Serie „Namenspatenschaft“: Albrecht Mendelssohn BartholdyEin Wegbereiter deutscher Friedensforschung
11. Oktober 2021, von Niklas Keller
Foto: Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte der Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee, Anna-Siemsen-Hörsaal oder Von-Melle-Park: Gebäude und Straßen erzählen mit ihren Namen Geschichten rund um die Universität und ihre Fächer. 19NEUNZEHN stellt die Personen hinter diesen Namen vor. Dieses Mal: Albrecht Mendelssohn Bartholdy – Rechtswissenschaftler, Musiker und Dichter.
„Was Liebe tut: Ins tiefe Meer / wirft sie den Ring /
und sagt: die Liebe kennt nur / wer drin unterging.“
Diese Zeilen stammen nicht etwa von einem Lyriker des Sturm und Drang, sondern von Albrecht Mendelssohn Bartholdy, einem der bekanntesten Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts. Er war 13 Jahre lang Professor an der Hamburgischen Universität und Begründer eines der ersten Friedensforschungsinstitute der Welt. Heute ist einer der Hörsäle im Hauptgebäude nach ihm benannt.
Geboren am 25. Oktober 1874 in Karlsruhe, begann Mendelssohn Bartholdy mit 18 Jahren ein Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Leipzig, Heidelberg und München. In Leipzig wurde er 1897 promoviert, 1901 habilitierte er sich und erhielt dort bald darauf eine außerordentliche Professur. 1905 wechselte er nach Würzburg, um an der dortigen Universität eine ordentliche Professur für Zivilprozessrecht und Bürgerliches Recht anzunehmen. Hier machte er sich in den kommenden 15 Jahren einen Namen, insbesondere als Experte für englisches Recht.
Zu seinen Leidenschaften gehörten neben dem Recht aber auch die Musik sowie das Schreiben, das in Gedichten Ausdruck fand. „Als Enkel des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy lagen diese künstlerischen Interessen schon familiär nahe“, sagt Prof.Dr. Rainer Nicolaysen, Leiter der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte der Universität Hamburg und Mendelssohn-Bartholdy-Biograph.
Friedensforschung in Hamburg
Bereits im Jahr 1919, als die Hamburgische Universität gegründet wurde, verfolgte man Pläne, Mendelssohn Bartholdy als Professor in die Hansestadt zu holen. „Seine Leistungen und seine Expertise waren international bekannt“, sagt Nicolaysen. Im Januar 1920 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft die Einrichtung einer ordentlichen Professur für Ausländisches Recht – eines Lehrstuhls, der eigens für Mendelssohn Bartholdy geschaffen wurde und nach dem Ersten Weltkrieg eine besondere Bedeutung hatte. „Im Krieg hatte Mendelssohn Bartholdy, anders als viele andere in seinem Umfeld, einen Kriegseinsatz abgelehnt und stattdessen humanitäre Arbeit, etwa in der Betreuung ausländischer Kriegsgefangener, geleistet“, so Nicolaysen. „Nach dem Krieg sah er sich als Vermittler und Versöhner und trat ganz bewusst als Repräsentant eines neuen demokratischen Deutschlands auf.“
Im März 1923 wurde das Institut für Auswärtige Politik gegründet, das – ähnlich wie der Lehrstuhl – ganz auf Mendelssohn Bartholdy zugeschnitten wurde. Einrichtungen dieser Art waren vorher nur in Großbritannien und den Vereinigten Staaten geschaffen worden, um Forschungen zur Verhinderung weiterer Kriege voranzutreiben. „Heute würde man dieses Institut wohl als demokratischen Thinktank bezeichnen“, so Nicolaysen.
Ein hoch angesehener Wissenschaftler
Schon bald wurde die Einrichtung als „Mendelssohn-Institut“ bekannt. Es war eines der ersten Friedensforschungsinstitute weltweit. „Das Institut hatte einen enormen Output – mit zahlreichen Publikationen, darunter einer eigenen Institutszeitschrift, erlangte es rasch Ansehen weit über Deutschland hinaus. Mit regelmäßigen Vortragsreihen und seiner hervorragenden Bibliothek wirkte es auch in die Stadt hinein“, erzählt Nicolaysen.
Mendelssohn Bartholdy war in seiner Zeit in Hamburg sehr gefragt; er hielt zahlreiche Vorträge, darunter die offiziellen Reden zum Tag der Weimarer Reichsverfassung in Hamburg 1923 und in Altona 1929, und war Mitglied verschiedener Organisationen und Gremien in der Hansestadt. Auch international zeigte sich sein hohes Ansehen, etwa an der Harvard University, die ihm 1927 als erstem deutschen Wissenschaftler nach dem Ersten Weltkrieg eine Ehrenpromotion verlieh.
Oxford als Zufluchtsort
Das Jahr 1933 änderte alles. „Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete den radikalen Bruch mit allem, wofür Mendelssohn Bartholdy eingetreten war. Er selbst verlor – nach rassistischer NS-Definition als ‚Nichtarier‘ – seine Professur und seinen gesellschaftlichen Status“, erklärt Nicolaysen. Im Jahr darauf musste der Rechtswissenschaftler auch als Leiter des Instituts für Auswärtige Politik zurücktreten.
Konfrontiert mit dieser zunehmenden Isolierung und dem Verlust jeglicher Arbeitsmöglichkeiten, emigrierte Albrecht Mendelssohn Bartholdy mit seiner Frau Dora und den beiden Töchtern 1934 nach Oxford, wo er sich mit der Rolle eines „Senior Fellow“ – eine Art Gastmitglied ohne festes Vertragsverhältnis – arrangieren musste. Nach nur zwei Jahren, im Alter von 62 Jahren, starb Mendelssohn Bartholdy im November 1936 an Magenkrebs. Aus Hamburg kam einzig seine langjährige Assistentin und engste Mitarbeiterin Magdalene Schoch zur Beerdigung. Sie hatte sich 1932 bei ihm als erste Juristin in Deutschland habilitiert und damit Wissenschaftsgeschichte geschrieben. In ihrem Nachlass fand Prof. Nicolaysen zahlreiche Lieder, die ihr Mentor verfasst und ihr gewidmet hatte.
Heute ist Mendelssohn Bartholdy an der Universität im Alltag wieder präsent: Er ist nicht nur – wie auch seine Doktorandin Magdalene Schoch – Namenspate eines Hörsaals; auch die „Albrecht Mendelssohn Bartholdy Graduate School of Law“ an der Fakultät für Rechtswissenschaft trägt seinen Namen. Sie bietet Doktorandinnen und Doktoranden eine Ausbildung, die sich an den Werten orientiert, für die Mendelssohn Bartholdy sein Leben lang stand: eine freiheitsliebende und weltoffene Rechtswissenschaft.
19NEUZEHN
Dieser Artikel ist in Ausgabe 17 des Hochschulmagazins 19NEUNZEHN zum Wintersemester 2021/22 erschienen. Die vollständige Ausgabe des Heftes sowie das Archiv der vergangenen Ausgaben finden Sie auf dem Online-Auftritt des Magazins.