Vom autonomen Uni-Seminar zum größten Queer-Filmfest Deutschlands
16. Oktober 2018, von Viola Griehl
Foto: Mongrel Media
Am 16. Oktober starten wieder die „Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg - International Queer Film Festival“ (LSF). Das mit jährlich mehr als 15.000 Besucherinnen und Besuchern größte queere Filmfestival Deutschlands wurde kürzlich mit dem Max-Brauer-Preis der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. ausgezeichnet. Hervorgegangen ist es aus einem autonomen Seminar zum Thema „Homosexualität im Film“, das 1988/89 an der Universität Hamburg im Rahmen von studentischen Protestaktionen zum Thema Studienreformen stattfand. Sylke Jehna gehört zu denen, die vor fast 30 Jahren dabei waren.
Frau Jehna, wie wurde aus einem Uni-Seminar das größte queere Filmfest Deutschlands?
Das war zur Zeit des großen Uni-Streiks. Da gab es nicht nur Protestaktionen, sondern auch viele kreative Veranstaltungen, bei denen es um selbstbestimmtes Lernen ging. Wir waren um die 15 Studierende und haben ein autonomes Seminar „Homosexualität im Film“ in der Germanistik organisiert. Es stand unter der Schirmherrschaft des Literatur- und Medienwissenschaftlers Manfred Schneider, der im Semester davor das Seminar „Rollen und Klischees im Film“ angeboten hatte. Wir haben in dem Seminar eine Bestandsaufnahme lesbischer und schwuler Porträts vorgenommen und die Stereotypen im Hollywood-Kino analysiert. Dazu haben wir Filme in unterschiedlichsten Formaten und aus verschiedensten Quellen gesichtet – von 35mm bis VHS-Video, Uni-Archiv, Videotheken oder aus Privatbesitz.
Das Ergebnis unserer Analyse war so einseitig wie traurig: Die Lesben und Schwulen im Film waren stets unglücklich und endeten als Mörder oder Selbstmörderinnen. Also haben wir selbst die Kamera in die Hand genommen und das Ganze ironisch aufbereitet. Unser Video „Keine Chance für die Liebe“ sollte eigentlich vor allem der Dokumentation und dem Scheinerwerb dienen. Aber weil so viele Leute das Projekt begleitet hatten und neugierig waren auf das Ergebnis, musste dann ein entsprechender Aufführungsort für 200 Leute her. Da das Metropolis Kino mit der Universität zusammenarbeitet und auch Newcomern einen Raum bietet, haben wir den Verein Kommunales Kino Hamburg e.V. angesprochen.
Inwieweit ist es damals schon darum gegangen, das Ganze zu verstetigen?
Wir haben gleich gedacht, dass es schade wäre, wenn nur wir all die interessanten Sachen sehen. Im Mainstream-Kino oder im Fernsehen gab es solche Filme ja selten bis gar nicht und sie thematisierten nur AIDS, Krankheit, Tod und Verzweiflung. Als wir dann am 21. Januar 1990 unseren Film gezeigt haben, war das zugleich die Geburtsstunde der LSF. Die Zusammenarbeit mit dem Metropolis Kino war so gut gelaufen, dass wir es auf eine lesbisch-schwule „Filmreihe“ ansprachen. Die ersten LSF fanden dann vom 20. bis 25. Juni 1990 statt. Nachdem das so riesigen Anklang fand – es hat damals jedes Medium berichtet – hat sich schnell abgezeichnet, dass daraus was Dauerhaftes werden muss. Wir wollten andere Perspektiven und Herangehensweisen an das Thema zeigen. Und so haben wir auch die Idee des Kurzfilmwettbewerbs URSULA entwickelt, um Filmen abseits vom Mainstream, also aus der queeren Szene heraus gemacht, eine Plattform zu bieten. Der Wettbewerb, eine Art Seismograph der queeren Filmwelt, besteht in erweiterter Form bis heute.
Das Festival wird von engagierten Lesben, Schwulen und Queers für die queere Community organisiert – inwiefern ist es auch für Leute außerhalb der Community von Bedeutung?
Das Festival ist im Kern für die Community gemacht und wird auch so wahrgenommen: als DAS Ereignis innerhalb des queeren Jahres! Trotzdem ist das Festival auch außerhalb der Community interessant. Es hat ja eine politische Botschaft, auch deshalb haben wir und wünschen wir uns ein breites Publikum. Und für Cineasten ist es egal, ob es im Film um eine homo- oder eine heterosexuelle Beziehung geht, wenn der Film gut ist. Die Themenvielfalt des Festivals hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt, sie ist größer geworden. Es geht nicht nur um das Thema „sexuelle Orientierung“, sondern auch um Alter, Kinderwunsch, oder Transidentität. Und auch darum, warum es selbst heute noch für viele Jugendliche schwer ist, den Eltern oder Freunden von ihrer lesbischen oder schwulen Beziehung zu erzählen. Gerade diesen Themen wünschen wir ein vielfältiges Publikum.
Heterosexuelle Schauspielerinnen oder Schauspieler können Schwule, Lesben oder Queers spielen – was ist mit denen, die im wirklichen Leben offen schwul, lesbisch oder queer leben und in der Schauspielbranche arbeiten, können sie inzwischen problemlos jede, auch heterosexuelle, Rolle bekommen?
Es gibt eher keine offene Diskriminierung mehr und es gibt ja auch Beispiele von Frauen und Männern aus der Filmbranche, die sich als lesbisch oder schwul geoutet haben und weiterhin im Geschäft sind. Das ist toll, denn diese Schauspielerinnen und Schauspieler sind Identifikationsfiguren und Vorbilder. Dennoch glaube ich, dass die Festlegung in den Köpfen der Filmverantwortlichen und auch der Zuschauerinnen und Zuschauer durchaus noch da ist, und ich kann deshalb verstehen, warum die eine oder der andere sich nicht outen mag.
Welches sind die Schwerpunktthemen des diesjährigen Festivals?
Die Unterschiedlichkeit der Filme macht nach wie vor das Besondere unseres Festivals aus. Es gibt alles von Kurzfilmen über Klassiker. Thematisch geht es in diesem Jahr unter dem Hashtag #mybodyispolitical zum Beispiel um die politische Dimension von Körpern – ob transident oder genderfluid – Körper außerhalb der Norm werden auf der Leinwand zu sehen sein, behinderte ebenso wie dicke. Unter #reelfeminism versammeln sich einerseits Filme von Regisseurinnen, die die Genderungerechtigkeit in der Filmbranche diskutieren und andererseits Filme, die sämtliche Facetten feministischer Kämpfe porträtieren, sei es in Burkina Faso oder Paraguay. Neu ist, dass es in diesem Jahr eine Schulvorstellung geben wird. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern diskutiert eine Darstellerin aus Südafrika die universellen Themen Sexismus, Rassismus und Klassismus Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid. Mit diesem Format verfolgen die Filmtage ihren Anspruch, queere Filmkultur einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Podiumsdiskussion „Queer in Serie“ wird es darum gehen, inwieweit sich queere Serienfiguren im Zeitalter des Internetstreamings verändert haben. Und auch die Universität Hamburg wird während der diesjährigen Filmtage durch die Filmkooperationen des Zentrums GenderWissen sowie das Queer-Referat des AStA vertreten sein.
Weitere Infos und Programm: https://www.lsf-hamburg.de/festival/2018/timetable