Gestern nicht vergessen
10. Mai 2019, von Daniel Meßner
Foto: UHH/Zimmerer
Die Geschichte der Universität Hamburg ist eng mit der deutschen verbunden – in guten wie in schlechten Zeiten. Wie Erinnerung und Gedenken für eine Hochschule funktionieren können, ist dabei immer wieder aufs Neue eine Herausforderung. Die Universität Hamburg setzt auf Forschung und Vermittlung, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
„In Memoriam“ steht auf der Tafel, die im Audimax an die studentischen Mitglieder der „Weißen Rose Hamburg“ erinnert. 1971 wurde sie in den Boden des Gebäudes eingelassen, um an die Widerstandskämpferinnen und -kämpfer zu erinnern.
„Mehr als viele andere Universitäten bemühen wir uns, die NS-Zeit nicht nur wissenschaftlich aufzuarbeiten, sondern die Erinnerungskultur in den Unialltag zu integrieren und sichtbar zu machen“, sagt Prof. Dr. Rainer Nicolaysen, der Leiter der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte. Das zeige sich nicht nur an der Gedenkplatte im Audimax, sondern auch an den sieben Hörsälen im Hauptgebäude, die nach in der NS-Zeit verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern benannt sind, sowie an Denkmälern rund um den Campus Von-Melle-Park.
Unbequeme Wahrheit: NS-Zeit
Dieser möglichst vorbehaltlose Umgang mit der eigenen Vergangenheit war lange Zeit nicht selbstverständlich. Es hat bis in die 1980er-Jahre gedauert, bis die Universitätsgeschichte der NS-Zeit erstmals in einem großen, interdisziplinären Forschungsprojekt aufgearbeitet wurde. Bundesweit hatte die Arbeit Vorbildcharakter und gilt als Pilotprojekt. Und sie
ist Ausgangspunkt für viele Gedenk-Initiativen: „Auch die Umbenennung der Hörsäle wäre ohne diese Forschung nicht möglich gewesen“, betont Nicolaysen.
In der Erinnerungskultur spielen auch Jubiläen und Gedenktage eine besondere Rolle: Sie sind Anlass für viele, sich zu erinnern und sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Allerdings müsse diese dann Nicolaysen zufolge kritisch befragt werden: „Wir sind auch der unbequemen Wahrheit verpflichtet und schauen uns die Vergangenheit an, ob sie uns gefällt oder nicht.“
Diese Einstellung war vor 50 Jahren kaum denkbar. Als die Jurastudenten Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer beim Rektorwechsel im November 1967 im Audimax ein Banner mit der Aufschrift „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ entfalteten, erregten sie bundesweit Aufsehen.
Für die beiden Studenten hatte die Aktion keine Konsequenzen, dafür änderte sich bald die Hochschule grundlegend: 1969 wurde die Universität Hamburg zur bundesweit ersten Reformuniversität – eine wichtige Voraussetzung auch für eine neue Erinnerungskultur.
Denkmalsturz: das koloniale Erbe
Die Forderung der Studierenden nach einer kritischen Beschäftigung mit der eigenen Geschichte zeigte sich in einer weiteren spektakulären Protestaktion: In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 1968 stürzten Studierende zwei Denkmäler, die Kolonialoffizieren gewidmet waren: Hermann von Wissmann und Hans Dominik. Das Wissmann-Denkmal stand seit 1922 an der Ostseite des Hauptgebäudes, das Dominik-Denkmal seit 1935 an der Westseite. Die geforderte Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ließ allerdings auf sich warten. Die Denkmäler wurden nach dem Sturz für Jahrzehnte in der Sternwarte Bergedorf eingelagert.
46 Jahre später setzt die Universität Hamburg – wie bei der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit – nun auch im Umgang mit der kolonialen Vergangenheit Maßstäbe. In der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ unter der Leitung von Prof. Dr. Jürgen Zimmerer werden seit 2014 die Verbindungen und Nachwirkungen des Kolonialismus in Hamburg, Deutschland und den ehemaligen Kolonien untersucht. Dabei steht auch die Universität selbst im Fokus, deren eigene Wurzeln unter anderem im Kolonialinstitut liegen.
Erinnerungskultur und Alltag
„Die Vergangenheit ist Teil unserer Identität“, erklärt Dr. Sabine Bamberger-Stemmann, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung in Hamburg und Lehrbeauftragte an der Universität Hamburg. Sie betont die Bedeutung von Gedenken und Erinnerungskultur: „Eine Universität kann nur dann im Rahmen ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung funktionieren, wenn alle Beteiligten einen Bezug zur Institution haben und zur eigenen Vergangenheit.“ Denn ohne Geschichte verstünden wir die eigene Gegenwart nicht.
So erinnert die Bronzetafel im Audimax die Lehrenden und Studierenden immer wieder an die vier jungen Menschen, die für ihre Überzeugungen eintraten und dafür mit ihrem Leben bezahlten.