Die Zukunft der Krebserkennung5 Fragen an den Mediziner Klaus Pantel
15. Oktober 2019, von Tim Schreiber
Foto: UKE
Krebs nur mithilfe eines Bluttests erkennen, ohne die Entnahme von Gewebe: Diese Vorstellung ist sehr verlockend. Und tatsächlich sind im Bereich der Flüssigbiopsie, der sogenannten „Liquid Biopsy“, in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht worden. Der Mediziner und Tumorbiologe Prof. Dr. Klaus Pantel vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) erklärt, was die Chancen und die Risiken dieser Methode sind und in welchen Bereichen die Tests noch eingesetzt werden können.
Was steckt hinter dem Begriff „Liquid Biopsy“?
Er beschreibt die Erkennung entweder von Tumorzellen, die sich ins Blut abgesondert haben, oder von Tumorprodukten wie Proteinen oder sogenannten Messenger-Molekülen, die im Blut schwimmen. Mittlerweile können wir mit sehr feinen Messmethoden kleinste Mengen dieser Strukturen nachweisen. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich in diesem Bereich ein großer technischer Erfolg eingestellt.
Wie lange dauert es, bis es einen Krebstest für alle gibt?
Der Teufel steckt wie immer im Detail. So kann es gesunde Menschen geben, die aus irgendwelchen Gründen DNA-Moleküle im Blut haben, die tumorspezifische Veränderungen zeigen. Jeder Mensch entwickelt mit zunehmendem Alter Veränderungen in den Zellen und diese werden kompensiert, das heißt, dass das Immunsystem sie abbaut. Die Produkte einer erfolgreichen Abwehr schwimmen unter Umständen im Blut. Wenn ich also eine tumortypische DNA im Blut finde, heißt das noch nicht, dass der Mensch einen Tumor hat, der ihn gefährdet. Natürlich wollen wir als Gesellschaft immer alles: Wir wollen alle Krebsarten immer sofort erkennen und wir wollen nie einen falschen Befund. Aber das wird man nicht sofort schaffen.
Wann könnten die Tests tatsächlich eingesetzt werden?
In diesem Bereich wird intensiv geforscht. Ich bin optimistisch, dass wir in den nächsten fünf Jahren für ausgewählte Tumortypen oder speziellere Fragestellungen einen Test haben werden. Schnellschüsse nutzen keinem und man will den Menschen ja auch keine falschen Hoffnungen machen. Vor allem Tests, die fälschlicherweise positiv ausgehen, würden Ängste wecken.
Und auch der Arzt stünde vor einem Problem: Wo soll er dann nachschauen? Es gibt zig verschiedene Tumortypen auf allen möglichen Organen. Und was soll er tun, wenn beim anschließenden CT nichts gefunden wird? Es kristallisiert sich gerade heraus, dass wir, wenn wir Falsch-Positiv-Tests vermeiden wollen, im Gegenzug wahrscheinlich den Krebs nicht immer erkennen können. Ein Frühtest mit beispielsweise 70 Prozent Erkennungsquote ist aber besser als kein Test. Wahrscheinlich ist, dass die Tests zunächst für erblich vorbelastete Menschen und für Patienten in der Krebsnachsorge eingesetzt werden. Bei diesen Gruppen lässt sich die Untersuchung auf Krebs- oder Tumorarten eingrenzen und man fischt nicht so sehr im Dunkeln.
Für welche Krankheiten ist das Verfahren noch geeignet?
In der Pränataldiagnostik, also der Untersuchung von Kindern im Mutterleib, kommen Bluttests auf Trisomien anscheinend schon bald in die Regelversorgung. Sehr gute Daten gibt es auch im Bereich Transplantationsmedizin und zu der Frage, wie wir Abstoßungsreaktionen frühzeitig erkennen können. Das Organ kommt ja von einem fremden Menschen und es gibt entsprechend auch fremde DNA, die im Blut des Organempfängers erkannt werden kann. Weitere Zukunftsbereiche umfassen die Kardiologie, Nephrologie und Neurologie.
Was ist das Ziel der „European Liquid Biopsy Society“?
Wir sind gerade dabei, einen großen Querschnittsbereich in der Forschung zu entwickeln. Auch die Kollegen, die nicht aus der Onkologie kommen, sind begeistert. Wir wollen in Hamburg einen Bereich schaffen, der über die Stadt hinaus eine große Außenwirkung haben wird. In kurzer Zeit sind schon Gründungsmitglieder aus 40 Organisationen in Europa, darunter Akademische Institute und Firmen, zusammengekommen.
Zur Person
Prof. Dr. Klaus Pantel ist Leiter des Instituts für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das Institut ist Teil des Zentrums für Experimentelle Medizin, das insgesamt 16 Institute am UKE umfasst. Es ist außerdem Mitglied im Universitären Krebszentrum UCCH, das als onkologisches Spitzenzentrum von der Deutschen Krebshilfe gefördert wird. Insbesondere die Entwicklung des innovativen Diagnostikansatzes der „Liquid Biopsy“ geht auf die Pionierarbeiten des Instituts zurück, das auf diesem Gebiet derzeit weltweit eine der führenden Institutionen ist.
Das Interview ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen, die in den Foyers der Uni-Gebäude und dem Unikontor sowie den Mensen und Bibliotheken erhältlich ist.