Zum WeltfrauentagDie Erste – Agathe Lasch im Porträt
8. März 2019, von Anna Priebe
Foto: Karl Wachholtz Verlag/Robert Peters/Sodmann T.
Heute, am 8. März, ist Weltfrauentag. An der Universität Hamburg wirkten seit ihrer Gründung beeindruckende Frauen – eine von ihnen war Agathe Lasch. Sie erhielt 1923 als erste Frau an der Universität in Hamburg und als bundesweit erste Germanistin den Professorentitel.
Allen Widerständen zum Trotz
Welche Worte Agathe Lasch, die am 4. Juli 1879 in Berlin geboren wurde, als erstes gesprochen hat, ist nicht überliefert. Aber im Kreise ihrer vier Geschwister wird sie mit den Eigenheiten und Variationen des Berlinerischen aufgewachsen sein, die sie später erforschte. Ihr Weg an die Universität war voller Hürden, denn bis 1908 durften Frauen Vorlesungen an preußischen Universitäten nur mit einer ministeriellen Genehmigung und dem Einverständnis des zuständigen Professors besuchen. So absolvierte Agathe Lasch zunächst die höhere Mädchenschule, wurde Lehrerin und machte nebenbei das Abitur. 1906 erhielt sie die offizielle Genehmigung zum Studieren, doch Gustav Roethe, Professor für Germanistik an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, verweigerte ihr die Teilnahme an seinen Seminaren. Sie ging daraufhin 1907 an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, die Frauen schon seit 1900 offen stand. Zwei Jahre nach Studienbeginn promovierte die 30-jährige Lasch zum Thema „Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts“. Aber die akademische Laufbahn war für sie als Frau immer noch in weiter Ferne. Gelegen kam ihr daher ein Lehrangebot aus den USA, das Lasch 1910 annahm. Sie wirkte sieben Jahre lang im Department „Allgemeine Germanische Philologie“ des Bryn Mawr College in Pennsylvania und kehrte erst 1917 nach Deutschland zurück – nach Hamburg.
Wissenschaftliches Wirken
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits ein Standardwerk der Germanistik veröffentlicht, die „Mittelniederdeutsche Grammatik“ (1914). Niederdeutsch bezeichnet eine germanische Sprache, die heute als „Platt“ bekannt ist. Mittelniederdeutsch ist die Ausprägung in der Sprachperiode vom 13. bis 17. Jahrhundert. Der mittelniederdeutsche Sprachraum umfasste nicht nur das heutige norddeutsche Sprachgebiet oberhalb einer geographischen Linie, die von Düsseldorf bis Frankfurt/Oder reicht, sondern war als internationale Handelssprache der Hanse darüber hinaus im gesamten Ostseeraum verbreitet. Agathe Lasch erstellte eine systematische Beschreibung der Sprache und verfolgte einen Ansatz, der auch ihre folgenden Arbeiten bestimmte: Für sie war die Geschichte einer Sprache nur zu verstehen, wenn man die parallelen kulturellen und politisch-historischen Entwicklungen berücksichtigte. Als Lasch 1917 an das Hamburger Deutsche Seminar – eines der Vorläufer der Universität – kam, wurde sie Leiterin der „Sammelstelle für das Hamburgische Wörterbuch“. Vier Jahre nach ihrer Habilitation an der damals neugegründeten Hamburgischen Universität erhielt sie 1923 als erste Frau in Hamburg sowie als erste Germanistin in Deutschland den Professorentitel. In der Hansestadt, wo sie 1926 den Lehrstuhl für Niederdeutsche Philologie bekam, arbeitete die Berlinerin an zwei großen Projekten: dem Hamburgischen Wörterbuch, das von 1985 bis 2006 in fünf Bänden erschien und für das Lasch und ihre Gruppe bereits bis 1933 durch Beobachtungen, Befragungen und Literaturrecherche 180.000 handschriftliche Belege zusammentrugen. Und dem Mittelniederdeutschen Handwörterbuch, von dem bis heute die Wortstrecken A–U erschienen sind.
Schicksal im Nationalsozialismus
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten endete die wissenschaftliche Karriere der jüdischen Professorin Agathe Lasch. Zwar versuchten sich Kolleginnen und Kollegen sowie ihre Studierenden für sie einzusetzen, doch 1934 wurde sie aus dem Dienst entlassen. Die damals 55-Jährige galt als hervorragende Pädagogin, die insbesondere Studentinnen förderte und sie zum Teil mit eigenem Geld bei Forschungsprojekten unterstützte. Ihre ehemaligen Studentinnen waren es auch, die sie ab 1938 mit Literatur versorgten, nachdem Lasch als Jüdin der Besuch öffentlicher Bibliotheken versagt war. So konnte sie noch bis 1939 vereinzelt in ausländischen Magazinen publizieren und schrieb bis 1942 Aufsätze, die heute jedoch als verloren gelten. Von Berlin aus, wo sie seit 1937 lebte, bemühte sich Agathe Lasch zudem vergebens um eine Anstellung im Ausland. Im Juli 1942 beschlagnahmte die Gestapo die persönliche Bibliothek von Agathe Lasch, die zu Teilen an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin ging und an der auch die Hamburger Universität interessiert gewesen sein soll. Dies war aber nur ein Vorbote dessen, was am 15. August 1942 geschah: Agathe Lasch wurde zusammen mit ihren Schwestern Elsbeth (*1877) und Margarete (*1880) nach Riga (Lettland) deportiert. Vermutlich am 18. August 1942 wurde sie in einem der umliegenden Wälder ermordet – gemeinsam mit den mehr als 1000 ebenfalls Deportierten dieses Transports. Sie war 63 Jahre alt.
Ihr Vermächtnis
„Alle meine Arbeiten, von der ersten an, hatten dem Aufbau der niederdeutschen Philologie gegolten“, schreibt Agathe Lasch in einem Artikel von 1927. Das Gebiet als akademische Disziplin zu etablieren, vor allem in Hamburg – das war ihr Ziel. Und sie hat es erreicht. An der Universität Hamburg gibt es am Institut für Germanistik die Abteilung „Niederdeutsche Sprache und Literatur“, in deren Arbeitsstellen die beiden Wörterbuchprojekte fortgeführt wurden (Hamburgisches Wörterbuch) und werden (Mittelniederdeutsches Handwörterbuch). Die Veröffentlichungen Laschs bezeichnet Prof. Dr. Ingrid Schröder, die an der Universität Hamburg seit 2002 Professorin für Niederdeutsch und Linguistik des Deutschen ist, noch heute als „zentrale Referenzwerke für eine historische Sprachwissenschaft des Niederdeutschen“. Seit 1992 vergibt die Freie und Hansestadt zum Gedenken an die Pionierin den mit 5000 Euro dotierten Agathe-Lasch-Preis an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die sich auf dem Gebiet der niederdeutschen Sprachforschung hervorgetan haben. Auch an der Universität wurde Lasch geehrt: 1999 bekam der Hörsaal B im Hauptgebäude den Namen der Germanistin. Vor demselben Gebäude findet sich ein Stolperstein (Foto) für sie, ebenso wie vor Laschs ehemaligem Wohnhaus in der Gustav-Leo-Straße. Im Sinne ihres besonderen Engagements für Frauen in der Wissenschaft setzt sich außerdem seit dem Frühjahr 2013 das von der Stabsstelle für Gleichstellung und dem Career Center initiierte Agathe-Lasch-Coaching-Programm für Juniorprofessorinnen und Habilitandinnen aller Fakultäten ein.
Der Text ist erstmals in der 19NEUNZEHN erschienen. Hier als PDF.