Nachhaltige Feldforschung in der ArchäologieTechnik von morgen für Funde von gestern
29. Oktober 2019, von Viola Griehl
Foto: UHH/SaintPere
Mit ihren bis zu 5.700 Jahre alten Findlingen ist die Oldendorfer Totenstatt in der Lüneburger Heide eine archäologisch wichtige Fundstelle mit Gräbern aus der Jungsteinzeit und Ziel eines Feldforschungsprojekts von Studierenden der Universität Hamburg. Die Kooperation mit dem Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern steht unter dem Motto „Digitale Nachhaltigkeit". Fünf Fragen an die Projektleiterin Dr. Julia Menne vom Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie.
Frau Dr. Menne, wie wird Feldforschung in der Archäologie nachhaltig?
Es geht um die Frage, wie wir unsere Daten auch in vielen Jahrzehnten noch nutzen und beispielsweise ältere Datenträger lesen können. Wie können wir damit langfristig arbeiten und Informationen für möglichst viele Wissenschaftler und Interessierte zugänglich machen? Deshalb erproben wir in diesem Projekt verschiedene Möglichkeiten zur Digitalisierung. Schon heute sind digitale Datensätze aus dem Beginn der 2000er Jahre nicht mehr lesbar oder kompatibel mit heutiger Software. Da gehen viele Informationen verloren und im schlimmsten Fall viele Wochen Feldarbeit mit ganzen Grabungen. Wir tauschen im Rahmen der Lehrveranstaltung Wissen aus zu Informationsspeichern wie Repositorien, zur Digitalen Objekt Identifikation (DOI), zu Archivierungsmöglichkeiten, Open Access, Open Data und Digitaler Vernetzung von Forschungsteams. Bei der Oldendorfer Totenstatt ist es sowohl aufgrund unserer Vorarbeiten als auch durch das langjährige Engagement von Interessierten aus der Öffentlichkeit möglich, viele Informationen und Ergebnisse zusammenzubringen und dadurch neue Erkenntnisse zur Nutzung dieser Fundstelle zu erhalten.
Was ist die Oldendorfer Totenstatt und was wird dort untersucht?
Es ist eine einzigartige Konstellation diachroner Grabstätten, also aus verschiedenen Epochen - von der Jungsteinzeit, der Bronzezeit bis in die vorrömische Eisenzeit. Man findet verschiedene Bestattungsformen auf engstem Raum: Hünenbett, Großsteingrab, Grabhügel, Urnengräber, Kollektivgräber, Brand- und Körperbestattungen. Weil das Areal schon sehr früh unter Denkmalschutz gestellt wurde, ist es nahezu ungestört erhalten. Daher können wir eindrücklich die Nutzung der Landschaft durch den Menschen nachvollziehen, was sonst an Ensembles dieser Art nicht möglich ist.
Wir benutzen für unsere Untersuchungen geophysikalische Methoden. Damit können wir nichtinvasiv unter die Geländeoberfläche sehen und mögliche archäologische Strukturen erfassen. Eine Methode ist zum Beispiel die Geomagnetik. Archäologische Befunde wie Gruben, Gräben, antike Straßen, Feuerstellen oder auch Funde wie Eisenobjekte verursachen Abweichungen im natürlichen Erdmagnetfeld. Diese Abweichungen lassen sich messen und grafisch darstellen. Im Fall der Oldendorfer Totenstatt können wir hier möglicherweise abgetragene Grabhügel, Nutzungsareale der Urgeschichte oder auch neue Gräber auffinden. Die Feldarbeit organisiere ich gemeinsam mit unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Lorenz Luick.
Was sollen die Studierenden vor allem aus dem Projekt mitnehmen?
Die Studierenden sollen über den eigenen Tellerrand blicken und ihren Horizont für internationale Projektarbeiten öffnen. Sie bekommen Einblicke in die Arbeitsweisen und in die Lehre anderer Institutionen. Wegen der Vernetzung und des Austauschs von Wissen und Expertise ist diese Kooperation ganz wichtig für das eigene Fachverständnis.
Neben der theoretischen, methodischen und praktischen Ausbildung in geophysikalischen Methoden zur Prospektion - also zur Suche und Erkundung archäologischer Funde im Boden - was sie für spätere berufliche Tätigkeiten brauchen, lernen die Studierenden natürlich die archäologische Landschaft Norddeutschlands genauer kennen und erhalten neue Impulse für die eigene Forschung. Das Ziel ist dabei, das Bewusstsein für digitale Nachhaltigkeit im Umgang mit eigenen und externen Daten zu schärfen und im besten Fall für die eigenen Qualifikationsarbeiten während der universitären Laufbahn zu nutzen.
Wie sieht die Kooperation mit der Universität Bern aus?
Die „Förderung Innovative Lehre“ der Uni Bern eröffnet den Studierenden die Möglichkeit, theoretische, methodische und praktische Kenntnisse geophysikalischer Prospektionsmethoden zu sammeln. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Sensibilisierung der Teilnehmenden für das Thema „Digitale Nachhaltigkeit“. Die Studierenden erhalten im Herbstsemester in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Digitale Nachhaltigkeit der Universität Bern einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung. Gemeinsam wird erarbeitet, wie diese Aspekte auf die archäologische Forschung übertragen und umgesetzt werden können. Den Berner Studierenden wird die Möglichkeit geboten, sich aktiv an der Prospektion bei der Oldendorfer Totenstatt zu beteiligen und das im Seminar erlernte Wissen vor Ort anzuwenden.
Was passiert mit den Ergebnissen?
Einen ersten Einblick in die Ergebnisse kann man beim „Hamburger Tag der Archäologie“ am 27. November bekommen. Interessierte laden wir hier gerne zu einem Vortrag ein. Im Anschluss werden die Auswertungen publiziert und die Daten in einer Langzeitarchivierung zugänglich gemacht - natürlich alles transparent und öffentlich.
Weitere Informationen
Die Oldendorfer Totenstatt liegt in der Lüneburger Heide, nördlich von Amelinghausen. Dort sind Grabanlagen aus nahezu allen vor- und frühgeschichtlichen Epochen zu sehen: von der Jungsteinzeit (ab 3500 v. Chr.) und der Bronzezeit bis in die vorrömische Eisenzeit (bis etwa zum Beginn der christlichen Zeitrechnung). Die meisten Stätten sind noch immer nicht vollständig erforscht. Das älteste Grab ist ein sogenanntes "kammerloses Hünenbett". Innerhalb seines 60 Meter langen und 7 Meter breiten, von Findlingen eingesäumten Erddammes war zunächst keine Grabkammer aus Stein sichtbar. Erst bei Ausgrabungen stellte sich anhand von Bodenverfärbungen heraus, dass es sich um eine hölzerne Grabkammer handelte.