Broschüre für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen„Durch Bewegung bleiben Alltagskompetenzen erhalten“
12. Juni 2020, von Tim Schreiber
Foto: Janina Hermann
Gezielte Bewegungsübungen können Menschen mit Demenz helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen. Die Universität Hamburg hat daher gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Demenz Schleswig-Holstein aufbauend auf einem Studierendenprojekt in den Gesundheitswissenschaften ein Bewegungskonzept entworfen und in einer Broschüre veröffentlicht. Ihr Motto: „Bewegen nicht vergessen!“
Frau Wollesen, warum sind Bewegungsangebote für Menschen mit Demenz besonders wichtig?
Viele Menschen mit Demenz haben einen starken Bewegungsdrang. Die Suche nach Erinnerungen oder nach Halt und Struktur führt zu einer inneren motorischen Unruhe. In Pflegeeinrichtungen gibt es daher viele Menschen, die umherwandern oder raus wollen und ihr Zuhause suchen. Es gibt auch Menschen, die unruhig sind und an Sachen nesteln oder immer die gleichen Bewegungen machen. Diesen Drang kann man mit Bewegungsangeboten gut ansprechen.
Inwiefern hilft Bewegung gegen die Symptome der Demenz?
Ich arbeite schon lange mit der Alzheimergesellschaft und dem Kompetenzzentrum Demenz zusammen. Und die haben festgestellt: Wenn Menschen mit Demenz sich bewegen, steigt die Konzentrationsfähigkeit und man kann danach besser mit ihnen Gespräche führen oder auch Spiele spielen. Je mehr Bewegungsangebote es gibt, desto länger bleiben den Menschen ihre Alltagskompetenzen erhalten. Das ist wissenschaftlich noch nicht so gut belegt wie die medikamentöse Behandlung. Beobachtungen in der Praxis und neuere Forschung deuten aber daraufhin, dass Menschen mit Demenz motorische und kognitive Reserven haben, die durch gezielte Bewegung angesprochen werden können.
Was ist konkret der Ansatz der Broschüre?
Oft macht man mit den älteren Leuten Übungen im Sitzen, um sie zu schonen und weil man Angst hat, dass sie stürzen. Wenn ich aber alles immer im Sitzen mache, vergesse ich das Gehen. Und dann verliere ich die Fähigkeiten und die Koordination dafür. Es ist also wichtig, dass die Menschen gehen, die Kraft dafür haben und auch nicht aus dem Gleichgewicht kommen, wenn sie dabei abgelenkt werden. Wir haben erprobt, inwieweit man dafür Übungen über die Sitzgymnastik hinaus machen kann. Das war eigentlich ein Studierendenprojekt in der Gesundheitswissenschaft. Aber das hat so gut funktioniert, dass wir daraus eine Broschüre gemacht haben.
Sie nennen das Programm alltagsorientiert. Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass das Training an bestimmten Alltagskompetenzen ausgerichtet ist. Nehmen wir als Beispiel die Gartenarbeit. Da müssen sie sich bücken, zupfen Unkraut und richten sich dann wieder auf. Dabei kann es bei falschen Bewegungen zu einem Hexenschuss kommen. Was braucht also jemand für diese Tätigkeit? Kraft in den Beinen und einen starken Rücken. Außerdem muss die Bewegung nach unten und nach oben so harmonisch möglich sein, dass kein Hexenschuss entsteht. Alltagsorientierte Übungen formen daher diese Alltagssituationen nach und man trainiert die Muster für die Bewegungen, die man eigentlich im Garten machen würde oder beim Treppensteigen oder beim Einkaufen. So kann man gezielt das Leben der Betroffenen verbessern. Unter der Leitung von Volker Nagel hat man an der Universität Hamburg schon in den 90er-Jahren angefangen, Übungen für spezielle Zielgruppen alltagsorientiert zu machen.
PD Dr. Bettina Wollesen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg.
Informationen zur Broschüre
In der Broschüre „Bewegen nicht vergessen!“ werden verschiedene Bewegungsübungen mit ihren Varianten anhand von Bildern erklärt. Es gibt fünf Schwerpunkte: Erwärmung, Koordination, Gehen, Kraft und Balance. Es gibt Partner- und Einzelübungen. Die Broschüre kann für 4,95 Euro inklusive Versandkosten über das Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein, Hans Böckler-Ring 23c in 22851 Norderstedt bezogen oder auf den Seiten des Kompetenzzentrums Demenz in Schleswig-Holstein heruntergeladen werden.