175 Jahre Naturhistorisches Museum HamburgZurück sehen, um nach vorne zu schauen
16. Mai 2018, von Anna Priebe
Bis 1943 hatte Hamburg ein Naturhistorisches Museum, das am 17. Mai 1843 offiziell gegründet wurde und damit in diesem Jahr sein 175-jähriges Bestehen gefeiert hätte. Trotz der Zerstörung des am Steintorwall in der Nähe des Hauptbahnhofes gelegenen Gebäudes durch Brandbomben im 2. Weltkrieg bilden die historischen Bestände die Grundlage für die naturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität Hamburg. Ein Interview mit Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, wissenschaftlicher Direktor des Centrums für Naturkunde der Universität Hamburg.
Das Naturhistorische Museum wurde 1843 gegründet und war schnell eines der bekanntesten in Deutschland. Wie muss man sich die damalige Ausstellung vorstellen?
Tatsächlich gab es anfangs gar keine Ausstellung, sondern vielmehr nur eine Art „virtuelles Museum“. Damals gründete der seit 1837 aktive Hamburgische Naturwissenschaftliche Verein gemeinsam mit dem – damals ja eigenständigen Hamburger Staat das Hamburger Naturhistorische Museum, indem man verabredete die naturkundlichen Bestände beider Seiten zusammenzuführen. Zur Leitung wurde eine paritätisch zusammengesetzte achtköpfige „Museums-Commission“ eingesetzt.
Es blieb auch lange in erster Linie eine Absichtserklärung, möglichst bald tatsächlich ein Museum zu bauen. Durch Wirtschaftskrisen und andere einschneidende Ereignisse in der Stadt, etwa Brände, hat sich das aber ein halbes Jahrhundert hingezogen. Erst Anfang der 1880er-Jahre wurden dann der erste Direktor und die ersten beiden Kuratoren bestellt. Im Jahr 1891 konnte dann das neue Museumsgebäude am Steintorwall eingeweiht werden. Das wurde dann für ein weiteres halbes Jahrhundert das meistbesuchte Naturkundemuseum in Deutschland.
Woher stammten denn die beschriebenen Bestände, die Basis des Museums waren?
Der Senat hatte Bestände im Sinne einer Lehrsammlung, die im Johanneum sowie dem Akademischen Gymnasium eingesetzt wurden. Auf Seiten des Naturhistorischen Vereins waren es Privatsammlungen der Mitglieder. Mit dem Narwalschädel unserer Sammlung lässt sich das sehr gut illustrieren: Der ist 1684 durch die Grönland-Fahrt von Walfängern über Hamburger Kaufleute in die Privatsammlung des Peter Friedrich Röding gelangt. Solche Sammlungen waren damals häufig, etwa auch das Museum Boltenianum, benannt nach dem Arzt Joachim Friedrich Bolten. Gezeigt wurden diese Bestände Interessierten in den jeweiligen Privaträumen von Bürgern, Apothekern oder anderen, die ein intensives Interesse an Naturkunde hatten.
Wichtig wurde für Hamburg vor allem das Museum Godeffroy, das als erstes privates Museum 1861 in den Kontor-Räumen des Reeders Johan Cesar VI Godeffroy eröffnete. Er war als reicher Kaufmann in der Lage, nicht nur als erster eigens für seine Sammlung einen Kurator einzustellen, sondern auch gezielt über mehr als ein Jahrzehnt Sammler in die Südsee auszuschicken, die in seinem Auftrag dort Naturalien gesammelt haben.
Welche Rolle spielte damals Forschung?
Im Grunde gab es diese in unserem heutigen Sinne damals noch nicht. Naturkunde bestand im Sammeln und Beschreiben, also einem Interesse der Kaufleute und anderer, die das zu ihrem Hobby gemacht haben. Wissenschaftliche Betätigung gab es dann eigentlich erst mit den beiden ersten Kuratoren des Naturwissenschaftlichen Vereins und dem zweiten Direktor Karl Matthias Kraepelin. Er hat sich um die Leitung und Beforschung der Sammlungen gekümmert, wissenschaftlich gearbeitet und war auch bei der Gestaltung der Ausstellung im Museum involviert. Die Kuratoren Johann Georg Pfeffer und Wilhelm Michaelsen forschten bis in die 1920er-Jahre in diesem Haus mit den Sammlungen. Michaelsen hat mit den Regenwürmern der Hamburger Sammlung etwa die Kontinentaldrift-Theorie von Alfred Wegener belegt und ist damit ein leuchtendes Beispiel für den frühen Nutzen solcher Museumssammlungen für die Erforschung naturkundlicher Theorien.
Die Sammlungen wurden im 2. Weltkrieg unterschiedlich stark beschädigt. Wie groß waren die Verluste durch die Zerstörung des Museums 1943?
Wir haben da nur einen groben Überblick. Man kann davon ausgehen, dass alles zerstört wurde, was in der Ausstellung war. Es gab damals eine große Halle, wo alle großen Exponate gezeigt wurden, zum Beispiel Walskelette, sowie kleinere Objekte in Vitrinen. In den Galerieumgängen standen zudem große Schränke, in denen weitere Sammlungsbestände aufbewahrt wurden – quasi die heutigen Magazine. Alles, was in der Halle und in den Schränken war, ist zerstört worden.
Das betraf vor allem die Trockenpräparate, denn kurz vor der Bombardierung wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Vogelsammlung sowie die Alkoholpräparate evakuiert. Das waren ja zehntausende Liter Alkohol, also quasi Brandbeschleuniger mitten in der Stadt. Als die ersten Städte bombardiert wurden, hat man in Hamburg angefangen, diese Sammlungsteile in stillgelegten U-Bahn-Schächten auszulagern. Dadurch wurde ein nicht unerheblicher Teil der gesamten historischen Sammlung gerettet – das ist eines der wertvollsten Vermächtnisse für die heutige zukunftsgewandte Umweltgeschichtsforschung.
Die Sammlungen kamen in den 1960er-Jahren an die Universität. Welche Rolle spielen die historischen Sammlungen heute für die Forschung?
Die Sammlungen gingen 1969 per Verfügung an die Universität und wurden dann im neugeschaffenen botanischen und zoologischen Institut untergebracht. Die Kuratoren, die mit übernommen wurden, haben weiterhin Forschung betrieben, ihre Sammlungs- und Kuratorenarbeit aber war durch zunehmende Lehrverpflichtungen immer stärker eingeschränkt.
Inzwischen haben wir die historischen Sammlungen als ein Archiv des Lebens erkannt, gleichsam als ein Tagebuch der Natur. Wir sind ja in erster Linie immer noch mit der großen Aufgabe beschäftigt, die weltweite Biodiversität zu inventarisieren. Und das, was wir in den Sammlungen haben, ist unsere Referenz dafür, was schon beschrieben wurde und was neu ist. Immer häufiger finden wir durch neue Methoden auch in den Sammlungen neue Arten, die nach dem Sammeln nicht als solche erkannt wurden. Wenn es also um Biodiversität und ihre Erforschung geht, sind die Sammlungen unglaublich wichtig.
Hinzu kommt, dass die Sammlungen auf einmalige Art und Weise Umweltgeschichte dokumentieren. Aus einer Sammlung von Wildbienen kann man zum Beispiel häufig auch Pollen gewinnen, die die Bienen in den Blütenpflanzen gesammelt haben. Wenn man den jeweils artspezifischen Blütenpollen unter einem Rasterelektronenmikroskop analysiert, kann man die Vegetation von vor 150 Jahren rekonstruieren. Sammlungsstücke kann ich auch anhand von Isotopen oder der Zusammensetzung von Mineralien untersuchen, zudem kann ihnen oft DNA entnommen werden; das heißt, ich habe für sehr moderne Untersuchungsmethoden in den Sammlungen haptische Belege, die es zum Teil in der Natur gar nicht mehr gibt. Durch die Rekonstruktion der Vergangenheit sind dann auch bessere Prognosen für die Zukunft möglich. Wir sehen quasi zurück, um nach vorne schauen zu können.
Lesung am 17. Mai
Anlässlich des 175. Jahrestages der Gründung findet im Zoologischen Museum eine Lesung statt, die vom CeNak und dem Naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg veranstaltet wird.
Am 17. Mai um 19 Uhr stellt die Potsdamer Historikerin Dr. Susanne Köstering ihr neues Werk „Ein Museum für Weltnatur“ vor – das erste Buch, das sich umfassend mit der wechselvollen Geschichte des Naturhistorischen und Zoologischen Museums in Hamburg beschäftigt.
Der Eintritt ist frei.