Schriftzug des Konzeptkünstlers Lawrence Weiner am Hauptgebäude eingeweihtWenn Sprache irritiert und Kunst mit Konventionen bricht
3. Juni 2019, von Newsroom-Redaktion
„Enough push & pull to make a structure go to pieces“: Für die nächsten fünf Jahre prangt dieser Ausspruch des New Yorker Künstlers Lawrence Weiner im Westflügel des Hauptgebäudes der Universität Hamburg. Prof. Dr. Petra Lange erklärt, was es mit dem Kunstwerk auf sich hat.
Petra Lange-Berndt ist Professorin für moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität Hamburg. Eines ihrer Hauptgebiete sind Kunstwerke, die mit Konventionen brechen. Die neue Installation ist solch ein Werk: ein Schriftzug, der keine festgelegte Farbe hat – und nicht mal einen festgelegten Ort. Im Interview erklärt Lange-Berndt, was hinter der Arbeit steckt.
Frau Professorin Lange-Berndt, was hat es mit dem Satz von Lawrence Weiner auf sich?
Wir sollen uns selber einen Reim auf diese Folge von Wörtern machen. Denn Uneindeutigkeit ist das Markenzeichen von Lawrence Weiners Kunst: Er konzipiert poetische Sätze für den öffentlichen Raum, die rätselhaft, aber nie banal klingen, und dabei die Betrachterinnen und Betrachter zum Nachdenken anregen. Diese Sätze sollen immer zweisprachig ausgeführt werden, auf Englisch sowie in der Landessprache des Ausstellungsortes, in unserem Fall Deutsch.
„#517 Enough push & pull to make a structure go to pieces“ – das ist der Titel des Werkes, also „Genug Stoss und Zug eine Struktur in Teile fallen zu lassen“. Dieser Satz erinnerte beispielsweise in einer Ausstellung des Jahres 1989 an die Wiedervereinigung Deutschlands, an die Wende mit ihrer friedlichen Revolution und damit an den Übergang zu einer parlamentarischen Demokratie. 2019 könnten andere aktuelle Debatten damit assoziiert werden: etwa der gegenwärtige Rechtsradikalismus, die Krise der EU, Brexit oder ökologische Missstände. Aber auch ganz individuelle alltägliche Gedanken können damit verbunden werden.
Das Werk gehört zur Konzeptkunst. Was bedeutet diese Kunstrichtung?
Bei der Konzeptkunst stehen Idee und Entwurf eines Werks im Vordergrund: An Stelle ausgeführter Bilder und Skulpturen treten Skizzen oder Gestaltungsanleitungen. Im Fall von Lawrence Weiner bleibt die konkrete Ausführung des Kunstwerks dann denen überlassen, die den Entwurf besitzen – also in der Regel gekauft haben. Eine Zeichnung des Künstlers gibt den Text, sein Design sowie die Anordnung der Worte vor. Farbe oder Größe werden jedoch dem jeweiligen Ort der Realisation angepasst.
Sie können das Werk also an einem Ort in einer bestimmten Variante verwirklichen – und nach ein paar Jahren zum Beispiel an einem anderen Ort in einer anderen Variante. Diese Wandelbarkeit ist eines der Hauptmerkmale von Konzeptkunst: Projekte müssen nicht realisiert werden, sondern können auch einen Möglichkeitsraum aufspannen. Die Konzeptkunst brach in den 1960er Jahren mit einer Vorstellung von Hochkunst, nach der das Werk bis zur Fertigstellung komplett in den Händen der Künstlerinnen und Künstler liegen sollte. Lawrence Weiner ist einer der Mitbegründer dieser Richtung.
Wie kam Weiners Kunstwerk an die Universität Hamburg?
Die Zeichnung von Weiner gibt es schon seit 1985. Mittlerweile ist sie im Besitz des Hamburgers Michael Liebelt, der dem Kunstgeschichtlichen Seminar sehr verbunden ist. Er leiht uns das Kunstwerk für fünf Jahre. Die Installation wurde durch die Liebelt Stiftung unterstützt, dessen Vorsitzender er ist.
Warum befindet sich der Schriftzug gerade im Atrium im Westflügel des Hauptgebäudes?
Er soll an die Präsenz des Kunstgeschichtlichen Seminars betonen sowie an die Geschichte des Faches erinnern: Die Hamburger Schule war einst politisch links orientiert; Lawrence Weiner ist ein bekennender Pazifist, der sich im amerikanischen Civil Rights Movement engagiert hatte. Auch die anderen im Westflügel untergebrachten Geisteswissenschaften arbeiten – wie die Kunstgeschichte – vor allem mit Texten, also mit Sprache. Außerdem befassen sie sich mit Strukturen: in der Gesellschaft, in der Kunst, in der Geschichte oder der Politik. Kunst, die mit Sprache spielt und zum Nachdenken über Strukturen anregt, trifft hier also auf die passenden Betrachterinnen und Betrachter sowie Akteurinnen und Akteure.
Die Arbeit verweist also auf Hamburg sowie auf die mit dem Flügelbau West verbundenen globalen Strukturen und Aktivitäten der Lehre, Forschung, Bildung und Verwaltung: etwa auf Partnerinstitutionen der Universität, entsprechende Ökonomien, Diskurse, die sich dort aufhaltenden Personen, Professorinnen und Professoren, Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek, das Reinigungspersonal, Obdachlose oder Neugierige.