5 Fragen an den Mikrobiologen Wolfgang Streit„Für eine PET-Flaschen brauchen Bakterien mindestens 500 Jahre“
14. April 2020, von Tim Schreiber
Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz
Können Bakterien beim Kampf gegen den Plastikmüll in der Umwelt helfen? Der Mikrobiologe Wolfgang Streit sucht mit seinem Team unter anderem im Hamburger Hafen oder in der Speicherstadt nach neuen kunststofffressenden Organismen. Ziel ist es, die Abbauprozesse besser zu verstehen und dieses Wissen für die Entwicklung schneller zersetzbarer Materialien zu nutzen.
Wie kommen Bakterien darauf, Kunststoffe zu fressen?
Kurz gesagt: Weil sie Hunger haben. Bakterien fressen eigentlich alles, was sie bekommen können. Wenn keine anderen Nährstoffe da sind außer Kunststoffen, dann werden auch die probiert und – wenn möglich – mithilfe von Enzymen kleingehackt und dann verstoffwechselt.
Wie lange dauert es, bis Bakterien eine größere Menge Plastik zersetzt haben?
Um eine PET-Flasche in der Natur abzubauen, brauchen Bakterien mindestens 500 Jahre, vielleicht auch länger. Das liegt auch daran, dass diese Organismen nicht auf Plastik optimiert sind und noch keine Zeit hatten, sich evolutiv zu verbessern. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern über einen sehr langen Zeitraum – und Kunststoffe produzieren wir erst seit ein paar Jahrzehnten. Bislang kennen wir außerdem nur Bakterien, die PET und sogenannte Polyurethane, die zum Beispiel für Schaumstoffe, Lacke oder Klebstoffe verwendet werden, abbauen können. Für alles andere, wie zum Beispiel PVC oder Polyethylen, aus dem unter anderem Folien hergestellt werden, gibt es nichts.
Wo suchen Sie nach plastikfressenden Bakterien?
Wir sind unter anderem im Hafen oder in der Speicherstadt unterwegs und nehmen überall Proben, wo wir Kontaminationen mit Plastik oder ähnlichen Molekülen vermuten. Wir finden dabei oft die gleichen plastikzersetzenden Organismen, haben aber auch mal Glück und finden neue. Das ist wie bei einem Zoobesuch: Beim ersten Mal übersehen Sie vielleicht das Giraffengehege, aber beim nächsten Mal fällt es Ihnen auf.
Sie gehen in die Welt hinaus und suchen vorhandene Plastikfresser. Wäre es nicht auch ein Ansatz, zu versuchen, solche Bakterien zu erschaffen – quasi wie Dr. Frankenstein?
Mit den Mitteln der synthetischen Biologie wäre es möglich, die bekannten Organismen zu verbessern und sogar ein Super-Bakterium zu bauen. Das hat aber nichts mit Frankenstein zu tun: Das Bakterium würde ja nur Plastik fressen und sonst nichts. Bei diesem Ansatz muss einem jedoch klar sein, dass man mit gentechnisch veränderten Organismen arbeitet, die immer nur in geschützten Systemen eingesetzt werden dürfen. Das wäre dann vielleicht etwas für eine Kläranlage, die mit viel Aufwand abgeschottet wird. Aber das wäre nichts für eine breite Anwendung.
Inwieweit sehen Sie Möglichkeiten, Ihre Forschung im Kampf gegen den Plastikmüll einzusetzen?
Wenn man sehr aktive Bakterien findet, die nicht gentechnisch verändert wurden, könnte man sie in einen Biokompost hineingeben und sie dabei helfen lassen, PET-Fasern aufzulösen. Das wäre kein Verstoß gegen Umweltrichtlinien. Man kann die Sache aber auch umdrehen und überlegen: Kann ich die Erkenntnisse nutzen, um Bio-Kunststoffe herzustellen, die in kürzerer Zeit abbaubar sind? Ich möchte ja nicht, dass der Kaffeebecher mir schon während des Trinkens in der Hand zerbröselt – aber innerhalb von drei Monaten könnte er sich schon auflösen. Und das kann ich erreichen, wenn ich mir anschaue, wie Kunststoffe und Bakterien miteinander interagieren. Da sehe ich sehr viel Potenzial.
Was die breite Anwendung angeht, kann ich mir persönlich nicht vorstellen, dass man irgendwann mit einem Tanker auf die Ostsee fährt, einfach eine Flüssigkeit ablässt und darauf hofft, dass die Organismen das Plastikproblem lösen. Auch für das Mikroplastik am Strand sehe ich das nicht. Realistisch ist der Einsatz in Klär- und Kompostanlagen, im Haushaltsbereich oder in der Industrie – also überall dort, wo Mikroplastik entsteht.
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Das Interview ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen. Die Ausgabe erscheint aufgrund der Corona-Pandemie vorerst nur online.