Warum die Suche nach der ersten Studentin schwierig istInterview zum neuen Matrikelportal der Universität Hamburg
30. Juli 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Ohme
Zum 100. Geburtstag der Universität Hamburg ist eine Datenbank online gegangen, in der alle Studierenden aus den Jahren 1919 bis 1935 verzeichnet sind. Was sich hinter den etwa 35.000 Einträgen verbirgt, erklären Ole Fischer und Sarah Seibicke vom Universitätsarchiv.
Welche Daten stehen in dem neuen Portal zur Verfügung?
Ole Fischer (OF): Im Portal liegen die vollständigen Matrikeln von 1919 bis 1935 vor. Damals hat man vor Ort an der Universität einen Immatrikulationsantrag ausgefüllt. Von diesen Anträgen wurden bei der Immatrikulation ausgewählte Daten in ein sogenanntes Matrikelbuch übergetragen. Es gab eines für die regulären Studierenden, eines für Studierende ohne Reifezeugnis – die sogenannte kleine Matrikel – und eines für ausländische Studierende. Die insgesamt sieben Bände für den gewählten Zeitraum sind erhalten. Insgesamt sind es 35.000 Datensätze. 1935 wurde die Einschreibung vom Reichministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vereinheitlicht. Für die nachfolgende Zeit sind im Universitätsarchiv keine Matrikelbände der regulären Studierenden mehr überliefert.
Nehmen wir an, meine Oma hätte in den 1930er-Jahren an der Universität Hamburg studiert. Was könnte ich mit ihrem Namen jetzt in dem Portal herausfinden?
Sarah Seibicke (SaS): Wir haben auf jeden Fall das Einschreibe- und das Exmatrikulationsdatum, den Vor- und Nachnamen natürlich, die Fakultät und die Matrikelnummer. Im Bemerkungsfeld steht gegebenenfalls noch ein Hinweis zu Umschreibungen, wenn die Oma sich also zuerst in der einen Fakultät eingeschrieben hat und dann doch in einen anderen Studiengang gewechselt hat.
OF: Und wir haben zu jedem Eintrag den Scan der Original-Seite aus dem Matrikelbuch. Da kann man zum Beispiel ganz gut sehen, was für Grüppchen sich mitunter eingeschrieben haben. Man sieht etwa, dass sich Geschwister häufig an einem Tag immatrikuliert haben.
Und wenn ich keinen Namen zur Recherche habe, wie kann ich das Portal dann nutzen?
OF: Grundsätzlich muss man natürlich sagen, dass dieses Portal – ähnlich wie der Hamburger Professorinnen- und Professorenkatalog – in erster Linie ein personenbezogenes Recherchewerkzeug ist. Das heißt, wir gehen davon aus, dass es genutzt wird, wenn eine Person eine andere sucht.
Darüber hinaus sind aber schon jetzt einige statistische Auswertungen möglich – ganz unabhängig von Namen, beispielsweise zur Anzahl der Studierenden in bestimmten Fakultäten oder zu Umschreibungen in andere Fakultäten.
Wie sind Sie denn beim Thema Datenschutz vorgegangen?
OF: Da haben wir uns an die Vorgaben des Hamburgischen Archivgesetzes gehalten, das vorsieht, dass personenbezogene Daten zehn Jahre nach dem Tod der betreffenden Person verfügbar gemacht werden dürfen. Wenn man das Todesdatum nicht feststellen kann, dann 90 Jahre nach Geburt. Das ist bei allen Personen der Fall. Darüber hinaus haben wir uns das Projekt auch vom Datenschutzbeauftragten der Universität absegnen lassen.
Kann man zum Beispiel rausfinden, wer die ersten Studentinnen und Studenten waren?
SaS: Das Geschlecht haben wir als Kategorie aufgenommen. Das heißt, man kann beispielsweise recherchieren, welche Frauen sich im ersten Semester eingeschrieben haben.
OF: Wir können nur nicht sagen, wer die erste Studentin war. Es haben sich mehrere an einem Tag eingeschrieben und der Eintrag ins Matrikelbuch entsprach nicht zwingend der Reihenfolge. Zudem sind die Matrikelnummern in der Anfangszeit für jede Fakultät von 1 ausgehend vergeben worden, sodass es für jede Fakultät eine erste Studentin gibt. Das gilt auch für den ersten Studenten.
Welche Informationen haben Sie bei der Erstellung des Portals überrascht?
OF: Tatsächlich sieht man an den Matrikeln, wie hoch die administrativen Herausforderungen in der Gründungszeit der Universität gewesen sind. Das wirkt alles noch ziemlich chaotisch – etwa dieses System, dass die Matrikelnummern für jede der Fakultäten einzeln vergeben worden sind. Man bekommt ein Gefühl dafür, dass erst ab 1920/21 ein wirklich geregeltes Verfahren in der Verwaltung in Gang gekommen ist. Ab dann gibt es einheitliche Anträge und die Bücher werden einheitlich geführt.
SaS: Für mich war überraschend, dass sich so viele Studierende nochmal umgeschrieben haben oder sich mehrmals neu eingeschrieben haben. Zu einer Person haben wir häufig zwei oder drei Einträge.
Haben Sie schon Rückmeldungen zum Portal bekommen?
SaS: Ja, von anderen Universitäten, die ähnliche Portale aufgebaut haben. Wir sehen da großes Potenzial, uns zu vernetzen.
OF: Darauf ist das Portal von Anfang an ausgelegt gewesen. Unsere Daten sollen daher zeitnah auch über überregionale Portale, wie etwa das Archivportal-D, abrufbar sein.
Bis 2020 sollen ja auch die Matrikelkarten, die jede Studentin und jeder Student für die Immatrikulation ausfüllen musste, online gehen. Welche Informationen kommen dann noch dazu?
SaS: Auf den Immatrikulationsanträgen wurden bis zu 36 Punkte abgefragt – bis hin zum Beruf der Eltern. In einem ersten Schritt ergänzen wir die sogenannten Stammdaten der Personen, also den vollständigen Namen sowie das Geburtsdatum und den Geburtsort, um die Person eindeutig identifizieren zu können. Auf dem Scan kann man sich dann die anderen Angaben anschauen.
OF: Wir überlegen auch, eine Kartenfunktion einzubauen, um zu zeigen, aus welchen Regionen die Studierenden nach Hamburg gekommen sind. Es werden also direkt viele Informationen dazu kommen, aber es gibt darüber hinaus noch sehr großes Potenzial. Bisher war es zum Beispiel schwer, die Sozialstruktur der Studierenden eines Fachbereiches zu analysieren. Wenn das Portal fertig ist, können diese Informationen durch entsprechende Filter leicht erstellt werden.
Wie groß das Forschungsinteresse an solchen Fragestellungen ist, merkt man auch daran, dass die Immatrikulationsanträge zu den am meisten genutzten Archivalien unseres Archivs gehören und wir dazu Anfragen aus der ganzen Welt haben.
Matrikelportal der Universität Hamburg
Im Matrikelportal stehen die Immatrikulationsdaten sowie die digitalisierten Originalbände der Universitätsmatrikel von 1919 bis 1935 zur Verfügung. Sukzessive werden auch die Matrikelkarten ergänzt. Dieser Teil des Projektes wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert. Das Matrikelportal steht allen Interessierten online zur Verfügung.