Blick in die ZukunftNachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler berichten
14. Mai 2019, von Birk Grüling
Foto: www.knowledge-technology.info/Erik Strahl
Viele Nachwuchsforscherinnen und -forscher der Universität Hamburg beschäftigen sich mit wichtigen Fragen aktueller und kommender Generationen – globale Armut, Teilchen, die unser Universum zusammenhalten, soziale Roboter oder Klimawandel. Sie alle verbindet die Leidenschaft für ihre wissenschaftliche Arbeit.
Soziale Roboter
Henrique Siqueira aus dem Fachbereich Informatik
In nicht allzu ferner Zukunft werden Roboter ein Teil unseres alltäglichen Lebens sein. Im Rahmen des „SOCRATES Projects“ beschäftige ich mich schon heute mit ihrer Fähigkeit, Emotionen zu verstehen und besser auf sie zu reagieren. In der Wissenschaft sprechen wir dabei vom Affective Computing. Unsere Emotionen werden durch viele verschiedene Dinge ausgedrückt, durch Mimik, Gestik oder die Tonlage und Schnelligkeit der Sprache. Was für die meisten Menschen kein großes Problem darstellt, ist für künstliche Intelligenz noch eine echte Herausforderung. Für die Interaktion mit dem Menschen ist es für die Maschine wichtig, Emotionen richtig zu deuten und angemessen darauf zu reagieren. Um herauszufinden, wie das gelingen kann, entwickle ich gemeinsam mit Kollegen von der Universität Barcelona ein Gedächtnisspiel für Senioren. Die Besonderheit: Das Spiel soll auf das Verhalten der Spieler reagieren. Zögert eine Seniorin zum Beispiel lange und wirkt frustriert, vereinfacht die künstliche Intelligenz das Level und motiviert stärker zum Weiterspielen. Im Prinzip lässt sich dieser Ansatz auf viele Anwendungen übertragen, wenn zum Beispiel Roboter Personen empathisch an das Trinken oder die Einnahme ihrer Medikamente erinnern.
Das Vermächtnis der Pflanzen
Lisa Amelung vom Institut für Pflanzenwissenschaften und Mikrobiologie
Lange nahm die Wissenschaft an, die DNA sei der Schlüssel für alle Eigenschaften von Pflanzen. Inzwischen wissen wir, dass unter anderem chemische Modifikationen des Erbmaterials – also Unterschiede zwischen bestimmten Molekülen – dafür verantwortlich sind, welche Gene aktiv sind und welche nicht. Dadurch können sich zum Beispiel Pflanzen besser an Trockenheit oder salzige Böden anpassen. Ihre neuen Eigenschaften verändern jedoch nicht die ursprüngliche DNA-Sequenz. Bei dem Verständnis dieser sogenannten pflanzlichen Epigenetik stehen wir aber noch ganz am Anfang. Erst im vergangenen Jahr konnten Forscher zeigen, dass auch diese chemischen Veränderungen vererbt werden können – und genau hier setzt meine Grundlagenforschung an. Im Labor arbeite ich mit der Acker-Schmalwand; weil das Genom dieses Kreuzblütlers vollständig entschlüsselt ist, lässt es sich besonders gut erforschen. Ich infiziere die Pflanze mit Bakterien und vergleiche ihr Erbmaterial mit dem gesunder Pflanzen über Generationen hinweg. Vor allem interessieren mich die chemischen Unterschiede an ganz bestimmten Stellen im Erbgut. Diese Veränderungen im Epigenom lassen sich ziemlich gut feststellen, komplizierter ist ihre Auswertung. Wir kennen viele verschiedene Modifikationen, aber über ihr Zusammenspiel ist uns nur wenig bekannt. Trotzdem besteht die Hoffnung, irgendwann einmal Pflanzen dank der Epigenetik anpassungsfähiger und ertragreicher zu machen. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg.
Armutsbekämpfung als unternehmerische Herausforderung
Jordis Grimm aus dem Fachbereich Sozialökonomie
Weltweit leben 736 Millionen Menschen von weniger als 1,90 Dollar pro Tag; ein Viertel der Weltbevölkerung lebt von weniger als 3,20 Dollar pro Tag. Hinter den Zahlen steckt eine Vielzahl von Problemen. Die Menschen hungern, haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, Bildung oder medizinischer Versorgung. In meiner Forschung beschäftige ich mich mit einem besonderen Ansatz der globalen Armutsbekämpfung. Die Idee: Unternehmen verbessern die Lebenssituation der armen Bevölkerung in sogenannten Entwicklungsländern und verdienen dabei Geld – entweder durch den Verkauf ihrer Produkte oder durch den Einsatz von Arbeitskräften. Unilever schult zum Beispiel in Indien Witwen, die Produkte des Konzerns verkaufen. Die Frauen verdienen damit ihren Lebensunterhalt, das Unternehmen macht Gewinne. Mich interessiert, wie ein solcher Beitrag zur Armutsreduzierung funktionieren kann und wann er kritisch gesehen werden muss. Dafür spreche ich mit Konzernen aus Europa und Afrika über ihre Geschäftsmodelle, Strategien und Erfolge. Die Ergebnisse zeigen: An Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen mangelt es nicht, dafür aber manchmal am Verständnis für die Menschen und ihre Lebenssituation. Deshalb kooperieren manche Unternehmen inzwischen mit Hilfsorganisationen. Auch diese Zusammenarbeit möchte ich untersuchen. Ich glaube, dass Unternehmen allein die globale Armut nicht bekämpfen können. Aber sie können einen Beitrag leisten.
Klimaveränderung rund um den Pazifik
Elina Plesca vom Exzellenzcluster für Klimaforschung CliSAP
Wir Meteorologen untersuchen die atmosphärischen Ursachen und Folgen des Klimawandels. Ich interessiere mich vor allem für die Verlangsamung der atmosphärischen Zirkulation über dem Pazifischen Ozean. Einfach ausgedrückt sorgt die Zirkulation für einen permanenten Wärmetransport: Warme Luftmassen gelangen in kühlere Regionen und umgekehrt. So entsteht ein Temperaturausgleich zwischen den Gebieten rund um den Äquator und den Polargebieten. Um diese Zusammenhänge besser zu verstehen, nutze ich 28 verschiedene Klimamodelle und mehr als 100 daraus entstandene Berechnungen aus der Pazifikregion. Die Erderwärmung und der steigende CO2-Gehalt in der Atmosphäre verlangsamen diese Dynamik – mit Folgen für das globale Klima. Wenn in einer Region über Wochen das gleiche Wetter herrscht, wird aus sonnigen Tagen schnell eine Dürre und aus etwas Regen werden Fluten. Viele tropische Regionen leiden schon heute unter dem extremen Wechsel aus Trockenheit und Starkregen. Für die Bauern vor Ort bringt die Ernte weniger Ertrag, worunter die Lebensmittelversorgung leidet. Auch Extremwetter wie Stürme oder Überschwemmung treten häufiger und stärker auf. Oft werde ich gefragt, was wir gegen den Klimawandel tun können. Meine Antwort ist dann: Zum Stoppen ist es zu spät, aber wir können ihn noch abschwächen und uns auf seine Auswirkungen vorbereiten. Dazu kann jeder einzelne von uns beitragen, ein breiter Konsens der internationalen Politik hätte aber die größte Wirkung.
Integration an einer Hamburger Stadtteilschule
Simone Plöger von der Fakultät für Erziehungswissenschaft
Wie kann Integration an der Schule gelingen? Dieser Frage widme ich mich mit einem ethnographischen Ansatz. Für meine Doktorarbeit begleite ich drei Kinder – zwei Jungen aus dem Irak bzw. aus Afghanistan sowie ein Mädchen aus Rumänien – bei ihrem Ankommen in einer Hamburger Stadtteilschule. Ich besuche sie regelmäßig im Unterricht und spreche mit Lehrkräften und Sozialarbeitern. An der Schule gibt es seit 2015 „Internationale Vorbereitungsklassen“, deren Schülerinnen und Schüler aus Afrika, Osteuropa oder der arabischen Welt kommen. Manche sind vor Krieg und Terror geflüchtet, andere kamen mit ihren Eltern wegen der Arbeit nach Deutschland. Die Schule gibt sich viel Mühe bei ihrer Integration: Von Anfang an besuchen die Kinder auch den Unterricht in Regelklassen, um schneller Anschluss zu finden. Außerdem gibt es eine Kulturmittlerin, die die Kinder im Alltag unterstützt. Ich habe herausgefunden, dass auch die didaktischen Konzepte der Schule vielen Schülern zugutekommen, das heißt, es gibt wenig Frontalunterricht, gelernt wird nach Lernplänen. Außerdem ist der Unterricht in den Klassen doppelt besetzt, Sonderpädagogen unterstützen die Fachlehrer. Mit diesem Konzept setzt die Schule übrigens auch erfolgreich Inklusion um. Man könnte vielleicht sagen, dass Anderssein in der Schule etwas Alltägliches, etwas Akzeptiertes ist. Leider zeigen diese Ergebnisse auch, woran Integration und Inklusion scheitern können – an fehlendem Personal und Willen.
Hat Lokaljournalismus eine Zukunft?
Julius Reimer vom Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut
Die Digitalisierung stellt den Lokaljournalismus vor große Herausforderungen: Alte Geschäftsmodelle wie Anzeigen und Abos funktionieren kaum noch; bei jüngeren Menschen passt eine Tageszeitung nicht mehr in den Alltag. Sie wollen lokale Nachrichten unterwegs lesen. Dass sie Interesse an dem Geschehen vor der Haustür haben, zeigte sich bei unserer repräsentativen Umfrage in Bremen. Selbst von den Jüngeren versuchen mehr als 70 Prozent, sich über lokale Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Doch mit den Informationsangeboten sind sie nicht zufrieden. Das wollen wir mit unserem Projekt „Tinder die Stadt“ ändern. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen und Medienhäusern haben wir eine Nachrichten-App für Bremen und das Umland entwickelt. Sie funktioniert nach der Logik der Dating-App Tinder, das heißt, Nutzerinnen und Nutzer können Nachrichten vom Display wischen oder sie lesen. Die Nachrichten stammen von lokalen Medien, Vereinen oder Initiativen. Parteien sind dagegen nicht dabei. Eine kleine Redaktion aus Studierenden kümmert sich um die Qualitätskontrolle dieser Nachrichten. Unser Projekt befindet sich noch in einer frühen Testphase, sodass zum Beispiel die Finanzierung der App noch kein Thema ist. Wir interessieren uns eher dafür, wie sich Medienangebote gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nutzern entwickeln lassen und wie lokale Nachrichten für eine junge Zielgruppe aussehen könnten. Auch wenn der Lokaljournalismus nicht durch unsere App allein gerettet wird, so kann sie doch ein Baustein seiner Zukunft sein.
Auf der Suche nach exotischen Teilchen
Dr. Christof Weitenberg vom Institut für Laserphysik und dem Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“
Zusammen mit meinen Kollegen erforsche ich ziemlich ungewöhnliche Teilchen – und zwar die Anyonen. Lange nahm die Physik an, alle Teilchen ließen sich in zwei Gruppen einteilen: Fermionen – die Grundbausteine der Materie, von denen niemals zwei am gleichen Ort vorkommen – und Bosonen, die deutlich „geselliger“ sind und die Kräfte zwischen den „einzelgängerischen“ Materieteilchen übertragen. Doch wie sich herausgestellt hat, gibt es in ein oder zwei Dimensionen noch andere Teilchen. Die sogenannten Anyonen brechen mit allen bekannten Prinzipien. Um diese Teilchen beobachten zu können, ist viel Aufwand nötig. Wir bringen Lithium-Atome, die aufgrund ihrer Struktur sehr gut für Experimente geeignet sind, in einem ultrahohen Vakuum auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von -273,15 Grad Celsius. Sie werden durch 20 verschiedene Laser manipuliert und die Veränderungen mit hochauflösender Mikroskopie auf Kameras festgehalten. Allein der Versuchsaufbau dauert Jahre, ein einzelner Experiment-Zyklus dagegen nur ungefähr 20 Sekunden. Durch gezielte Manipulation der Anyonen wollen wir das Verhalten dieser Teilchen besser verstehen. Das ist absolute Grundlagenforschung, die in ferner Zukunft aber bei der Entwicklung von Quantencomputern helfen könnte.
Innovative Versorgungsformen im Gesundheitswesen
Prof. Dr. Eva Oppel vom Hamburg Center for Health Economics
Mit dem demografischen Wandel wächst der Druck auf unser Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung von immer älter werdenden Menschen braucht neue, innovative Ideen. Eine solche ist der Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt. Der Stadtteil gehört zu den ärmsten der Hansestadt; Ärzte sind hier Mangelware. Diese Versorgungslücke will der Gesundheitskiosk zumindest ein wenig schließen. Dabei gilt: Die eigentliche Diagnose wird weiterhin von niedergelassenen Ärzten gestellt, aber das medizinisch ausgebildete und mehrsprachige Team im Gesundheitskiosk berät bei Themen wie Gewichtsreduktion, Ernährung, Raucherentwöhnung oder psychosozialen Fragen. Auch bei der Suche nach Ärzten oder bei Fragen zu Arztbriefen können die Mitarbeiter zurate gezogen werden. Zusätzlich gibt es Vorträge und Kurse für Menschen mit chronischen Erkrankungen. Das Angebot ist kostenlos, auch ein Termin ist nicht nötig. Als Hochschule begleiten wir das Projekt und untersuchen, ob sich die Versorgungssituation tatsächlich verbessert. Von dem Gesundheitskiosk erhoffen sich die Initiatoren des Projektes nämlich nicht nur eine bessere Prävention und mehr Angebote für die Menschen im Viertel, sondern auch eine Entlastung der Ärzte und Notaufnahmen in den Krankenhäusern. Und unsere begleitende Evaluation zeigt: Bei den Menschen im Viertel kommt der Kiosk gut an. Allein im ersten Jahr gab es mehr als 3.000 Beratungen.