Titel, Thesen, PromotionenWas uns Tiefseeorganismen über die Anfänge des Lebens lehren
8. April 2020, von Christina Krätzig
Foto: UHH/Ohme
19NEUNZEHN stellt in dieser Serie spannende und ungewöhnliche Promotionsprojekte vor. Beispielsweise zur Suche nach dem Ursprung des Lebens – auf der Erde und anderswo.
Name: Lydia Baumann
Titel meiner Dissertation: Membranlipide hyperthermophiler, methanogener Archaeen und ihre geo- und astrobiologische Relevanz
Mein Material: Zellproben von Mikroorganismen. Man könnte auch sagen: gefriergetrocknete, pulverisierte Einzeller, die unter anderem in der Tiefsee vor Japan leben.
Ort des Schaffens: ein Labor im Geomatikum an der Universität Hamburg
Was ist das Besondere an den Organismen, mit denen Sie sich beschäftigen?
Sie leben an einem unvorstellbar lebensfeindlichen Ort: in der Tiefsee, in der es weder Licht noch Sauerstoff gibt. Das Wasser dort ist heiß, Quellen erwärmen es auf bis zu 300 Grad Celsius. Diese Umweltbedingungen sind extrem und die Anpassungen der Einzeller an diese Bedingungen bemerkenswert. Sie produzieren die Energie, die sie zum Leben brauchen, indem sie Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid in Methan und Wasser umwandeln. Das ist eine relativ einfache Form der Energiegewinnung – und unterscheidet sich grundlegend von der Photosynthese, auf der heute ein Großteil allen Lebens auf der Erde beruht.
Wieso ist das so faszinierend?
Die Lebensbedingungen von Methanothermococcus okinawensis, einem der Einzeller, mit denen ich arbeite, ähneln denen, die im Meer auf der noch jungen Erde herrschten; man kann sagen, im Ur-Ozean. In ihm entstand vermutlich das erste Leben auf unserem Planeten. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei ebenfalls um einfache, methanproduzierende Organismen gehandelt hat: Organismen also, die Methanothermococcus okinawensis stark ähnelten. „Meine“ Einzeller können uns also möglicherweise helfen zu verstehen, wie das Leben auf unserem Planeten vor etwa 3,5 bis vier Milliarden Jahren entstanden ist. Für mich ist das eine der spannendsten Fragen überhaupt.
Wie genau untersuchen Sie sie?
Ich habe ihre chemisch stabilsten Bestandteile untersucht: die Lipide, aus denen ihre Zellmembranen bestehen. Dabei habe ich mit Proben gearbeitet, die im Labor gezüchtet wurden und kurz zuvor noch lebendig waren. Doch nicht nur in solchen frischen Proben lassen sich Lipide finden. Ihre chemische Spur hält sich erstaunlich lange: Man kann sie noch nach Millionen Jahren in Gesteinen nachweisen, die aus den Sedimenten früherer Ozeane entstanden sind. Die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit solchen chemischen Spuren einstiger Einzellern beschäftigt, ist noch jung. Sie heißt Geobiologie. Geobiologinnen und -biologen untersuchen sogenannte molekulare Fossilien, also die mit dem Auge nicht sichtbaren chemischen Spuren des Lebens in Gesteinen und Sedimenten.
Früher haben Forschende nach handfesten fossilen Überresten untersucht, um etwas über das vergangene Leben auf der Erde zu erfahren: Dinosaurierknochen beispielsweise, Versteinerungen oder Krusten aus Mineralen wie Kalk. Erst seit wenigen Jahrzehnten können sie auch chemische Spuren untersuchen.
Und wofür ist Ihre Arbeit in diesem Zusammenhang nützlich?
Indem ich helfe, das chemische Signal von Methanothermococcus okinawensis zu entschlüsseln, trage ich dazu bei, dass Forschende immer besser wissen, wonach sie suchen müssen, um die Existenz von wärmeliebenden, methanproduzierenden Organismen zur Entstehungszeit der Gesteine nachzuweisen. Wenn sie die entsprechenden chemischen Spuren finden, erlaubt ihnen das Rückschlüsse auf die Umweltbedingungen jener Zeit.
Wirkt die Tiefsee also gewissermaßen wie ein Fenster in die Anfangszeit der Erde?
Ja. Und nicht nur das: Es scheint sogar möglich zu sein, dass so robuste Einzeller wie Methanothermococcus okinawensis auch auf anderen Himmelskörpern überleben; beispielsweise auf dem Saturnmond Enceladus. Dieser Mond ist von einem Panzer aus Eis bedeckt. An seinem Südpol hat die Raumsonde Cassini einen Sprühnebel gefunden, der vermuten lässt, dass sich unter dem Eis ein flüssiger Ozean mit heißen Quellen versteckt. Cassini konnte den Sprühnebel untersuchen und hat viele giftige Substanzen entdeckt, aber auch – und das macht den Mond so vielversprechend – die Ausgangsstoffe und die Endprodukte biologischer Methanproduktion.
Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich eng zusammenarbeite, haben daraufhin die Lebensbedingungen auf Enceladus im Labor nachgestellt. Sie haben versucht, drei verschiedene methanproduzierende Einzeller unter diesen extremen Bedingungen zu kultivieren – und Methanothermococcus okinawensis hat tatsächlich überlebt und sich sogar vermehrt. Das ist absolut erstaunlich: Damit wurde der erste konkrete Nachweis erbracht, dass irdische Lebewesen auf einem anderen Himmelskörper als der Erde existieren könnten.
Bedeutet das, dass es vielleicht wirklich Leben auf Enceladus gibt?
Ich halte das für unwahrscheinlich – schon allein weil Enceladus ein sehr junger Mond ist, nur etwa 100 Millionen Jahre alt. Nach allem, was wir wissen, dauert die Entwicklung von biologischem Leben länger; zumindest auf der Erde hat sie länger gedauert. Aber allein die Tatsache, dass sich auf Enceladus Leben entwickeln könnte, ist zutiefst faszinierend! Ich würde zu gern wissen, ob das Leben auf einem anderen Planeten ähnlich aussehen würde wie auf der Erde – oder ob dort möglicherweise ganz andere Lebensformen entstehen würden.
Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen. Die Ausgabe erscheint aufgrund der Corona-Pandemie vorerst nur online.