Wir sind Platt! – Niederdeutsche Forschung
10. Mai 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Sukhina
In der Abteilung „Niederdeutsche Sprache und Literatur“ des Instituts für Germanistik untersuchen Prof. Dr. Ingrid Schröder und ihr Team in einem aktuellen Forschungsprojekt, was regionale Sprachformen wie Plattdeutsch und Hamburgisch den Bewohnerinnen und Bewohnern der Hansestadt bedeuten.
„Ich habe diese Sprache immer geliebt. Das Plattdeutsche kann alles sein: zart und grob, humorvoll und herzlich, klar und nüchtern.“ Das sagte der Berliner Schriftsteller Kurt Tucholsky vor rund 100 Jahren über die niederdeutsche Sprache, die seit dem 17. Jahrhundert auch unter dem Begriff Plattdeutsch bekannt ist. Doch wie stehen die Hamburgerinnen und Hamburger der heutigen Zeit zu dieser regionalen Sprachform, die Statistiken zufolge noch von rund drei Millionen Menschen in Norddeutschland aktiv gesprochen wird?
Mehr Niederdeutsch in den Medien
Diese Frage wollen Prof. Dr. Ingrid Schröder, Professorin für Niederdeutsch und Linguistik des Deutschen, und ihr Team in einem Forschungsprojekt beantworten, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. „Wir wissen, dass die Zahl der Plattdeutschsprecher zurückgeht. Aber gleichzeitig hat man das Gefühl, dass die Präsenz des Niederdeutschen zum Beispiel in den Medien und im kulturellen Bereich zunimmt“, erklärt Schröder. Die Grundfrage laute also: Was passiert angesichts solcher gegenläufigen Tendenzen mit der Sprache und mit den Einstellungen ihr gegenüber?
Die ersten Ergebnisse legen nahe: Niederdeutsch und auch das hamburgisch geprägte Hochdeutsch dienen in der Hansestadt nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern haben darüber hinaus symbolische Bedeutung. Sie sind Schröder zufolge so etwas wie ein Abzeichen – für Norddeutschland, aber speziell auch für die Stadt Hamburg und ihre Geschichte.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führten für das Projekt verschiedene Befragungen durch. Zum einen sprachen sie in mehr als 40 Interviews mit aktiven Niederdeutschsprecherinnen und -sprechern aus Politik und Kultur, die sie nach ihrer Haltung gegenüber dem Plattdeutschen sowie zu dessen Nutzung befragten. Zum anderen wandten sie sich an die Hamburger Bevölkerung und erhoben anhand von rund 700 Fragebögen ihre Einstellung zum Plattdeutschen und zum Hamburgischen – erstmal unabhängig davon, ob die Befragten selbst die Sprache beherrschten oder nicht.
Raus aus der „nostalgischen Ecke“
Die Auswertung der Interviews und Fragebögen läuft noch, aber schon jetzt zeichnet sich Schröder zufolge ab, dass Niederdeutsch eine Sprache ist, „die momentan sehr viele Symbolgehalte hat“. So verbindet eine Gruppe der Befragten mit Niederdeutsch ein sehr traditionelles Hamburg-Bild im Zeichen des Hafens und sieht es in einer Reihe mit Hamburger Sehenswürdigkeiten wie dem Michel.
Eine zweite – zumeist jüngere – Gruppe schreibt der Regionalsprache dagegen ein anderes Stadtbild zu: Für sie ist Plattdeutsch vor allem ein Zeichen von kultureller Vielfalt sowie Qualität und einer bewussten Lebenseinstellung. „Es gibt bei vielen eine Tendenz zu sagen, wir wollen nicht nur Standardisiertes haben, wir wollen Sachen kaufen und essen, von denen wir wissen, wo sie herkommen und was man mit ihnen gemacht hat. Und ich glaube, das schlägt auch auf die Sprache zurück“, erklärt Ingrid Schröder. Als Beispiel nennt sie ein Restaurant in der Speicherstadt, das mit moderner regionaler Küche wirbt und seine Speisekarte zweisprachig auf Hoch- und Plattdeutsch anbietet.
So hat Plattdeutsch, das vor allem in der älteren Generation aktiv gesprochen wird, auch für jüngere Hamburgerinnen und Hamburger eine Bedeutung. „Die Traditionslinie mit Hafen und Elbe war zu erwarten, wird aber in den Ergebnissen unserer Studie ergänzt durch andere, moderne Symbole“, sagt Schröder. Dadurch komme das Niederdeutsche auch aus der „nostalgischen Ecke“ heraus.
Die Sprachen nehmen zudem eine wichtige Funktion ein: Sie sind identitätsstiftend. „Viele können sich durch regionale Merkmale in der Sprache verorten und auch ausweisen. Man zeigt damit, dass man aus Norddeutschland bzw. aus Hamburg kommt. Es geht dann gar nicht so sehr darum, sie fließend zu sprechen“, so Schröder.
In den noch folgenden Analysen werten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun aus, welchen Einfluss die Sprachkompetenz der Befragten konkret auf ihre Bewertung der Sprache hat. In einem aktuellen Anschlussprojekt – gefördert durch die Bodo Röhr Stiftung – wird zudem untersucht, wie Jugendliche die niederdeutsche Sprache nutzen und wie ihre Einstellungen zur Sprache den Gebrauch in Schule, Theater und Freizeit beeinflussen.
Plattdüütsch – een lütte Chronik
Niederdeutsch ist dem Englischen sehr ähnlich und unterscheidet sich vom Hochdeutschen dadurch, dass noch vor dem 8. Jahrhundert im Hochdeutschen die sogenannte „Zweite Lautverschiebung“ stattgefunden hat, im Niederdeutschen wie auch im Englischen und Niederländischen hingegen unterblieben ist. So wurde im Hochdeutschen zum Beispiel aus dem „p“ am Wortanfang das „pf“ und mit niederdeutsch „planten“ korrespondiert hochdeutsch „pflanzen“. Gesprochen wird Niederdeutsch nördlich der sogenannten Benrather Linie, die von Düsseldorf quer durch Deutschland bis Frankfurt (Oder) verläuft.
Plattdeutsch kam als Begriff erst im 17. Jahrhundert auf und wird synonym zu Niederdeutsch verwendet. Ob es sich bei Plattdeutsch heute um einen Dialekt oder eine eigene Sprache handelt, ist umstritten. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen erkennt Niederdeutsch aufgrund seiner historischen Eigenständigkeit als schützenswerte Regionalsprache im Sinne der Charta an. In Hamburg hat die Erforschung des Niederdeutschen eine lange Tradition: Schon die erste Germanistikprofessur von Agathe Lasch hatte einen entsprechenden Schwerpunkt.
Hamburgisch
Das hamburgische Hochdeutsch zeichnet sich durch viele Entlehnungen aus dem Plattdeutschen sowie eine spezielle Aussprache aus. Zum Beispiel werden ein Konsonant im Wortinneren weicher und das „g“ am Silbenende oft wie „ch“ ausgesprochen, also „Gudn Tach“.
Dieser Beitrag ist Teil des Artikels "Heimatforschung" im Jubiläumsmagazin "20NEUNZEHN" der Universität Hamburg.