„Lebenszeichen“: Eine Ausstellung im Medizinhistorischen Museum zeigt Fotopostkarten aus den Lazaretten des Ersten Weltkriegs
18. Oktober 2018, von Daniel Meßner
Verwundete Soldaten verschickten im Ersten Weltkrieg Fotopostkarten aus dem Lazarett – das häufig notdürftig in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen oder Theatern eingerichtet war. Die persönliche Nachricht war meist das erste Lebenszeichen, das Angehörige von den Verwundeten erhielten. Eine Ausstellung im Medizinhistorischen Museum wirft einen Blick auf die „Lazarettstadt“ Hamburg und gibt Einblicke in medizinische, soziale und kulturelle Aspekte der Krankenversorgung. Dr. Monika Anekele hat die Ausstellung, die durch eine Ringvorlesung begleitet wird, gemeinsam mit Henrik Eßler kuratiert.
Warum zeigt das Medizinhistorische Museum eine Ausstellung mit Postkarten aus Lazaretten?
Das Thema der Ausstellung ist mehr oder weniger durch Zufall an uns herangetragen worden: Der Heidelberger Historiker Prof. Dr. Wolfgang Eckart hat dem Medizinhistorischen Museum seine Sammlung an Feldpostkarten, die Verwundete im Ersten Weltkrieg aus dem Lazarett an ihre Angehörigen geschickt haben, angeboten. Und kurze Zeit später wurde uns ein weiterer Bestand an Lazarett-Postkarten von Klaus Pinker, einem Mitglied des Freundes- und Förderkreises des UKE, übergeben, die einen gesonderten Blick auf die „Lazarettstadt Hamburg“ ermöglichten. Und so kam die Idee, auf Basis dieser beiden Sammlungen eine Ausstellung zu den Lazaretten des Ersten Weltkriegs zu gestalten.
Was interessiert Sie an den Postkarten?
Gemeinhin würde man ja denken, dass das Wesentliche einer solchen Karte ihr Inhalt ist: Das, was die Verwundeten an ihre Angehörigen schreiben, was sie mitteilen wollen, was sie schriftlich festhalten. Für mich ist das Spannende an den Karten aber vielmehr die Funktion von Schrift und Bild. Denn die Schreibenden teilten sich eben nicht nur über den Textinhalt mit, sondern in noch stärkerer Weise über die Handschrift und das fotografische Porträt. Beides bezeugte quasi als sichtbare Spur ihres Körpers, dass sie am Leben waren, und konnte vielleicht für einen Moment die Distanz zwischen Absender und Adressat überbrücken. Die zentrale Botschaft der Karten lautet „Ich bin noch am Leben“.
Was war die Herausforderung bei der Konzeption der Ausstellung?
Die Herausforderung lag für uns darin, diese Masse an Karten in eine Ordnung zu bringen, auf der die Erzählung der Ausstellung dann aufbauen kann. Wir wollten keine Ausstellung machen, in der die Karten nur eine illustrative Funktion haben, sondern wir wollten die Karten ins Zentrum der Ausstellung stellen.
Die Kapitel, die wir gewählt haben, entfalten sich jeweils über eine bestimmte Auswahl an Motiven. Sie zeigen zum Beispiel Patienten, die in den strahlend weißen Betten der Lazarette liegen oder auf denen der Verband als bildästhetisches Mittel im Zentrum steht. Im Gegensatz zu anderen Ausstellungen, sind es bei uns eher die Exponate, wie eine Fotokamera oder eine Pickelhaube, die eine illustrierende Funktion haben. Hier war der Dialog mit der Ausstellungsgestalterin und Künstlerin Katrin Mayer von unschätzbarem Wert, die ganz zentrale Funktionen des Lazaretts in das Display der Ausstellung übersetzt hat.
Was ist das Highlight der Ausstellung?
Eines der Highlights der Ausstellung ist für die Hamburgerinnen und Hamburger bestimmt der Teil zur „Lazarettstadt Hamburg“. Auf einer großen Stadtkarte findet sich ein Großteil der Einrichtungen verzeichnet, die zwischen 1914 und 1918 in Hamburg als Lazarett genutzt wurden.
Parallel zur Ausstellung läuft eine Ringvorlesung: Um welche Themen geht es da?
Die Ringvorlesung gibt die Möglichkeit, über unterschiedliche Formate wie Vorträge, eine Stummfilmvorführung und eine Lesung einzelne Aspekte der Ausstellung zu vertiefen und in einen Dialog mit den Besucherinnen und Besuchern zu kommen. Prof. Dr. Wolfgang Eckart wird anhand seiner Sammlung über die Bedeutung der Feldpostkarten aus den Lazaretten des Ersten Weltkriegs sprechen, er hat ja sehr viel zum Verhältnis von Krieg und Medizin geforscht.
Prof. Dr. Heinz-Peter Schmiedebach wird in seinem Vortrag einen gesonderten Blick auf die Behandlung der sogenannten Kriegsneurotiker und die Lazarette werfen, die eigens für diese Patientengruppe eingerichtet wurden.
In einer Lesung mit Christoph Grissemann werden wir – ausgehend von Selbstzeugnissen sowie autobiographischen Aufzeichnungen von Ärzten, Pflegenden und Verwundeten – den Erfahrungsraum des Kriegslazaretts erkunden, den die Feldpostkarten mit ihrer zentralen Botschaft des „Mir geht es (noch) gut“ nur bedingt offenbaren.
Und beim letzten Termin werden wir im Sektionssaal den Stummfilm „Nerven“ aus dem Jahr 1919 zeigen, der von der Pianistin Eunice Martins live vertont wird. Dr. Philipp Stiasny vom Filmmuseum Potsdam wird eine Einführung zum Film geben, der wohl einer der ungewöhnlichsten und verworrensten Filme der unmittelbaren Nachkriegszeit ist und das psychische Erbe des Krieges vor Augen führt.