Universitätswerdung in vier AktenVierter Akt: das Kolonialinstitut
15. April 2020, von Hendrik Tieke
Foto: Klaus Tornier/Verlag A. Büttner
Die Universität Hamburg wurde im Jahr 1919 gegründet. Doch institutionelle Wissenschaft spielte schon früher eine größere Rolle in der Hansestadt, als oft gedacht wird. 19NEUNZEHN stellt in einer Serie Einrichtungen vor, in denen Forschung und akademische Lehre vor der Universitätsgründung stattfanden. Im letzten Teil: das Kolonialinstitut.
Um 1900 besaß das Deutsche Reich einige Kolonien: In Afrika herrschte es über die Gebiete der heutigen Staaten Namibia, Ruanda, Tansania, Kamerun und Togo. In Ozeanien hielt es Teile des heutigen Neuguineas und Samoas besetzt. Sogar über einem kleinen chinesischen Küstenstreifen wehte die deutsche Flagge.
Von Melle holt das Kolonialinstitut nach Hamburg
Um Kolonialbeamte auf die Gegebenheiten in diesen Gebieten vorzubereiten, beschloss das Reichskolonialamt in Berlin, ein spezialisiertes Institut zu schaffen. Als der in Hamburg für Bildung zuständige Senator Werner von Melle von diesen Plänen hörte, setzte er alles daran, diese Einrichtung in seine Heimatstadt zu holen. Mehr noch: Er hoffte, dass dies ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Schaffung einer Hamburgischen Universität sei. Die nämlich war sein politisches Lebensziel, das er jahrzehntelang verfolgte. So hatte er etwa die Gründung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung 1907 betrieben und bestehende wissenschaftliche Institutionen kontinuierlich ausbauen lassen.
Und von Melle hatte Erfolg: 1908 wurde das Kolonialinstitut in der Hansestadt eröffnet. Es richtete sich auch an Kaufleute und Auswanderer. Auf dem Lehrplan stand alles, was man damals für eine koloniale Allgemeinbildung als wichtig erachtete – komprimiert auf zwei Semester. Dazu gehörten Kenntnisse in Staatslehre und Volkswirtschaft, in Botanik und Warenkunde, in Geografie und Völkerkunde. Es gab auch Kurse in Fotografieren und Zeichnen sowie im Anlegen botanischer und geologischer Sammlungen. Sogar Reiten stand auf dem Programm, denn Pferde waren das wichtigste Fortbewegungsmittel in den Kolonien.
Euphorie und Ernüchterung
Die Lehre am Kolonialinstitut bestritten vor allem die Professoren und Mitarbeiter des Allgemeinen Vorlesungswesens und der Wissenschaftlichen Anstalten – wie etwa die des Botanischen Instituts oder des Museums für Völkerkunde. Darüber hinaus bewilligte die Hamburgische Bürgerschaft einige neue Professuren: 1909 zum Beispiel wurde der erste Lehrstuhl für Afrikanistik in Deutschland eingerichtet. Auch Regionen außerhalb der Kolonien gelangten in den Fokus, etwa durch die Lehrstühle für die Sprachen und Geschichte Ostasiens, Japans und Indiens.
Einer anfänglichen Euphorie folgte jedoch schon bald Ernüchterung: Zwar schickte das Reichskolonialamt pro Semester rund 20 Kolonialbeamte zur Ausbildung nach Hamburg, doch Kaufleute oder Auswanderer zeigten nur wenig Interesse am Kolonialinstitut. Insgesamt machten dort zwischen 1909 und 1918 nur 121 Studierende einen Abschluss. Kaum mehr als 1.000 waren in dieser Zeit überhaupt immatrikuliert.
Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes
Als Deutschland 1918 den Ersten Weltkrieg und mit ihm seine Kolonien verlor, war die Einrichtung überflüssig geworden. Allerdings wurde sie in Hamburg als wichtiger Bestandteil der Bildungslandschaft wahrgenommen. Ihre Fächer wurden in die Universität, die 1919 gegründet wurde, integriert. Mit der Hochschule als neuem Rahmen stiegen die Studierendenzahlen stetig – und die damalige Hamburgische Universität wurde zu Deutschlands erstem Zentrum der „Auslandswissenschaften“.
Heute ist das im Jahr 2000 gegründete Asien-Afrika-Institut der größte universitäre Verbund der Asien- und Afrikawissenschaften in Deutschland. Die dunkle Geschichte des deutschen Kolonialismus, seine Verbindungen zu Hamburg und besonders auch zur Wissenschaft an der Universität werden in zahlreichen Projekten aufgearbeitet – insbesondere an der 2014 eingerichteten Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“.
Die neue 19NEUNZEHN ist da!
Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen. Die Ausgabe erscheint aufgrund der Corona-Pandemie vorerst nur online.