Vor 100 Jahren wurde der Alumnus und Ehrensenator der Uni Hamburg geborenHelmut Schmidts Weg in die Demokratie
5. Dezember 2018, von Hendrik Tieke
Am 23. Dezember wäre Helmut Schmidt 100 Jahre alt geworden. An der Universität Hamburg legte er das breite Wissensfundament für seine politische Laufbahn – und machte den Campus zusammen mit anderen Studierenden nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Ort der demokratischen Zivilgesellschaft.
Bundeskanzler, Finanzminister, Verteidigungsminister, Polizeisenator – Helmut Schmidt übte einige bedeutende Ämter aus. Sie alle verlangten nach breit gefächerten Kenntnissen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Die Grundlagen dieser Kenntnisse hat Helmut Schmidt an der Universität Hamburg von 1946 bis 1949 erworben: mit einem Studium der Volkswirtschaftslehre und mit zusätzlichen Kursen in Wirtschafts- und Sozialpolitik, in Betriebs- und Finanzwirtschaft sowie in Bürgerlichem Recht und Staatsrecht.
Schmidts Examensarbeit und die Wegbereitung des Euro
„An der Universität Hamburg wurde Helmut Schmidt zum politischen Generalisten“, sagt Prof. Dr. Reiner Lehberger von der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Lehberger hat nach langen Jahren Forschung und Recherche eine Biografie über den Hamburger Bundeskanzler und seine Frau Loki geschrieben („Die Schmidts – ein Jahrhundertpaar“) und stellt fest: „Helmut Schmidt fiel schon damals dadurch auf, dass er sich für fast alle politischen Felder interessierte und sich schnell und tief in neue Fachgebiete einarbeiten konnte.“ Das bemerkte auch einer seiner Professoren: Karl Schiller, der an der Universität Hamburg einen Lehrstuhl für Volkwirtschaftslehre innehatte und 1948 Hamburger Senator für Wirtschaft und Verkehr wurde. Er machte Schmidt Ende Juni 1949 zu seinem persönlichen Referenten – und eine bemerkenswerte Laufbahn in der Politik begann.
Kurz vorher hatte Schmidt sein Examen an der Universität Hamburg bestanden. Der Titel seiner Abschlussarbeit: „Die Währungsreform in Japan und in Deutschland im Vergleich“. Darin hatte er untersucht, wie sich die Einführung einer neuen Währung nach dem Krieg auf Wirtschaft und Gesellschaft in diesen beiden Ländern auswirkte. „Diese Arbeit legte den Grundstein für Schmidts große währungs- und finanzpolitische Expertise, dank der er einer der Wegbereiter des Euro wurde“, meint Reiner Lehberger. So schuf Schmidt Ende der siebziger Jahre mit dem französischen Präsidenten das so genannte „Europäische Währungssystem“. Darin verpflichteten sich die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, dem Vorläufer der EU, auf gemeinsame Wechselkurse.
Wie lernt man Demokratie, wenn man im Dritten Reich aufwuchs?
Bei seinen Recherchen erfuhr Lehberger auch, in welchem Maße sich nach dem Krieg auf dem Campus der Universität Hamburg eine demokratische Zivilgesellschaft entwickelte: „Es gab hier studentische Gruppen, die abends und an den Wochenenden viel Zeit investierten, um über den demokratischen Wiederaufbau des Landes zu diskutieren. In einer dieser Gruppen war Helmut Schmidt sehr aktiv: Im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Der verfolgte – anders als zu 68er-Zeiten – noch keine radikal linke, sondern eine eher sozialdemokratische Agenda.“ Schmidt wurde 1947 der Vorsitzende dieser Gruppe in Hamburg und wenig später sogar Vorsitzender in der gesamten Westzone, dem Vorläufer der 1949 gegründeten Bundesrepublik.
Schmidt verfolgte zwei Ziele: Er wollte zum einen die Versöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern voranbringen. Denn gerade einmal drei Jahre zuvor hatten die, die jetzt überall in Europa studierten, noch aufeinander geschossen. Zum anderen wollte Schmidt Gelegenheiten schaffen, bei denen deutsche Studierende von ihren ausländischen Kommilitonen demokratisches Denken und Handeln lernen konnten. „Die meisten deutschen Studierenden hatten ja bis kurz nach dem Krieg noch nie an einer demokratischen Wahl teilgenommen und waren in einer Welt von Führerkult und Befehlsgehorsam aufgewachsen“, sagt Lehberger. „Kritisches Hinterfragen, sich mit anderen Meinungen auseinandersetzen und auch die eigene Meinung überdenken – diese Fähigkeiten hatten sie nie richtig erworben. Dabei sind genau das die Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie. Denn jede Demokratie braucht mündige Bürgerinnen und Bürger.“
Ein westeuropäisches Studierenden-Treffen – nur drei Jahre nach Kriegsende
Und so knüpfte Schmidt Kontakte zu studentischen Gruppen aus Westeuropa. Dafür reiste er an Universitäten in die Benelux-Staaten und nach England, wo mit offenen Armen empfangen wurde. Im April 1948, nur drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, organisierte er dann zusammen mit Hamburger Kommilitoninnen und Kommilitonen ein Treffen für sozialistische beziehungsweise sozialdemokratische Studierende in Barsbüttel, vor den Toren der Hansestadt. Es kamen Vertreter aus verschiedenen westeuropäischen Ländern: Diese jungen Menschen knüpften Freundschaften und stellten wenige Jahrzehnte später die politischen Eliten ihres Landes. So trugen sie ihren Teil dazu bei, dass die Länder der späteren Europäischen Union immer enger zusammenwuchsen.
Der Universität Hamburg blieb Schmidt auch nach seinem Studium eng verbunden. Für sein Lebenswerk und für seine Verdienste um Hamburg, die Bundesrepublik und den Frieden in Europa verlieh sie ihm 1983 die Würde als Ehrensenator. Am 23. Dezember wäre Helmut Schmidt 100 Jahre alt geworden.