Forschung in der Ferne
11. Oktober 2021, von Daniel Meßner / Anna Priebe
Foto: UHH/Knut Heinatz
Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität forschen nicht nur in Hamburg, sondern sind in verschiedenen Regionen der Welt unterwegs. Die Pandemie hat das fast unmöglich gemacht. Fünf Forschende berichten, was ihre Arbeit in der Ferne ausmacht und wie es jetzt weitergeht.
Fünf Beispiele für Forschung in der Ferne
Klimaforschung im Südatlantik
„Eine Reise voller Extreme, um Forschungsdaten zu retten“
Dr. Niko Lahajnar, Fachbereich Erdsystemwissenschaften sowie Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit
67 Tage gemeinsam auf einem 116 Meter langen Schiff, 16.970 Seemeilen bzw. 31.400 Kilometer Reise am Stück und kein einziger Landgang – die Expedition auf dem Forschungsschiff SONNE im Frühjahr 2021 war auch für die erfahrensten der 13 Teilnehmenden eine Reise voller Extreme. Ich war Fahrtleiter auf dem Schiff, das von der Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe an der Universität Hamburg koordiniert wird. Schon vorab mussten wir in Quarantäne und haben danach zweieinhalb Monate durchgehend auf engstem Raum verbracht. Das war eine sehr intensive Zeit mit wenig Privatsphäre. Hinzu kam die Ungewissheit, ob es uns gelingen würde, unser Ziel zu erreichen: Können wir die unter Wasser liegenden Instrumente mit Forschungsdaten der vergangenen zwei Jahre retten? Für unsere wissenschaftliche Arbeit, unter anderem zum Klimawandel, haben wir im Südatlantik Messgeräte und viele Sensoren ausgesetzt, mit denen wir in langen Beobachtungsreihen Proben und Daten sammeln, etwa zu Temperatur, Salzgehalt, Meeresströmung oder Partikelfluss. Doch wichtige Teile der Systeme, etwa um sie wieder an die Oberfläche zu holen, werden mit Batterien betrieben, die regelmäßig gewartet werden müssen – und da wir 2020 aufgrund der Corona-Pandemie nicht ausfahren konnten, bestand die Gefahr, dass wir die Geräte verlieren. Und damit alle kostbaren Messdaten und Proben.
Als wir nach 27 Tagen Fahrt auf hoher See – Startpunkt war Emden am 19. März 2021 – schließlich an der Südspitze Afrikas ankamen, standen wir vor der bangen Frage: Laufen die Batterien überhaupt noch? Um die Verankerungen der Instrumente zu lösen, schicken wir ein spezielles Schallsignal durch eine Wassersäule, das einen Mechanismus in Gang setzt und die Systeme vom Ankergewicht am Meeresboden löst. Dann kommt das Messgerät hoch, wir können es an der Meeresoberfläche einsammeln und an Bord holen. Doch was, wenn der Auslöser nicht mehr funktioniert? Dann die Erlösung: Ja, es ist mit allen Systemen gelungen! Wir waren mit der Expedition sehr erfolgreich und haben alle Messgeräte, die wir vor zwei Jahren im Meer ausgesetzt hatten, wiederbekommen.
Zurück in Hamburg werden die vielen Proben und Daten aus dem Südatlantik nun ausgewertet und analysiert. Sie helfen zum Beispiel, die Frage zu beantworten, welchen Einfluss die Meere auf den Klimawandel haben. Die Meere haben bislang 30 bis 50 Prozent des gesamten Kohlendioxids aufgenommen, das der Mensch in den vergangenen 150 Jahren emittiert hat. Ohne die Meere würde der Klimawandel daher ganz anders verlaufen. Wenn wir diesen Prozess richtig verstehen, dann erweitern wir nicht nur unser Wissen über das Erdsystem, sondern können auch Vorhersagen über den Klimawandel verbessern.
Archäologische Forschung in Pompeji
„Es bringt einen großen Mehrwert, vor Ort mit dem Material konfrontiert zu werden“
Prof. Dr. Fanny Opdenhoff, Institut für Archäologie und Kulturgeschichte des antiken Mittelmeerraumes
In der durch einen Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. verschütteten Stadt Pompeji wird bereits seit dem 18. Jahrhundert gegraben. Entsprechend gibt es bereits einen großen Wissensschatz. Trotzdem ergeben sich immer wieder spannende neue Fragestellungen. Ich untersuche die Inschriften, die auf den Häusern zu finden sind. Bisher wurden diese aus philologischer und althistorischer Perspektive untersucht, aber ich schaue mir an, wie sie im Kontext des öffentlichen Raums gewirkt haben.
Dafür grabe ich nicht selber vor Ort, sondern arbeite mit dem bereits freigelegten Material. Insgesamt werden alternativ zu Grabungen immer mehr nicht-invasive Verfahren genutzt, etwa geophysikalische Methoden oder Oberflächenbegehungen. In Pompeji sind viele Inschriften nach ihrer Ausgrabung leider nicht erhalten geblieben, da der Putz, auf dem sie gemalt waren, zerfallen ist. Hier muss ich auf alte Fotos zurückgreifen. Doch viele Informationen kann ich nur vor Ort sehen, etwa den Ort der Inschrift und wie sie in der Stadt sichtbar war.
Es gibt eine ganze Vielzahl an alltäglichen, gemalten Spuren: von der praktischen Anweisung, an dieser Stelle keinen Unrat abzuladen, über Wahlaufrufe bis zu Veranstaltungsankündigungen. Entsprechend unterschiedlich sind die Inschriften. Besonders interessant sind für mich zum Beispiel die Inschriften an den Nekropolen, den Begräbnisstätten vor der Stadt. Auch hier finden sich Hinweise auf Veranstaltungen und die damaligen Wahlplakate. Damals waren Friedhöfe ein Ort der Kommunikation, was heute in dieser Form gar nicht vorstellbar ist.
Für die Feldforschung bin ich meist zwei bis drei Wochen vor Ort und sammle Daten. Das erfordert immer eine gezielte Vorbereitung, da ich den Zugang – insbesondere zu den nicht öffentlichen Bereichen der Stadt – beantragen muss. Zudem arbeite ich oft im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel, wo viele Putzstücke mit Wandmalereien und Inschriften im Magazin eingelagert sind. Während der Pandemie habe ich nun vor allem mit den gesammelten Daten gearbeitet, aber tatsächlich müsste ich dringend wieder hinfahren – auch um geplante Folgeprojekte vorzubereiten.
Wenn es wieder möglich ist, werden wir auch wieder mit Studierenden auf Exkursionen rund um das Mittelmeer fahren, denn solche Studienreisen sind ein wichtiger Teil der Ausbildung. Man merkt immer wieder, dass es einen unglaublichen Mehrwert bringt, vor Ort zu sein und mit dem Material konfrontiert zu werden. Das kann man zu Hause, in der Bibliothek oder im Seminar nicht simulieren.
Organisationsforschung in Uganda
„Beobachten, was wirklich getan wird“
Prof. Dr. Daniel Geiger, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Wie werden in Krisensituationen Hilfsmaßnahmen koordiniert, bei denen es in einer unübersichtlichen Lage auf schnelles Handeln einer Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren ankommt? Zu dieser Frage forsche ich seit mehr als zehn Jahren mit meinem Team. 2017 flüchteten innerhalb eines Jahres 1,2 Millionen Menschen aus dem nordostafrikanischen Südsudan vor dem Bürgerkrieg ins benachbarte Uganda, wo sie schnell mit dem Nötigsten versorgt werden mussten. Eine der zentralen Kräfte im Hilfseinsatz war das Ugandische Rote Kreuz, mit dem wir bis heute eng zusammenarbeiten. Ich hatte damals einen privaten Kontakt, sodass wir relativ spontan nach Uganda geflogen sind, um die Hilfskräfte bei diesem Notfalleinsatz zu begleiten.
Entscheidend für unsere Forschung ist, dass wir zwar dabei sind, aber durch unsere Teilnahme möglichst wenig Einfluss auf das Geschehen nehmen. Natürlich interessieren uns auch die offiziellen Verfahrensanweisungen und wir führen begleitende Interviews, aber uns geht es vor allem darum, zu verstehen, wie in der Praxis konkret gehandelt wird. Das heißt, man muss möglichst viel Zeit mit den Leuten verbringen und Vertrauen aufbauen. Daher sind wir immer mindestens vier bis sechs Wochen am Stück vor Ort – seit 2017 insgesamt bestimmt sieben Mal, auch während der Ebola-Epidemie in den Jahren seit 2018.
Wir sind meist in verschiedenen Gegenden des Landes unterwegs, wohnen so wie die Einsatzkräfte und fahren mit zu den Einsätzen. Uns ist es sehr wichtig, die Arbeit nicht zu behindern, indem wir zum Beispiel wertvolle Ressourcen wie einen eigenen Jeep beanspruchen. Ich werde manchmal gefragt, ob es nicht gefährlich ist, in Uganda und dann auch noch während einer Krise Feldforschung zu betreiben. Aber wir sind dort mit Profis unterwegs, die die Lage sehr gut einschätzen können und wir gehen keinerlei Risiken ein.
Im März 2020 waren wir auch schon auf dem Weg nach Uganda, mussten dann aber wegen kurzfristig geschlossener Grenzen direkt wieder zurückfliegen. Seitdem sind wir mit den Mitarbeitenden vor Ort regelmäßig über Messengerdienste in Kontakt und haben im vergangenen Jahr auch drei digitale Workshops durchgeführt. Aber natürlich ist unsere Forschung darauf angewiesen, dass wir die Leute im Einsatz begleiten. Wenn es wieder möglich ist, werden wir hoffentlich schnell nach Uganda reisen können. Denn das machen aus meiner Sicht zu wenig Forschende: sich anschauen, was wirklich getan wird.
Ethnologische Forschung in Indien und im Harz
„In Sachsen-Anhalt nutze ich die gleichen Methoden wie in Darjeeling“
Inga Sievert, Institut für Ethnologie sowie Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change, and Society“ (CLICCS)
In der Ethnologie ist es üblich, mehrere Monate lang im Feld zu forschen. Dabei konzentriert man sich in der Regel auf einen regionalen Schwerpunkt. Ich hatte schon im Bachelorstudium Indologie als Nebenfach und spreche Hindi. Für meine Masterarbeit habe ich vier Monate lang in einem Stadtviertel von Neu-Delhi gelebt, das von tibetischen Geflüchteten gegründet wurde, und zu der Frage gearbeitet, was einen Ort ausmachen muss, um ihn als ein Zuhause zu empfinden. Auch für meine Promotion wollte ich deshalb nun wieder nach Indien.
In einem Teilprojekt des Exzellenzclusters CLICCS untersuchen wir, wie Menschen in verschiedenen Regionen der Welt über die Zukunft des Klimas denken, welche Entwicklungen sie für denkbar halten und wie sie entsprechend dieser Vorstellungen handeln. Ich wollte vergangenes Jahr nach Darjeeling reisen und dort zwölf Monate lang Teebäuerinnen und Teebauern auf den Plantagen begleiten. Am Tee lassen sich Klimaveränderungen gut ablesen, denn der Geschmack verändert sich und die Ernte ist durch die zunehmenden Wetterextreme rückläufig. Das wäre ein sehr interessantes Feld gewesen, doch die Pandemie hat alles gestoppt. Für ethnologische Forschung muss man vor Ort sein, Beziehungen knüpfen und Vertrauen aufbauen – und das ist in Indien auf absehbare Zeit nicht möglich.
Daher habe ich im Herbst 2020 mein Projekt umgestellt – von Indien in den Harz. Diese Region ist besonders stark vom Waldsterben betroffen und die Entscheidung, was man heute pflanzt, wird die kommenden Generationen stark beeinflussen. Im ländlichen Sachsen-Anhalt nutze ich dabei die gleichen Methoden wie in Indien, etwa die teilnehmende Beobachtung. Dabei begleite ich meine Forschungspartnerinnen und -partner in ihrem Alltag und beteilige mich an ihren Aufgaben. In diesem Frühjahr war ich bereits für einen Monat in der Nähe von Wernigerode, um das Projekt vorzubereiten, und im Juni konnte ich zu einem längeren Forschungsaufenthalt starten.
Ich bleibe voraussichtlich zehn Monate und arbeite unter anderem eng mit Försterinnen und Förstern sowie Mitarbeitenden des Nationalparks zusammen. Ich treffe sie vor allem im Wald, doch das hätte ich auch ohne Pandemie so machen wollen, da das ja ihr Arbeitsort ist. So möchte ich herausfinden, welche Rolle Wald- und Klimawandel für die Menschen in der Region spielen.
Dass es mit Indien nicht geklappt hat, finde ich sehr schade. Aber an der ethnologischen Forschung mag ich am liebsten, dass man so eng mit Menschen zusammenarbeitet – und das kann ich auch im Harz tun. Wenn die Alternative wäre, auf unabsehbare Zeit digital arbeiten zu müssen, ist das für mich so in Ordnung.
Erforschung von Manuskripten in Südostasien
„Mich begeistert immer wieder die lebendige Manuskriptkultur“
Prof. Dr. Volker Grabowsky, Asien-Afrika-Institut sowie Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“
Manuskripte sind unersetzliche Quellen, um die Geschichte von Regionen und Sprachen zu studieren. Die handschriftlichen Texte sind oft einige Jahrhunderte alt und wichtige Zeugen vergangener und gegenwärtiger Kulturen. Für meine Forschung reise ich daher oft nach Südostasien, da die Region der Schwerpunkt meiner Arbeit ist. Dort suchen wir nicht nur nach bisher unbekannten Manuskripten, die wir dann analysieren, sondern wir helfen auch dabei, Dokumente zu erhalten und zu digitalisieren, um sie für weitere Forschung zugänglich zu machen.
Ich untersuche als Thaiist die Tai-Sprachfamilie, die viel größer ist als der heutige Staat Thailand. Sie ist in einem Gebiet beheimatet, das sich von Südchina bis auf die malaiische Halbinsel und von Nordvietnam bis nach Assam in Indien erstreckt. Dort sind viele regionale Text- und Schriftvarianten entstanden. Eine Besonderheit der meisten Tai-Sprachen ist, dass für religiöse und weltliche Texte unterschiedliche Schriften existieren.
Im Rahmen meiner Projekte bin ich vor allem in Luang Prabang (Laos) und Sipsong Panna (Yunnan) vor Ort unterwegs. In Laos stehen unsere Projekte unter der Schirmherrschaft des dortigen Mönchsordens und wir arbeiten mit der Laotischen Nationalbibliothek zusammen. Um die geeigneten klimatischen Bedingungen für unsere Arbeit garantieren zu können, digitalisieren wir immer an einem Ort, in Laos ist das zum Beispiel das Büro des Buddhist Archivs of Luang Prabang. Die Manuskripte werden dann von den Mönchen dorthin gebracht.
Zu Beginn meiner wissenschaftlichen Arbeit war ich vor allem am Inhalt der Manuskripte interessiert und habe die Schriften und die Sprachen gelernt, weil die Texte nur im Original vorlagen. Heute beschäftige ich mich darüber hinaus auch mit den Manuskripten als Objekte und untersuche zum Beispiel, wie sie von Mönchen im Rahmen von Ritualen und Zeremonien verwendet wurden. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich da eine faszinierende Vielfalt entwickelt und mich begeistert es immer wieder, dass es in einigen Teilen Südostasiens noch immer eine lebendige Manuskriptkultur gibt. Auch wenn es heute immer weniger Menschen gibt, die die alten Schriften noch beherrschen.
Die älteste überlieferte Tai-Handschrift, die wir kennen, stammt aus Nordthailand und datiert aus dem Jahr 1471. Das Besondere: Es handelt sich um beschriftete Palmblätter, die vor allem für religiöse Manuskripte verwendet wurden. Sie wurden nicht mit Tinte beschrieben, sondern der Text wurde mit einem Schreibgriffel eingeritzt. Anschließend wurden die Palmblätter mit einer Paste aus Ruß und Öl beschmiert, die dann in die Ritzen drang und den Text sichtbar macht. Das tropische und subtropische Klima ist aber eine Gefahr für die Texte. In den Klöstern werden die in Tüchern eingewickelten Palmblätter einmal im Jahr aus den Holztruhen genommen, in denen sie aufbewahrt werden, und für einen Tag in die Sonne gelegt. Auf diese Weise können sie lange Zeiträume überdauern – sofern sie nicht von Insekten entdeckt und aufgefressen werden.
Während der Corona-Pandemie wurden einige der Digitalisierungsprojekte verschoben, aber nicht gestoppt. So laufen etwa entsprechende Forschungsvorhaben in Nordthailand und Laos weiter. Ich selbst war im Frühjahr 2020 das letzte Mal vor Ort und hoffe, so bald wie möglich wieder persönlich dort sein zu können.
19NEUZEHN
Dieser Artikel ist in Ausgabe 17 des Hochschulmagazins 19NEUNZEHN zum Wintersemester 2021/22 erschienen. Die vollständige Ausgabe des Heftes sowie das Archiv der vergangenen Ausgaben finden Sie auf dem Online-Auftritt des Magazins.