Alumni-Interview mit Dr. Dörte Hansen„Schreiben kann schrecklich sein – Geschrieben haben ist wunderbar“
8. April 2021, von Tim Schreiber
Foto: Sven Jaax
19NEUNZEHN stellt regelmäßig Alumni der Universität vor. Dieses Mal: Dr. Dörte Hansen. Die Bestseller-Autorin, die an der Universität in Soziolinguistik promoviert hat, spricht über ihren langen Atem, Erbsenzählerei und Hochdeutsch als erste Fremdsprache.
Was ist schwieriger: eine Dissertation zu schreiben oder einen Roman?
Es hält sich ziemlich die Waage. Ich habe mich bei meiner Dissertation gequält, aber auch bei meinen ersten beiden Romanen. Aktuell quäle ich mich bei meinem dritten Roman. No pain, no gain. Schreiben kann schrecklich sein, aber Geschrieben haben ist wunderbar. Das gilt für Dissertationen ebenso wie für Romane.
Gibt es Gemeinsamkeiten beim wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten?
Ja, ich merke immer wieder, dass mir die Akribie des wissenschaftlichen Arbeitens beim Schreiben meiner Romane zugutekommt. Und der lange Atem, den ich mir beim Schreiben meiner Dissertation antrainiert habe. Zu wissen, dass ich die Puste habe, drei Jahre an einem Projekt zu arbeiten und es dann auch wirklich abzuschließen, hat mich beim Romanschreiben über einige Durststrecken getragen.
Die Domänen sind klar verteilt. Man könnte sagen: Hochdeutsch ist das Büro, Plattdeutsch ist das Wohnzimmer.
Wie haben Sie Ihre Promotionszeit an der Universität Hamburg in Erinnerung?
Ich war in einem Graduiertenkolleg am „Hamburger Zentrum für Mehrsprachigkeit und Sprachkontakte“. Wir Stipendiatinnen und Stipendiaten kamen alle von verschiedenen Universitäten und Fakultäten. Es war für mich sehr inspirierend, mit Leuten aus der Afrikanistik, der Japanologie oder der Neurolinguistik zusammenzuarbeiten, und wir hatten großartige Gastdozentinnen und -dozenten. Ich habe mich privilegiert gefühlt – und dadurch auch ziemlich unter Druck. Man will das dann wirklich nicht vergeigen!
Sie haben in Soziolinguistik promoviert. Woher kommt Ihr Interesse an Sprache? Hat es etwas damit zu tun, dass sie mit Plattdeutsch aufgewachsen sind?
Ich glaube tatsächlich, dass das eine Rolle gespielt hat. Hochdeutsch war meine erste Fremdsprache, und ich erinnere mich gut daran, wie ich gelernt habe, hochdeutsche Wörter von plattdeutschen abzuleiten. Mir war auch sehr früh bewusst, dass diese beiden Sprachen ganz unterschiedliche Funktionen haben. Ich könnte mit meiner Familie zum Beispiel nicht Hochdeutsch sprechen. Aber ich käme andererseits nie auf die Idee, meiner Mutter einen plattdeutschen Brief zu schreiben. Die Domänen sind klar verteilt. Man könnte sagen: Hochdeutsch ist das Büro, Plattdeutsch das Wohnzimmer. Mein Interesse für Minderheitssprachen wie Friesisch oder Irisch kommt vielleicht auch von der frühen Erfahrung mit dieser Art von Zweisprachigkeit. Oder ich bin einfach als Sprach-Nerd auf die Welt gekommen, auch möglich.
Ich ging auf die Fünfzig zu und dachte: jetzt oder nie!
Wieviel Linguistin steckt heute noch in der Autorin?
Ich bin noch immer eine Erbsenzählerin, die beim Schreiben jede Silbe x-mal überprüft. Das grenzt gelegentlich ans Zwanghafte und ich schiebe es dann schnell auf meine Vergangenheit als Linguistin. Déformation professionelle (Berufskrankheit, Anmerk. d. Red.), ich kann nichts dafür!
Nach Ihrer Promotion waren Sie lange Journalistin. War eine weitere wissenschaftliche Karriere auch eine Option?
Ja, ich hätte mir das vorstellen können. Aber dann fand ich die journalistische Arbeit lebendiger und erfüllender als die wissenschaftliche.
Um sich der Literatur zu widmen, haben Sie Ihre Stelle als Redakteurin beim NDR gekündigt. Wie haben Sie die mutige Entscheidung getroffen, sich ganz aufs Romanschreiben zu konzentrieren?
Ich ging auf die Fünfzig zu und dachte: jetzt oder nie! Aber so tollkühn war die Entscheidung gar nicht, weil ich auch als Journalistin lange und gern frei gearbeitet habe. Wenn es mit dem Roman nicht geklappt hätte, dann hätte ich wieder Reportagen geschrieben, Features gemacht – und hin und wieder ein bisschen Existenzangst geschoben.
Zur Person
Dr. Dörte Hansen wurde 1964 in Husum geboren. Sie studierte in Kiel Allgemeine Sprachwissenschaft, Anglistik, Romanistik und Frisistik und wurde 1994 mit einer soziolinguistischen Arbeit über eine besondere Form der Zweisprachigkeit an der Universität Hamburg promoviert. Danach arbeitete sie als Autorin für Hörfunk und Print, bis im Jahr 2015 ihr Debütroman „Altes Land“ erschien. Er wurde zu einem Bestseller und von Publikum und Kritik gefeiert. Mit ihrem zweiten Roman „Mittagsstunde“, der 2018 erschien, konnte sie an den großen Erfolg anknüpfen.
Die neue 19NEUNZEHN ist da!
Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe 16 der 19NEUNZEHN erschienen.