlich nicht allen Recht machen. Schließlich gibt es 24 Zeitzonen auf der Welt.
Um aber so vielen Menschen wie möglich entgegenzukommen, haben wir eine demokratische Lösung angestrebt und bieten Workshops zu ganz unterschiedlichen Zeiten an: Die Teilnehmenden entscheiden innerhalb ihrer Gruppen gemeinsam, wer wann vorträgt. Die Workshops, an denen alle teilnehmen können, mussten wir natürlich zeitlich festlegen. Deshalb gibt es auch einige Programmpunkte, die schon am frühen Morgen oder erst kurz vor Mitternacht deutscher Zeit stattfinden. So stellen wir sicher, dass möglichst viele Menschen auf der ganzen Welt daran teilnehmen können.