Vom Urknall bis zum Mittelalter: „Wissen vom Fass“ ging in die vierte RundePhysiker, die auf Rosinenkuchen schießen
24. April 2018, von Ellen Schonter
45 Kneipen, 45 Sprecherinnen und Sprecher, eine halbe Stunde wissenschaftliche Unterhaltung: Am Donnerstag, den 19. April, schwärmten Forscherinnen und Forscher der Universität Hamburg und des Deutschen Elektronen-Synchrotons (DESY) wieder in Kneipen in ganz Hamburg aus – und beantworteten spannende Fragen. Eine der Vortragenden: Prof. Dr. Erika Garutti, Experimentalphysikerin der Universität Hamburg. Sie erzählte von den Weiten des Universums und Teilchen in Atomen – und erklärte nebenbei, warum Physiker auf Rosinenkuchen schießen.
Donnerstagabend, 20 Uhr. Die M&V-Bar in St. Georg ist erfüllt vom leisen Raunen der rund 40 Gäste und dem Klirren der Gläser, letzte Bestellungen werden aufgegeben. Dann verkündet Prof. Garuttis Stimme durch das Mikrofon: „Physiker beschäftigen sich mit den ganz großen und ganz kleinen Fragen.“
Und deswegen beginnt ihr Vortrag mit „der größten aller Fragen“: Wie groß ist unser Universum? Die Antwort ist eindeutig: 1026 Meter ist der Rand des Universums von unserer Erde entfernt. Eine unvorstellbare Zahl. Deswegen bittet die Physikerin ihr Publikum: „Seien Sie heute mal eine Null.“ Garuttis Helfer verteilt DIN-A4-Blätter bedruckt mit insgesamt 26 Nullen und sie bittet augenzwinkernd: „Alle Nullen die Hände hoch!“ Die Blätter erstrecken sich fast durch die ganze Bar.
Was Rosinenkuchen mit Physik zu tun hat
Nachdem nun „das ganz Große“ geklärt ist, widmet sich Garutti den kleinsten Teilchen, oder vielmehr der Suche danach. Sie erzählt von Atommodellen im Laufe der Geschichte – darunter die Theorie des Physikers J.J. Thomson. Er nahm an, dass ein Atom wie ein Rosinenkuchen aufgebaut ist: „Die Elektronen, also die leichten, negativen Teilchen, sind wie Rosinen in einem Teig aus positiver Ladung verteilt, welcher den Großteil der Masse des Atoms ausmacht.“
„Aber dann kam Ernest Rutherford“, erzählt Garutti. „Er dachte: Ich schieße mit Teilchen auf den Rosinenkuchen. Und da positive Ladung und die Masse gleichmäßig wie ein Teig das Atom ausfüllt, müsste der Teilchenstrahl praktisch ungehindert durch den Kuchen hindurch gehen.“
Aber das Experiment ergab Unerwartetes: Manche Teilchen wurden stark abgelenkt oder sogar zurückgeschossen. „Eine riesige Überraschung!“, erklärt Garutti. „Es war genauso überraschend, als würde man mit einer Pistole auf ein Blatt Papier schießen und die Kugel käme zurück.“
Die Erkenntnis Rutherfords daraus war: „Das Atom ist kein Rosinenkuchen, sondern muss einen kompakten, massiven Kern mit positiver Ladung enthalten, der die Teilchen ablenkt. Und drumherum ist eine große Leere, in der nur einige Elektronen schwirren.“
Unterdessen beugt sich eine Frau am Tisch vor und flüstert: „Ich bin ja absolute Anfängerin in Physik, aber hier wird es endlich einmal anschaulich erklärt.“ Sie heißt Hannah Petersen und gibt zu: „Eigentlich wollte ich ja zu ‚Verstehen Sie Pflanzisch?‘. Aber der Vortrag hier ist super!“
Ohne Gluonen gäbe es keine Materie
Garutti erklärt währenddessen, dass es im Kern von Atomen sogar noch weitere Teilchen gibt: die Quarks. Zusammengehalten werden sie von Gluonen: Diese Teilchen wurden sogar in Hamburg am DESY entdeckt und sorgen für Anziehungskraft zwischen den Quarks. So verhindern sie, dass die Struktur des Kerns auseinanderfällt. „Und das ist gut so – sonst würde keine Materie existieren. Dann gäbe es uns nicht, unser Bier nicht, unseren Tisch nicht“, stellt Garutti fest und prostet dem Publikum zu.
Aber es war nicht immer so: „Am Anfang unseres Universums waren die Temperaturen so hoch, dass Quarks und Gluonen frei waren“, so Garutti. „Dieses sogenannte Quark-Gluon-Plasma existierte nur in den ersten Sekundenbruchteilen des Universums und wurde 10 hoch -32 Sekunden nach dem Urknall gebildet“, erklärt sie. „Oder auch: verdammt nah dran.“ Dieses Plasma, „diese kosmische Suppe“ kann heutzutage in Genf am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung, reproduziert werden, wie die Physikerin erzählt. „Damit wollen wir herausfinden: Wie war das Universum so kurz nach dem Urknall?“
Die kleinen Teilchen und das große Universum hängen also eng miteinander zusammen – das hat auch Hannah vom Vortrag mitgenommen. „Physik war für mich immer ein erschreckendes Thema“, sagt die 25-Jährige am Ende des Abends. „Ich weiß jetzt, wie ein Atom aufgebaut ist und wie groß das Universum ist. Das ist schon mal ein Anfang!“, lacht sie.
Wissen vom Fass
„Wissen vom Fass“ ist eine Veranstaltung des Forschungszentrums DESY und der Universität Hamburg. Die Idee für die Veranstaltung „Wissen vom Fass“ brachte Prof. Dr. Jan Louis, Vizepräsident der Universität Hamburg, aus Tel Aviv in Israel mit. Die dortige Veranstaltung „Science on Tap“ ist seit langem ein großer Erfolg. Die Idee für eine deutsche Auflage stieß bei DESY und Universität sofort auf offene Ohren. Beteiligt sind außerdem der Exzellenzcluster „The Hamburg Centre for Ultrafast Imaging“, der Sonderforschungsbereich „Particles, Strings and the Early Universe“ und PIER, die strategische Partnerschaft zwischen DESY und der Universität Hamburg. „Wissen vom Fass“ ging im Jahr 2015 in die erste Runde und findet seitdem jährlich statt.
Weitere Informationen: www.wissenvomfass.de