Facetten der NachhaltigkeitVier Forschungsprojekte zu den Sustainable Development Goals
8. April 2021, von Christina Krätzig, Anna Priebe
Foto: UHH/Dingler
Die Weltgemeinschaft hat sich 17 Nachhaltigkeitsziele bis 2030 gesetzt. Zahlreiche Forscherinnen und Forscher aus allen Bereichen der Universität tragen mit ihrer Arbeit dazu bei, die sogenannten SDGs (Sustainable Development Goals) zu erreichen. Wir stellen vier Projekte vor.
Bestmögliche Versorgung am Lebensende
Dr. Gabriele Marx, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zu den wichtigsten Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen gehört es, die Gesundheit und das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen und ihnen beispielsweise den Zugang zu sauberem Wasser, gesunder Ernährung und guter medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Mit unserem Projekt KOPAL, an dem neben der Universität Hamburg drei weitere Institutionen beteiligt sind, wollen wir die Palliativversorgung von Patientinnen und Patienten – also die Versorgung am Lebensende – verbessern. Im Fokus stehen Menschen mit schwerer Herzschwäche, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) oder Demenz, die oft langjährig unter starken Schmerzen, Luftnot oder Angst leiden. Wiederholte Krankenhauseinweisungen sind nicht selten. Mithilfe von 56 Hausarztpraxen und ca. 600 Patientinnen und Patienten untersuchen wir, ob durch eine intensivierte Kommunikation zwischen Hausärztinnen und Hausärzten sowie auf Palliativversorgung spezialisierten Personen aus den Bereichen Pflege und Medizin die Symptomlast reduziert und teure Krankenhausaufenthalte verhindert werden können. Wir hoffen, dass wir durch die frühzeitige, bessere inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit die Lebensqualität der Betroffenen steigern können und so zur bestmöglichen Gestaltung ihres Lebensendes beitragen.
Nachhaltigkeit durch Ernährung: Wie kann das gelingen?
Prof. Dr. Stefanie Kley, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Warum essen Menschen, was sie essen? Und was hat Einfluss darauf, dass sie sich nachhaltiger ernähren? Das sind zwei der Hauptfragen unseres Forschungsprojekts „Sustainable Lives: Food Choices as Politics and Lifestyle“. Wir sind eine Gruppe von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und arbeiten fakultätsübergreifend. Unsere Grundannahme ist, dass es für das Klima wichtig wäre, dass die Menschen ihre Ernährung umstellen, also mehr lokal und saisonal kaufen sowie weniger Fleisch essen. Mein Team und ich wollten herausfinden, welche Rolle Normvorstellungen und Einstellungen zur Umwelt bei der täglichen Essensentscheidung spielen. Da Ernährung ein sehr komplexes Feld ist, haben wir uns auf den Fleischkonsum konzentriert. Dazu haben wir 1.300 Hamburgerinnen und Hamburger befragt und unter anderem herausgefunden, dass Vegetarierinnen und Vegetarier häufig in ein soziales Umfeld aus Gleichgesinnten eingebettet sind, mit denen sie sich über Themen rund ums Essen austauschen – insbesondere über soziale Medien. Unsere Befunde deuten darauf hin, dass für die Entscheidung, vegetarisch zu leben, vor allem die Überzeugung ausschlaggebend ist, eine fleischlose Ernährung sei gesund. Keine Rolle scheint hingegen die Überzeugung zu spielen, weniger Fleischkonsum sei besser für die Umwelt oder man könne mit persönlichem Fleischverzicht Druck auf die Erzeuger oder den Handel ausüben.
Fischereirechte und die Ressourcen der Weltmeere
Valentin Schatz, Fakultät für Rechtswissenschaft
Die Fischbestände in den Weltmeeren nehmen immer weiter ab. Ich untersuche in meiner Dissertation, wie der Zugang zu diesen Ressourcen im Rahmen des Seevölkerrechts geregelt ist und wie Konflikte zwischen Staaten gerichtlich gelöst werden können. Am Meer gelegene Länder können in einer 200 Seemeilen umfassenden Zone, also bis 370 Kilometer vor ihrer Küste, bestimmen, wer dort wie viel fischen darf. So kommt es immer wieder zu Konflikten mit anderen Staaten, die mit ihren Flotten vor diesen Küsten fangen wollen. Für meine Arbeit schaue ich mir vor allem das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen an und sammle Praxisbeispiele aus der ganzen Welt. Besonders interessieren mich auch sogenannte historische Rechte, denn oft behaupten Staaten, sie hätten einen gewohnheitsrechtlichen Anspruch, irgendwo zu fischen, weil sie das bereits in der Vergangenheit getan haben und dieses Vorgehen geduldet wurde. Hierzu erarbeite ich aus Theorien und der Rechtsprechung ein Konzept und diskutiere, ob solche Rechte mit bestehenden völkerrechtlichen Verträgen in Einklang zu bringen sind. Die Frage nach Zugangsrechten zu Fischbeständen ist ein wichtiges Thema, denn wenn man hier nicht kooperiert, werden unsere Ressourcen langfristig zerstört.
Wie Gebiete an der Nordseeküste mit dem steigenden Meeresspiegel umgehen können
Prof. Dr. Beate Ratter, Institut für Geographie
Um bis zu 110 Zentimeter könnte sich der Meeresspiegel an der deutschen Nordseeküste bis Ende des Jahrhunderts erhöhen. Damit gehören ihre Gebiete zu denen, die weltweit am stärksten durch diese Folge des Klimawandels bedroht sind. Noch können wir reagieren, können beispielsweise Deiche erhöhen oder Überflutungsgebiete schaffen. Aber welches sind die richtigen Maßnahmen? Wofür sollen wir Geld ausgeben, welche Flächen sollen wir anders nutzen, welche Wirtschaftszweige vielleicht sogar aufgeben? Um das herauszufinden, modellieren wir im Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change, and Society“ plausible Zukunftsszenarien für die Auswirkungen des Klimawandels auf Küstenräume. Diese Zukunftsbilder werden aber erst plausibel, wenn wir das Denken und Handeln der Menschen berücksichtigen, die dort ihren Geschäften nachgehen. Sie nutzen Land und Meer, fischen, bauen Obst an oder züchten Tiere, die auf den Wiesen weiden. Sie gestalten die Küsten und blicken als Deichgrafen, Landwirtinnen oder Mitglieder der Feuerwehren auf 1.500 Jahre Küstenschutz zurück. Deshalb sprechen wir mit ihnen und versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden, die ihr physisches, soziales und ökonomisches Überleben ermöglichen. Nachhaltigkeit bedeutet hier, Betroffene ernst zu nehmen und zu beteiligen – um ihre Zukunft zu sichern.
Die neue 19NEUNZEHN ist da!
Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe 16 der 19NEUNZEHN erschienen.