Titel Thesen Promotionen„Manche ließen sich mit ihrem Pferd begraben“
4. Dezember 2020, von Christina Krätzig
Foto: UHH/Hansen
19NEUNZEHN stellt in dieser Serie spannende und ungewöhnliche Promotionsvorhaben vor. Beispielsweise das der Historikerin Marieke Röben zur Bedeutung des Pferds in der frühmittelalterlichen Gesellschaft.
Frau Röben, warum interessieren Sie sich für Pferde in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr.?
Mich faszinieren die vielen Bedeutungsebenen, die diese Tiere damals hatten: Sie waren Last- und Reittiere, Statussymbole und Wertgegenstände, Kriegsgerät und Objekte der Rechtsprechung. Einige wurden sogar zusammen mit ihren Besitzern bestattet; ein solches Reitergrab aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. wurde beispielsweise in Hamburg-Schnelsen gefunden. Es verdeutlicht in besonderer Weise den materiellen und ideellen Wert von Pferden in der Zeit nach der Spätantike und der Völkerwanderung.
Wer hat damals Pferde besessen – nur die Superreichen?
Das wird gemeinhin angenommen, weil Pferde so teuer waren: Ihr Gegenwert entsprach mehreren Ochsen. Aber meine bisherigen Forschungen legen nahe, dass diese Vermutung so wohl nicht haltbar ist. Die Quellen, die für das damalige Frankenreich und die Gebiete des heutigen Deutschlands Auskunft geben könnten, wurden zu diesem Thema bisher nicht systematisch ausgewertet.
Für Großbritannien hat eine englische Historikerin gezeigt, dass Pferde im bäuerlichen Umfeld viel verbreiteter waren als angenommen. Ich persönlich glaube, dass dies auch hierzulande der Fall war – und dass die Vorstellung, dass nur die Superreichen im Mittelalter solche Tiere besaßen, nur eins von vielen Klischees ist, die unsere Vorstellungen von dieser Zeit prägen.
Was für Klischees meinen Sie?
Beispielsweise die Größe der Pferde – einige Leute glauben, dass sie winzig waren, andere denken an gigantische Schlachtrösser. Dabei haben archäologische Funde längst gezeigt, wie groß sie waren: kleiner als heute, aber nicht winzig und auch nicht riesig.
Und dann sind da natürlich die bekannten Bilder von gepanzerten Rittern, die auf dem Pferd in die Schlacht zogen. So etwas hat es erst im Hochmittelalter gegeben. Im frühen Mittelalter, kurz nach der Zeit der Völkerwanderung, gab es diese Form der Kriegsführung noch nicht. Erst nach und nach entwickelten sich Pferde von einem Transportmittel, mit dem man zum Schlachtfeld ritt, zu Reittieren, von deren Rücken aus anfangs mit Lanzen gekämpft wurde.
Mit was für Quellen arbeiten Sie, um Licht in dieses Kapitel der Geschichte zu bringen?
Am einfachsten aufzustöbern sind Gesetzestexte. Sie regeln beispielsweise, wie Pferdebesitzer für Schäden haften mussten, die ihr Vierbeiner angerichtet hatte – oder wie sie entschädigt wurden, falls ihr Pferd verletzt oder gestohlen wurde. Im ‚Capitulare de villis‘, der Landgüterverordnung von Karl dem Großen, die etwa 800 n. Chr. entstanden ist, wurden außerdem verschiedene Regelungen zu Pferden festgehalten – dass Zuchtpferde ordentlich zu halten waren beispielsweise, oder dass Boten im königlichen Auftrag Pferde zur Verfügung gestellt werden mussten.
Schwieriger auszuwerten sind erzählende Quellen wie Jahrbücher oder Chroniken. Hier werden Pferde meistens gar nicht erwähnt, einfach, weil sie so alltäglich waren. Wir betonen heute ja auch nicht, dass wir mit unserem Auto in den Urlaub gefahren sind. Häufig werden sie nebenbei erwähnt, beispielsweise in Textstellen wie ‚der Bischof stieg auf sein Pferd und ritt davon‘. Hier gilt es immer, den Subtext zu betrachten und zu fragen: Warum wird hier das Pferd erwähnt? In ausführlicheren Erzählungen lässt sich diese Frage häufig etwas einfacher beantworten: Ein Krieger, der sein ängstliches Pferd dazu brachte, ihn über einen Fluss zu tragen, gewann durch die Schilderung Prestige. Andersherum ist die Erwähnung des Ochsenkarrens, in dem ein König reiste, ein deutlicher Hinweis auf dessen Machtverlust.
Was macht Ihre Arbeit so wichtig?
Ich möchte eine Art Grundlagenwerk schreiben, das Forschende später für ihre Arbeit nutzen können. Wenn beispielsweise jemand zur Wirtschaftsgeschichte des frühen Mittelalters forschen möchte, oder zu Tieren allgemein, kann er oder sie in meinem Werk nachlesen, was es mit Pferden damals auf sich hatte.
Die neue 19NEUNZEHN ist da!
Eine Kurzfassung dieses Interviews ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen.