5 Fragen an … Lena van Beek„Alle Geschichten sind nur so gut wie ihre Monster“Im Sommersemester beschäftigen sich Studierende in einem Seminar mit Monstern und Fabelwesen
3. April 2018, von Daniel Meßner
Foto: UHH/Dingler
Die Literaturwissenschaftlerin Lena van Beek erforscht in ihrer Promotion Riesen in der Literatur des Mittelalters. Im Sommersemester bietet sie ein Seminar an, bei dem Studierende sich nicht nur mit mittelalterlichen Fabelwesen und Monstern beschäftigen werden, sondern auch guten Grund haben, in das Harry Potter-Universum einzutauchen.
Was ist eigentlich ein Monster?
Wenn man heute die Frage nach der Definition eines Monsters stellt, antworten die meisten mit Synonymen wie Ungeheuer, Scheusal oder Fabelwesen. Monster können heute alle Wesen sein, die Schrecken oder Ekel hervorrufen. Meist sind sie auch noch hässlich und stellen eine Bedrohung für Menschen dar.
Was unterscheidet mittelalterliche Monster von modernen Monstern?
Das Mittelalter hat eine andere Monsterdefinition als heute. In den meisten Texten, die wir im Seminar lesen werden, kommt in den Originalsprachen der Werke dieser Begriff nicht vor, der heute eine andere Semantik hat und eine Art Sammelbecken für bedrohliche oder abstoßende Wesen darstellt.
In den „Etymologien“ Isidors von Sevilla etwa, ein Werk, das für das Mittelalter als universelles Wissenskompendium gilt, wird das Wort „monstra“ auf das lateinische Verb „monstrare“ zurückgeführt, was so viel wie „zeigen“ bedeutet. Die Wesen, die Isidor aufführt, zeigen etwas an und sollen ermahnen. So glaubte man beispielsweise, dass missgebildete Säuglinge eine Katastrophe oder ähnliches ankündigen. Andererseits wurden Wesen, die vom üblichen Aussehen der Menschen abwichen, als Wundervölker bezeichnet, von denen man glaubte, dass sie am Rande der Welt existierten.
Es gibt beispielsweise kleinwüchsige Pygmäen und Riesen, die Hundsköpfigen oder die Skiapoden. Diese besitzen nur einen Fuß, mit dem sie sich an heißen Tagen selbst Schatten spenden. Sie können im Rahmen einer Erzählung durchaus ambivalent dargestellt werden und sind in erster Linie anders und Anlass zum Staunen über die Schöpfungskraft Gottes.
Was lernen die Studierenden im Seminar?
Ausgehend von modernen Vorstellungen über Monster, Tiere und Fabelwesen wollen wir mittelalterliche Konzepte des Monströsen untersuchen. Wir lernen einerseits Texte zu verstehen, die in einer anderen Zeit und auch in anderen Sprachstufen entstanden sind, andererseits uns literaturwissenschaftlich damit auseinanderzusetzen.
Daneben wird es aber auch ein bisschen technisch: Ich bin in der Redaktion des wissenschaftlichen Blogs „Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte“ tätig und führe auch selber ein Blog, „Die Mediävistinnen“, und empfinde diese Form der Zusammenarbeit als extrem produktiv und motivierend. Daher sollen die Studierenden, statt einer normalen Hausarbeit, selbst zwei bis drei Blogeinträge zu unterschiedlichen Themen verfassen. Wir bilden im Seminar eine Redaktion, die Hilfe beim wissenschaftlichen Schreiben und bei der Qualitätssicherung der Beiträge leistet. So erfahren die Studierenden eine intensive Betreuung im Schreibprozess und am Ende steht nicht nur eine Hausarbeit, die vielleicht maximal drei Leute lesen, sondern frei verfügbare Inhalte, die auch anderen Leserinnen und Lesern Freude bereiten und Wissen vermitteln. Ich bin sehr gespannt, ob dieses Experiment funktioniert! Wer mitlesen möchte: http://fantastic-beasts.blogs.uni-hamburg.de/
Warum lesen Sie im Seminar einen modernen Roman, „Fantastic Beasts“ von J.K. Rowling, um etwas über mittelalterliche Monster zu erfahren?
Ich hatte seit längerem schon Lust, ein Seminar über Monster zu geben, da ich selber zu Riesen forsche. Allerdings sind die Texte, die dafür interessant sind, nicht nur literarische Werke wie z.B. „Beowulf“ oder „Herzog Ernst“, sondern auch Quellen, die unter modernen Kriterien keine erzählenden Texte sind, sondern Nachschlagewerke wie die „Etymologien“ oder mittelalterliche Bestiarien.
Ein bekanntes Bestiarium, der „Physiologus“, stellt Tiere und das, was wir heute eher als Fabelwesen klassifizieren würden, also Einhörner oder Greifen z.B., in einem christlichen Zusammenhang vor. J.K. Rowling rezipiert bei „Fantastic Beasts and where to find them“ die Struktur mittelalterlicher Bestiarien, z.B. gibt es Illustrationen der Tiere in einem holzschnittartigen Look und mittelalterlich anmutende Initialen am Anfang der Einträge.
Während im Mittelalter der Zweck der Bestiarien neben Wissensvermittlung die Allegorese der Tiere und Fabelwesen ist, steht im Roman „Fantastic Beasts“ eher der Umgang mit den Tierwesen und deren Schutz oder die Verwertung ihrer Produkte in der Magie im Mittelpunkt, beispielsweise die Phönixfeder in Harry Potters Zauberstab. Man kann immer nur von der Gegenwart aus in die Vergangenheit schauen, und ich habe in der Lehre die Erfahrung gemacht, dass ein neuzeitlicher Aufhänger und ein anfänglicher Vergleich zweier vollkommen unterschiedlicher Denkstrukturen eine hervorragende Diskussionsvorlage bilden.
Welche Rolle spielten Monster im Mittelalter?
Wir lesen im Zusammenhang mit dem mittelalterlichen Heldenepos „Beowulf“ auch einen Aufsatz von J.R.R. Tolkien, in dem er die Rolle der Monster im Werk vehement gegen Kritiker verteidigt. Diese Kritiker halten die Monster für überflüssig und rümpfen die Nase: Sie würden den literarischen Wert des Werkes trüben und billig wirken. Alle Geschichten sind nur so gut wie ihre Monster. Was wären Beowulf ohne Grendel, Dietrich von Bern ohne Riesen, Geralt of Rivia ohne Ghoule? Sie dienen epochenübergreifend als Bedrohung einer bestehenden Ordnung, und um diese wieder herzustellen braucht es außergewöhnliche Protagonisten. Insofern sind Monster ein zeitloses Erzählschema und Faszinosum.