Titel, Thesen, PromotionenDie soziale Gestaltung von Familienmahlzeiten
31. März 2021, von Anna Priebe
Foto: UHH/Lutsch
19NEUNZEHN stellt in der Serie „Titel, Thesen, Promotionen“ spannende und ungewöhnliche Promotionsprojekte vor. Lea Eileen Pöhls erforscht die Gestaltung von Mahlzeiten in Familien.
Wie gestalten die Deutschen typischerweise ihre Mahlzeiten?
Man kann das tatsächlich nur schwer verallgemeinern. Ich schaue mir ja vor allem an, wie die Mahlzeiten in Familien aussehen – wobei ich dazu in meiner Untersuchung auch zähle, wenn das Essen abgeholt oder geliefert wird. Vor der Pandemie galten auch Restaurantbesuche. Wichtig ist einfach das gemeinsame Essen.
Im modernisierten bürgerlichen Modell, in dem der Vater in Vollzeit erwerbstätig ist und die Mutter in Teilzeit, wird häufig morgens gemeinsam gefrühstückt, mittags essen dann meist alle außer Haus und abends wird gemeinsam gegessen. Ich habe aber auch Familien begleitet, in denen das gemeinsame Mittagessen die Hauptfamilienmahlzeit ist.
Was für Familien haben Sie untersucht?
Die 40 Familien stammen alle aus der Mittelschicht, leben in Vororten von Großstädten und haben zwei Kinder zwischen drei und 13 Jahren. Die eine Hälfte der Familien lebt in Hamburg, die andere in Dresden – und sie unterscheiden sich vor allem in der Aufteilung der Erwerbstätigkeit zwischen den Elternteilen. Im Osten Deutschlands ist das sogenannte egalitär-erwerbsbezogene Modell, bei dem beide in Vollzeit erwerbstätig sind, traditionell deutlich mehr verbreitet als in Hamburg, wo eher der Vater in Vollzeit beschäftigt ist und die Mutter in Teilzeit. Ich will erforschen, ob sich diese unterschiedlichen kulturellen Leitbilder auf die Gestaltung der Mahlzeiten auswirken. Das traditionelle bürgerliche Modell, in dem nur ein Elternteil in Vollzeit erwerbstätig ist, nämlich der Vater, und in der Regel die Mutter zu Hause bleibt, habe ich übrigens nicht antreffen können.
Haben Sie für Ihre Forschung mit am Tisch gesessen?
Eher indirekt. Im ersten Schritt habe ich die Familien Ernährungstagebücher ausfüllen lassen. Dafür habe ich sie vor der Pandemie persönlich getroffen, um den Ablauf zu erklären. In den Tagebüchern haben die Familien dann für eine Woche dokumentiert, wie der Essensalltag bei ihnen aussieht. Dabei geht es nicht so sehr darum, was gegessen wird, sondern um den Ablauf: Wo wird gegessen und wer ist dabei? Warum fehlen Familienmitglieder? Wie werden die Mahlzeiten zubereitet und welche Regeln und Rituale gibt es?
Nach der Woche habe ich persönliche Interviews mit den Familienmitgliedern geführt, um zu schauen, was hinter der Gestaltung der Mahlzeiten steckt. Ist die Arbeitsteilung einfach so entstanden oder war das eine bewusste Entscheidung? Kocht ein Elternteil vielleicht besonders leidenschaftlich oder ist die Mahlzeit einfach nicht anders zu realisieren?
Welches Ergebnis hat Sie überrascht?
Dass es bei vielen Familien eine Kaffee- oder Teepause am Nachmittag gibt, der eine zentrale Bedeutung zukommt, um sich nach der Schule oder der Kita kurz auszutauschen. Diese Mahlzeit ist zum Teil ebenso bedeutend wie das Mittag- oder Abendessen.
Mahlzeiten sind ein vielschichtiges Phänomen und sehr viel mehr als die rein biologische Nahrungsaufnahme
Was macht gemeinsame Mahlzeiten als soziologischen Forschungsgegenstand so interessant?
An der Thematik begeistert mich, dass die Mahlzeit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ein so vielschichtiges Phänomen ist und sehr viel mehr als die rein biologische Nahrungsaufnahme. Denn es geht um Aspekte wie Kommunikation, familiären Zusammenhalt, aber eben auch kulturelle Regeln und Gemeinsamkeit. Zudem ist das Ernährungsverhalten keine feste Größe, sondern unterliegt einem stetigen Wandel.
Wie hat Corona Ihre Forschung beeinflusst?
Nachdem ich mein Material Anfang 2020 schon erhoben hatte, kam der erste Lockdown. Ich wollte wissen, wie sich die Mahlzeiten und ihre Organisation dadurch verändern, daher habe ich eine zweite Erhebungswelle durchgeführt und erweiterte Tagebücher ausfüllen lassen, in denen ich auch abgefragt habe, wie der Alltag im Lockdown aussah.
In vielen Familien waren nun alle Mitglieder deutlich mehr zu Hause und so wurden auch mehr Mahlzeiten zusammen eingenommen. Viele haben berichtet, dass das Essen entspannter ablief als zuvor. Ich möchte nun zum Beispiel analysieren, ob sich Verantwortlichkeiten beim Einkaufen und bei der Zubereitung verschoben haben.