Universitätswerdung in vier AktenDritter Akt: Die Wissenschaftlichen Anstalten
14. Oktober 2019, von Hendrik Tieke
Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
Die Universität Hamburg wurde als Institution 1919 gegründet. Doch Wissenschaft spielte schon lange davor eine größere Rolle in der Hansestadt. 19NEUNZEHN stellt zum Jubiläum Einrichtungen vor, in denen Forschung und akademische Lehre vor der Universitätsgründung stattfanden. Dieses Mal: die wissenschaftlichen Anstalten.
Eine Universitätsstadt ohne Universität – so könnte man Hamburg in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bezeichnen. Die gut ausgestattete Bildungsbehörde holte damals Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen für das Allgemeine Vorlesungswesen in die Stadt. Sie bot den Forschern eigene Professuren, zu denen je ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und eine Fachbibliothek gehörten. Um 1914 gab es in Hamburg 14 solcher Professuren – etwa für Geschichte und Psychologie.
Hinzu kamen die Wissenschaftlichen Anstalten. Unter diesem Begriff fasste man damals verschiedene Forschungsinstitute, Bibliotheken, Sammlungen und Museen zusammen. Viele von ihnen waren Überbleibsel des Akademischen Gymnasiums, das 1883 geschlossen worden war. Die meisten waren in Gebäuden in der Innenstadt untergebracht; ein großer Teil lag in der Nähe von Planten un Blomen.
Auch die Professoren und Mitarbeiter dieser Einrichtungen waren verpflichtet, Angebote im Rahmen des Allgemeinen Vorlesungswesens zu machen. Auf diese Weise vermittelten sie allen interessierten Hamburgerinnen und Hamburgern die Erkenntnisse aus ihrer Forschung. Eine dieser Wissenschaftlichen Anstalten war das Physikalische Staatslaboratorium in der heutigen Buceriusstraße – ein Vorläufer des Fachbereichs Physik. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit erstellten die hier tätigen Forscher physikalische und elektrotechnische Gutachten und prüften die Genauigkeit verschiedener Messgeräte.
Zu den Wissenschaftlichen Anstalten zählte man damals auch die Stadtbibliothek am Domplatz, die Vorgängerin der heutigen Staats- und Universitätsbibliothek (Stabi). 1885 lagerten dort bereits 400.000 Bücher und Zeitschriftenbände, 1909 waren es dann mehr als 600.000. Wie heute in der Stabi gab es dort Lesesäle, Magazine und eine Handschriftensammlung. Allerdings war die Stadtbibliothek maximal von 12 bis 16 Uhr geöffnet – und ein Buch ausleihen konnte man nur zwischen 14 und 15 Uhr. Dafür musste man vorher in meterlangen Zettelkästen nach dessen Standort suchen.
In Hamburg war die Wissenschaft traditionell eng mit dem Handel und der Seefahrt verbunden. Deshalb hatte sie oft einen direkten Nutzen für diese Bereiche. Ein Beispiel dafür ist die Sternwarte, die heute Teil der Universität ist. Sie wurde Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet und beherbergte 1884 sechs schwere Teleskope. Eines davon war so groß, dass man selbst schwach leuchtende Sterne in entfernten Galaxien damit beobachten konnte. Es war auf eine Drehscheibe montiert, die von einer mechanischen Uhr gesteuert wurde und Himmelskörpern bei ihrer Wanderung folgte. Die Erkenntnisse aus diesen Beobachtungen wurden für die Navigation und für die exakte Bestimmung der Zeit genutzt. Bis 1909 stand die Einrichtung am Südende von Planten un Blomen, dann zog sie nach Bergedorf.
Diese und viele andere der Wissenschaftlichen Anstalten bildeten die Grundlage für die Fachbereiche der Universität, etwa das Museum für Völkerkunde (Ethnologie), das Botanische Staatsinstitut (Biologie), das Phonetische Laboratorium (Sprachwissenschaften) oder das Chemische Staatslaboratorium (Chemie).
Kurz vor der Gründung der Universität hatte Hamburg 13 Wissenschaftliche Anstalten. Zusammen mit den 14 Professuren des Allgemeinen Vorlesungswesens existierte damit ein breites akademisches Fundament in der Stadt, auf das die Universitätsgründer bauen konnten. Die Wissenschaftlichen Anstalten blieben zwar nach 1919 formell unabhängig und wurden erst in den kommenden Jahrzehnten in die Universität eingegliedert. Doch von Anfang an trugen sie maßgeblich zum universitären Lehrbetrieb bei.
Der Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen, die in den Foyers der Uni-Gebäude und dem Unikontor sowie den Mensen und Bibliotheken erhältlich ist.