Online-Ausstellung zur Geschichte der Geografie an der Universität HamburgWie Karten und Bilder unsere Vorstellung der Welt prägen
8. Juni 2020, von Hendrik Tieke
Foto: UHH/Humuza
Wie prägen Geografinnen und Geografen unsere Vorstellung von den Ländern der Erde? Und was beeinflusst ihre Arbeit? Diese Fragen stellt eine Online-Ausstellung des Instituts für Geografie – und arbeitet dabei auch die Geschichte des eigenen Faches auf.
Geografinnen und Geografen erforschen, welche Rolle Räume für Gesellschaft und Natur spielen. Wichtige Werkzeuge sind für sie Karten und Fotografien; ihre Einschätzungen und Analysen sind eine Grundlage für die Berichterstattung der Medien und die Entscheidungen der Politik. Und so prägen Geografinnen und Geografen mit ihrer Arbeit auch unsere generelle Vorstellung von der Welt.
Wie hängen Wissenschaft und Weltbilder zusammen?
Wie die geografische Wissenschaft und Weltbilder in der Gesellschaft zusammenhängen, thematisiert die Ausstellung „geografisch: post/kolonial. Wie aus Karten und Bildern die Welt entsteht“, die im Untergeschoss des Geomatikums aufgebaut ist. Weil die Ausstellung wegen der Corona-Pandemie momentan nicht zugänglich ist, haben sie die Kuratorinnen und Kuratoren als Online-Ausstellung ins Internet verlegt: In interaktiven Folien und Videoclips führen sie durch die einzelnen Stationen und zeigen und erklären die Exponate.
Die Ausstellung gibt Einblicke in die Arbeit der Geografie seit der Zeit um 1900. Sie zeigt Abbildungen von der Weltkarte bis zur Hamburger Sozialraumplanung und stellt Gelände-Zeichnungen und Fotografien von Expeditionen und Forschungsreisen aus. Sie präsentiert Arbeitsgeräte wie etwa ein Skizzen-Set oder ein Spiegelstereoskop – eine Art komplexe 3D-Brille, die Geländefotos Räumlichkeit verleiht. Und sie lässt zwei Kartografen in einem Dokumentarfilm über ihre Arbeit reflektieren.
Schubladen-Denken: Auch die Wissenschaft ist nicht frei davon
„Wir wollen deutlich machen, dass auch die Wissenschaft nicht vor einem gewissen Schubladen-Denken gefeit ist“, sagt Prof. Dr. Martina Neuburger vom Institut für Geografie der Universität Hamburg. Sie hat die Ausstellung konzipiert, zusammen mit Mitarbeitenden der Arbeitsgruppe „Kritische Geographien globaler Ungleichheiten“ und dem Historiker Dr. Carsten Gräbel.
„In welcher Gesellschaft sind Geografinnen und Geografen verwurzelt, in welchem Werte-System sind sie sozialisiert? Welchen wissenschaftlichen Trends folgen sie, um eine bessere Aussicht auf Forschungsförderung zu erhalten? Und was interessiert sie – etwa aufgrund ihrer Biografie oder politischen Haltung? Diese Fragen stellen wir“, so Neuburger. „Denn solche Dinge beeinflussen die wissenschaftliche Praxis.“
Die Spitze der gesellschaftlichen Entwicklung?
Die Ausstellung zeigt solche Einflüsse etwa am Beispiel der Forschung zu Afrika, die in der Hamburger Geografie seit Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt werden. In den Studien aus den Anfängen der Universität wird der gesamte Kontinent als rückständig dargestellt, ohne auf die herrschenden kolonialen Ausbeutungsverhältnisse hinzuweisen. „Solch ein Afrika-Bild war jedoch nicht nur während der Kolonialzeit in der Geografie weit verbreitet“, sagt Neuburger. „Auch im Kalten Krieg erforschte man sogenannte Dritte-Welt-Staaten vor allem hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und strukturellen Probleme. Schließlich sahen sich die europäischen und nordamerikanischen Staaten – die vermeintliche Erste Welt – als Spitze der gesellschaftlichen Entwicklung.“
Wie solche Weltbilder als Teil der Forschung auch ein Teil der öffentlichen Wahrnehmung werden, zeigen Neuburger und ihre Mitarbeitenden eindrucksvoll an einer Sammlung von Schulbuch-Fotografien. Die Vielfalt Afrikas etwa reduzieren diese auf wenige, stereotype Motive, die den Kontinent als einen rückständigen und eindimensionalen Lebensraum erscheinen lassen. Ganz anders dagegen der globale Norden: Er wird in den Schulbüchern oft als facettenreicher, hoch entwickelter Erdteil dargestellt.
Ein glühender Nationalsozialist und ein selbstkritischer Forscher
Die meisten Exponate stammen aus den Archiven und Lagerräumen des Instituts für Geografie. Die Ausstellung arbeitet somit auch dessen eigene Geschichte auf. Dass diese auch ihre dunklen Seiten hat, zeigen Neuburger und ihre Mitarbeitenden anhand der Skizzen und Veröffentlichungen Siegfried Passarges. Der Professor trat in den 1930er-Jahren als überzeugter Nationalsozialist in Erscheinung und erforschte Afrika und Südamerika aus dem Blickwinkel einer kolonialistischen Herrenmenschen-Ideologie.
Wie ein Gegenentwurf zu diesem Mann erscheint dagegen Gerhard Sandner, dessen Wirken die Ausstellung anhand mehrerer Schautafeln und Fotografien beleuchtet. Sandner forschte und lehrte als Professor von 1965 bis 2003 an der Universität Hamburg – und machte die Grenzen geografischer Erkenntnisse immer wieder zum Thema. „Gerhard Sandner ist eine wichtige Figur für diese Ausstellung“, sagt Prof. Dr. Martina Neuburger. „Mit seiner Arbeit hat er gezeigt, wie sehr geografische Forschung an Aussagekraft gewinnt, wenn sie sich ihrer inneren und äußeren Einflüsse bewusst wird. Mit diesem Selbstverständnis war er ein Vorreiter der heutigen, selbstkritischen Geografie. Und deren Erkenntnisse wiederum tragen ja dazu bei, die Verwobenheit dieser Wissenschaft mit der Gesellschaft zu verstehen – und damit auch die Produktion von Wissen über die Lebens- und Wirtschaftsräume dieser Welt.“