Universitätswerdung in vier AktenZweiter Akt: Das Allgemeine Vorlesungswesen
17. Juni 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Denstorf
Die Universität Hamburg wurde als Institution 1919 gegründet. Doch Wissenschaft spielte schon lange davor eine größere Rolle in der Hansestadt, als oft gedacht wird. 19NEUNZEHN stellt bis zum Jubiläum 2019 Einrichtungen vor, in denen Forschung und akademische Lehre vor der Universitätsgründung stattfanden. Dieses Mal: das Allgemeine Vorlesungswesen.
Wer dauerhaft vor Publikum bestehen will, muss sich immer wieder neu erfinden. Das gilt auch für das Allgemeine Vorlesungswesen. So wurde das Programm seit seiner Gründung mehrfach reformiert, abgeschafft und neu aufgesetzt. Das letzte Revival gab es 1982, nach rund 20 Jahren Pause.
Begonnen hatte alles 1764, als Johann Georg Büsch (1728–1800) beschloss, seine Vorlesungen „zum Gemeinnützigen aus der Mathematik“ für ein breiteres Publikum zu halten. Seit 1756 war der Nationalökonom Professor am Akademischen Gymnasium Hamburgs, wo Vorlesungen damals nur für dessen Schüler gehalten werden durften. Büsch erinnerte sich 1800: „Ich habe mich nie daran gebunden, weil ich nicht glaubte, dass die Kenntnisse der Mathematik, und was ich sonst vorzutragen mich fähig fand, blos [sic!] dem eigentlichen Gelehrten dienlich und erwünscht sein dürfen.“
Diese Haltung wurde zum Kern des Allgemeinen Vorlesungswesens. Lange Zeit waren die Veranstaltungen nur ein Zusatzangebot im Schatten des Akademischen Gymnasiums, stießen aber auf immer größere Nachfrage. Gleichzeitig gingen die Einschreibungen im Gymnasium stetig zurück. Im Rahmen einer umfangreichen Reform desselben 1838 wurde das Vorlesungswesen aufgewertet. Ab jetzt waren öffentliche Vorlesungen für die Professoren Pflicht, um „solchergestalt [...] veredelnd auf allgemeine Bildung einzuwirken […]“.
Neustrukturierung durch Werner von Melle
Während das Akademische Gymnasium 1883 abgeschafft wurde, hatte das Allgemeine Vorlesungswesen Bestand; die Angebote kamen nun allerdings von den Professoren der Wissenschaftlichen Anstalten, etwa der Sternwarte. Durch Werner von Melle (1853–1937) wurde das Programm ab 1895 neu strukturiert. Sein Ziel – erst als Rechtsberater des Senats und später als Senator – war eine Universität in der Hansestadt. Dafür sollte die Wissenschaft in Hamburg institutionalisiert und ihre Bedeutung gestärkt werden, weshalb er unter anderem externe Professoren, darunter Koryphäen der damaligen Zeit, für Vorträge nach Hamburg holte. Zudem gestaltete eine eigens eingerichtete Kommission das Programm; neben dem öffentlichen Teil wurden auch Übungen und Fortbildungsangebote für spezielle Berufsgruppen angeboten.
Mit Erfolg: Im Winterhalbjahr 1905/06 zum Beispiel gab es 139 Kurse in 20 Fächern, unter anderem in Theologie, Kriegswissenschaft und Botanik. Die Gesamtzahl der Hörerinnen und Hörer betrug rund 68.000. Allein bei den acht öffentlichen Vorlesungen der Reihe „The Stuart Period in England“ von John Howard Bertram Masterman (1876–1933) von der University of Birmingham wurden mehr als 3.000 Menschen gezählt.
1911 wird das heutige Hauptgebäude eröffnet
Aufgrund des zunehmenden Raumbedarfs stiftete der Kaufmann Edmund Siemers (1840–1918) 1907 ein eigenes, 1911 übergebenes Gebäude, das acht Jahre später Hauptgebäude der neu gegründeten Universität wurde. Obwohl neben der Universität damals auch die Volkshochschule geschaffen wurde, blieb das Vorlesungswesen Teil der Universität – allerdings nicht mehr mit eigenen Angeboten für die Öffentlichkeit; Interessierte sollten die regulären Vorlesungen besuchen. Die Nachfrage war jedoch gering und 1943 wurde das Programm erstmals eingestellt.
Ein Revival 1947 brachte keinen Erfolg. Nachdem 1958 mehr als 100 Veranstaltungen von nur 78 Personen besucht worden waren, wurde das Allgemeine Vorlesungswesen 1959 erneut beendet. Erst 1982 gelang das Comeback – dieses Mal mit dem ursprünglichen Konzept spezieller Vortragsreihen für interessierte Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von den universitären Vorlesungen. Im Wintersemester 2018 / 19 wird es im 235. Jahr des Bestehens des Vorlesungswesens 31 Ringvorlesungen geben.
Der Text ist in der Ausgabe 11 (Oktober 2018) der 19NEUNZEHN erschienen. Hier als PDF.