Internationaler Tag der Familie„Früher waren wir mehr draußen…!? Die Rolle der Medien im Familienalltag“. Interview mit dem Soziologen Andreas Hedrich
15. Mai 2018, von Giselind Werner
Foto: privat
97 Prozent der 12- bis 19-Jährigen besitzt heutzutage ein Smartphone. Damit haben digitale Geräte einen festen Platz im Alltag von Kindern und Jugendlichen: Sie surfen, chatten, spielen, streamen laut einer Studie aus dem Jahr 2017 an die vier Stunden pro Tag. Aber was bedeutet die Nutzung digitaler Medien für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen? Diplom-Soziologe Andreas Hedrich unterrichtet Medienbildung in der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Seine Arbeit als Medienpädagoge stellt er am 18. Mai im Rahmen des Internationalen Tags der Familie an der Universität Hamburg vor.
Gibt es viele Eltern, die beklagen, dass ihre Kinder durch ständigen Medienkonsum weniger an der frischen Luft sind?
Nein, nicht viele, aber irgendwie schwingt die Meinung immer mit. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass der Blick auf die eigene Kindheit oftmals verklärt ist. Auf den Fotos der eigenen Kindheit sehe ich mich ja selten vor einem Fernseher oder Radio, eher an einem Strand, auf einem Berg oder mit dem neuen Fahrrad auf der Straße. Die schönsten Erlebnisse, die uns in Erinnerung bleiben, sind oft draußen. Aber die Großstadt lud auch in den 1970er Jahren nicht andauernd zum Draußensein ein.
Geblieben ist der Wunsch, gemeinsam etwas zu erleben, zu kommunizieren und sich auszutauschen. Das machen Kinder und Jugendliche heute eben auch mit Hilfe digitaler Medien – was sie zugleich nicht davon abhält, auch draußen zu sein.
Wie sieht denn die Mediennutzung im Familienalltag genau aus?
Mediengeräte sind omnipräsent. Das Smartphone ist ständiger Begleiter der meisten Familienmitglieder und die Nutzung von mobilen Geräten beginnt immer früher, also auch schon im Kleinkindalter.
Jeder und jede in der Familie kann seinen und ihren Interessen beim Konsum der verschiedenen Medieninhalte nachgehen. Es gibt nicht mehr den Fernseher, das Radio, den Computer, sondern viele Geräte, auf denen Inhalte konsumiert werden können.
So verbringen Familien auch jetzt noch viel Zeit miteinander, lassen sich von sehr unterschiedlichen Inhalten unterhalten und gleichzeitig sind auch immer Freunde und andere Gruppen, mit denen man über Social-Media-Kanäle verbunden ist, ständig dabei.
Was hat ein exzessiver Medienkonsum für Konsequenzen?
Welcher Konsum ist denn exzessiv? Dafür gibt es in der Wissenschaft bisher kein objektives Kriterium. Die Messkriterien sind je nach Sichtweise sehr unterschiedlich. Eltern empfinden den Konsum digitaler Medieninhalte natürlich schneller als exzessiv und schädlich als Kinder und Jugendliche, aber auch als ich als Medienpädagoge das beurteilen würde, da man immer darauf gucken muss, welche Inhalte und nicht welche Geräte genutzt werden.
Konsequenzen hat diese verschiedene Wahrnehmung zunächst einmal im Familienalltag und in täglichen Erziehungssituationen. Vor allem das Unverständnis für die verschiedenen Positionen und Vorlieben bei der Mediennutzung sind hier Streitanlässe.
Extreme Konsequenzen, bei denen wir auch von Sucht sprechen können, sind dann festzustellen, wenn verschiedene Sucht-Faktoren zusammenkommen, z.B. die Vernachlässigung der Körperpflege, das Fehlen von sozialen Kontakten und die Abschottung von der Außenwelt. Solche oder andere Faktoren müssen gemeinsam und über einen längeren Zeitraum auftreten, bevor von Sucht gesprochen werden kann.
Welche Rollen spielen dabei Vorbilder, bspw. Eltern?
Eine große Rolle. Kinder lernen alles von ihren Eltern und gucken sich deren Verhaltensweisen ab. Wenn ich bei einem Elterngespräch die Eltern, die sich über den exzessiven Gebrauch des Smartphones beim Kind beschweren, bitte, selbst einmal ein Medientagebuch zu führen, sind diese immer wieder erstaunt, wie oft sie selbst zum Handy greifen. Das heißt nicht, dass Erwachsene das nicht dürfen, aber sie müssen sich dessen bewusst sein.
Ganz auf digitale Medien zu verzichten ist nicht möglich, vor zu viel Medienkonsum haben viele Angst. Wofür plädieren Sie?
In pädagogischer Hinsicht: Erziehung umfasst auch Medienerziehung. Ich würde es auf wenige Grundsätze reduzieren: Geben Sie dem Kind Raum, über Medienerlebnisse zu sprechen, nehmen Sie sich Zeit und lassen Sie sich gemeinsam auf bestimmte Medieninhalte ein. Setzen sie Grenzen, die Sie für Ihr Kind für richtig halten.
Zugleich muss in der öffentlichen Debatte klargemacht werden, dass die Förderung von Medienkompetenz zentral ist, um Medien selbstbestimmt, kritisch und verantwortungsbewusst zu nutzen und damit wichtige Kompetenzen für unsere Gesellschaft zu erwerben.
Meine Einschätzung ist: Es mangelt noch an der Umsetzung von sinnvollen Konzepten für Kita und Schule, für Jugendeinrichtungen und Elternschulen und vieles mehr. Da könnte in der Zukunft noch mehr passieren.