Öffentliche Vorlesung „Faszination Tideelbe“ startet am 29.10.Schweinswale, Fischschwärme – und ein bedrohtes Ökosystem
29. Oktober 2018, von Hendrik Tieke
Foto: Rüdiger Nebelsieck
Durch Hamburg erstreckt sich ein einzigartiger Naturraum: die Tideelbe. Hier treffen Meer und Fluss aufeinander, gehen Schweinswale auf die Jagd und bauen Biber ihre Verstecke. Doch dieses Ökosystem ist bedroht. Eine öffentliche Vorlesungsreihe stellt es vor.
In Hamburg gibt es Ebbe und Flut: Zweimal am Tag drückt der Mond die Wassermassen der Nordsee die Elbe hinauf und zieht sie dann wieder auf die hohe See zurück. Diese sogenannte Tideelbe – Tide ist plattdeutsch für Gezeiten – erstreckt sich von der Elbmündung vor Cuxhaven bis nach Geesthacht hinter Hamburg. Ab dem 29.10. erklären Expertinnen und Experten jeden Montag an der Universität Hamburg, wie Tiere und Pflanzen hier miteinander und voneinander leben, welche Bedeutung die Tideelbe für Handel, Schifffahrt und Fischfang hat oder warum diesem Lebensraum ein Artensterben bevorstehen könnte.
Dr. Veit Hennig vom Institut für Zoologie der Universität Hamburg ist einer dieser Experten. Er erforscht unter anderem, wie die Tiere in der Tideelbe Nahrungsketten bilden. Wir haben ihn gefragt, was dieses Ökosystem ausmacht.
Herr Dr. Hennig, warum ist die Tideelbe einzigartig in Deutschland?
Auf deutschem Gebiet ist die Elbe der Fluss mit der größten Mündung – zwischen Cuxhaven und Friedrichskoog ist sie fast 15 Kilometer breit und noch in Hamburg hat sie streckenweise eine Ausdehnung von zwei Kilometern. Außerdem ist sie entweder von weitläufigen Marschen oder hohen Ufern gesäumt. Der Unterlauf der Elbe bietet also viel Platz für das Wasser der Nordsee, das ja mit der Flut dort hineinfließen kann. An den anderen, kleineren deutschen Flussmündungen gibt es diesen Platz nicht. Hier können sich Meer- und Flusswasser nur auf einem kleinen Gebiet mischen. Bei der Tideelbe sind es dagegen über hundert Kilometer.
Welchen Einfluss hat diese Wasservermischung auf Tiere und Pflanzen?
Die Elbe bringt mit ihrer Strömung Nährstoffe mit, die sogar bis in die küstennahe Nordsee gelangen. Aus diesem Gebiet strömt wiederum Salzwasser mit der Flut in den Fluss hinein. Dieses Nordseewasser trägt Sedimente und Schlick bis in den Hamburger Hafen hinauf. So entsteht am Oberlauf der Elbe eine Mischzone mit einerseits sehr fruchtbaren Böden und andererseits eher salzigem Wasser, das wegen dieser Böden aber dennoch nährstoffreich ist. Meeres- und Flussbewohner können hier deshalb beide leben und zusammen Nahrungsketten bilden.
Wie sieht so eine Nahrungskette aus?
Schweinswale etwa leben eigentlich im Meer. Trotzdem werden sie im März und April immer wieder im Hamburger Hafen gesichtet – also weit im Landesinneren am Ende der Tideelbe. Die Wale kommen dorthin, weil sie den Schwärmen des Stints folgen, eines kleinen Fisches, den sie jagen. Der Stint wiederum lebt als ausgewachsenes Tier im Meer, schwimmt aber zum Laichen auch in die Hamburger Tideelbe. Sein Nachwuchs wächst dort auf und ernährt sich von Ruderfusskrebschen und anderen Kleinstlebewesen. Dabei dient er dann zum Beispiel der Seeschwalbe und dem Zander als Nahrung. Der Stint ist also das zentrale Glied einer Nahrungskette in der Tideelbe: Er sichert den Bestand von Schweinswal, Seeschwalbe und Zander.
Warum ist die Tierwelt der Tideelbe gefährdet?
Das hat etwas mit der Vertiefung der Fahrrinne für die Schifffahrt zu tun. Dadurch können größere Wassermengen schneller durch die Tideelbe fließen. So kommt mehr Nordseewasser hinein, was den Salzgehalt des Flusses und des Grundwassers erhöht. Dadurch gerät das Gleichgewicht zwischen Salz- und Süßwasser aus dem Lot.
Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die regenarmen Sommer der letzten Jahre, die dazu geführt haben, dass der Tideelbe noch mehr Süßwasser fehlt. Für den Stint zum Beispiel hat das einschneidende Folgen: Er findet seit einiger Zeit keine guten Laichbedingungen mehr vor; sein Bestand schwindet rapide. Deshalb ziehen mittlerweile auch keine Schweinswale mehr die Elbe hinauf und die Seeschwalbe findet immer weniger Futter, denn sie ernährt sich in diesem Gebiet fast ausschließlich vom Stint. Und auch der Bestand des Zanders bricht ein – und die lokalen Fischer und Angler können diesen Speisefisch nicht mehr fangen.
Der Tideelbe droht momentan ein Artensterben – nicht nur bei dieser Nahrungskette. Die zunehmende Versalzung wirkt sich übrigens auch auf die lokale Wirtschaft aus: Die Bauern im Alten Land können mittlerweile kein Elbwasser mehr zum Obstanbau nutzen, das sie umsonst aus dem Fluss pumpen können. Jetzt müssen sie ihre Bäume mit Leitungswasser bewässern, was ihnen zusätzliche Kosten verursacht.
Die Ringvorlesung "Faszination Tideelbe"
Vorlesungsbeginn: Montag, 29.10.2019
Termin und Ort: montags, 19.00–20.30 Uhr, Biozentrum Grindel, Martin-Luther-Platz 3, Kosswig Hörsaal.