Serie „Namenspatenschaft“: Ernst CassirerFür Freiheit und Demokratie
4. Dezember 2020, von Daniel Meßner
Foto: Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte
Edmund-Siemers-Allee, Anna-Siemsen-Hörsaal oder Von-Melle-Park: Gebäude und Straßen erzählen mit ihren Namen Geschichten, die eng mit der Universität Hamburg verbunden sind. 19NEUNZEHN stellt in einer Serie die Personen hinter diesen Namen vor. Dieses Mal: Ernst Cassirer, einer der ersten jüdischen Rektoren in Deutschland.
Ernst Cassirer hat die Anfangszeit der Universität Hamburg geprägt wie kaum ein anderer Wissenschaftler. Der Philosoph gehörte nach der Universitätsgründung im Jahr 1919 zur ersten Generation Neuberufener, wurde der erste und einzige jüdische Rektor einer deutschen Universität während der Weimarer Republik und verließ Hamburg noch 1933 nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.
Der lange Weg zur Professur
Der 1874 in Breslau geborene Cassirer zog nach dem Abitur für sein Studium nach Berlin, wo er sich zunächst für Rechtswissenschaft eingeschrieben hatte. Doch er entschied sich anders, wechselte sein Hauptfach und ging später an die Universität in Marburg, wo er mit einer philosophischen Arbeit promovierte. Für seine Habilitation kehrte Cassirer nach Berlin zurück und arbeitete dort ab 1907 als Privatdozent. Obwohl er sein Studium mit Bestnote abschloss und eine seiner Forschungsarbeiten mit dem Ehrenpreis der Berliner Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet wurde, musste er unter anderem wegen seiner jüdischen Herkunft mehr als zehn Jahre auf eine Professur warten.
In Hamburg hatte Cassirer einen einflussreichen Fürsprecher: den Psychologen William Stern. Dieser wollte Cassirer bereits vor der Gründung der Universität für das Allgemeine Vorlesungswesen nach Hamburg holen – scheiterte aber mit diesem Versuch. Das änderte sich dann 1919: Kurz nach Universitätsgründung wurde der 45-jährige Cassirer in die Hansestadt berufen. Zum Wintersemester 1919/20 trat er seine Professur an und leitete fortan das Philosophische Seminar. Zunächst in der Domstraße und ab 1929 im Institutsgebäude am Bornplatz 1–3, heute Allende-Platz 1, besser bekannt als „Pferdestall“.
Hamburger Jahre
Für Cassirer begann nun eine sehr produktive Zeit: Zwischen 1923 und 1929 entstand sein dreibändiges Hauptwerk, die „Philosophie der symbolischen Formen“. Die Philosophin Prof. Dr. Birgit Recki von der Universität Hamburg beschreibt Cassirer in verschiedenen Publikationen als einen der letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts: „Er ist mit diesem Lebenswerk bis heute der größte Philosoph, den die Universität in ihrer nunmehr hundertjährigen Geschichte für sich gewinnen konnte.“
Geprägt war Cassirers Arbeit in Hamburg auch von einer besonderen Freundschaft: Der Kunsthistoriker Aby Warburg hatte in den 1920er-Jahren die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg begründet – heute bekannt als Warburg-Haus in der Heilwigstraße. Cassirer ging dort ein und aus und ihn verband ein fruchtbarer Austausch mit Warburg, der auch Einfluss auf Cassirers wissenschaftliche Arbeit hatte. Die enge Beziehung zu Warburg war vermutlich auch ausschlaggebend dafür, dass Cassirer in Hamburg blieb.
Aby Warburg und der Ruf nach Frankfurt
Denn 1928 sah es so aus, als würde Cassirers Zeit in der Hansestadt zu Ende gehen. Er erhielt einen Ruf an die Universität nach Frankfurt. Die neue Aufgabe reizte Cassirer, der bereits Gespräche über seinen Wechsel führte. Aby Warburg wollte den Philosophen aber nicht ziehen lassen und ihn unter allen Umständen in Hamburg halten.
Um öffentlichen Druck zu erzeugen, veröffentlichte Warburg im Hamburger Fremdenblatt einen Aufruf: „Warum Hamburg den Philosophen Cassirer nicht verlieren darf“. Warburgs Drängen zeigte Erfolg: Die früheren Rektoren beschlossen, Cassirer als künftigen Rektor vorzuschlagen.
Ein demokratischer und freiheitlicher Rektor
Cassirer blieb – und wurde 1929 für ein Jahr Rektor der Hamburgischen Universität. Damit war er der erste und einzige jüdische Rektor einer deutschen Universität während der Weimarer Republik. Die Amtseinführung musste allerdings ohne seinen großen Unterstützer stattfinden: Zwei Wochen zuvor war Aby Warburg verstorben.
In den 1920er-Jahre nahmen der Antisemitismus und die antidemokratischen Tendenzen an der Universität bereits immer stärker zu. Daher stand Cassirers Rektorat ganz im Zeichen des Einsatzes für Freiheit und Demokratie. Nach langen internen Debatten gelang es ihm zum Beispiel, eine Feier zu Ehren der Weimarer Verfassung durchzusetzen. Ein Gedenktag, den kein anderer Rektor – vor oder nach ihm – an der Hamburgischen Universität feiern ließ.
Flucht aus Hamburg
Doch nur vier Jahre später endete die Zeit des Philosophen in Hamburg endgültig. Bereits am 12. März 1933 verließ er mit seiner Frau Toni die Hansestadt und Deutschland. Noch bevor das NS-Regime am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verabschiedete, hatte Cassirer den amtierenden Rektor Leo Raape um die Aufhebung seiner Verpflichtungen ersucht. Zum 1. November 1933 wurde er in den Ruhestand versetzt. Damit verlor die Universität einen ihrer renommiertesten Forscher, doch seine Kollegen ließen ihn ohne Aufbegehren oder Protest ziehen. Eine Ausnahme war der Universitätsmitbegründer und mehrmalige Hamburger Bürgermeister Werner von Melle. Er ließ ihn wissen: „Sie waren jahrelang ein Stolz unserer Universität.“
Nach mehreren Exilstationen kam Cassirer 1935 nach Göteborg, 1939 nahm er die schwedische Staatsbürgerschaft an. Das Kriegsende in Europa hat Cassirer nicht mehr erlebt. Er starb am 13. April 1945 in New York, wo er inzwischen lehrte. Für Susanne Wittek, die für die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung die Cassirer-Biografie „So muss ich fortan das Band als gelöst ansehen“ geschrieben hat, steht fest: „Durch seinen konsequenten Einsatz für eine freiheitliche und weltoffene Gesellschaft ist Cassirer bis heute ein Vorbild.“ Und sein Name ist untrennbar mit der Universität Hamburg verbunden: Der mit 612 Plätzen größte Hörsaal im Hauptgebäude, Hörsaal A, ist nach Ernst Cassirer benannt.
Die neue 19NEUNZEHN ist da!
Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen.