„Erasmus ist ein Gewinn“
10. Mai 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Wohlfahrt
Dr. Markus Friederici nutzte das Angebot 1993 als Student und zehn Jahre später auch als Dozent – er kennt das Programm also aus beiden Perspektiven. Erasmus wurde an der Fakultät für Erziehungswissenschaft sogar sein Hauptprojekt. Ein Gespräch über gute Vorbereitung, Abstand und Volleyball.
Warum haben Sie sich 1993 für ein Erasmus-Semester beworben?
Ich habe mich nicht für ein Auslandssemester beworben, ganz im Gegenteil: Ich wollte nicht weg. Ich hatte gerade eine Wohnung gefunden und fühlte mich ganz wohl. Dann kam ein Professor auf einen Freund und mich zu und sagte, die Soziologie hätte jetzt einen Kooperationsvertrag mit der University of Leicester. Wir sollten da mal hingehen.
Damit erübrigt sich die Frage, warum Sie diese Stadt gewählt haben.
Leicester war schon gut. Ich habe damals Volleyball gespielt und die hatten dort einen prominenten Volleyballverein. Nach einem Probetraining habe ich tatsächlich beim Leicester Volleyball Club einen Vertrag unterschrieben und eine Saison in der National League gespielt.
Kannten Sie die Stadt denn vorher?
Nein. Damals hat man sich vorher ja auch nur informieren können, indem man in die Bibliothek ging. Ich bin da ganz blauäugig hingefahren – und im Nachhinein war das auch ganz gut so, denn wenn ich vorher gewusst hätte, was mich da erwartet, weiß ich nicht, ob ich gefahren wäre.
Inwiefern?
Wir sind im Januar angekommen und es hat nur geregnet. Die Kneipen machten um 23 Uhr zu und das Studentenwohnheim war wirklich schlimm. Zum Beispiel waren die Türen Spanplatten, die auch noch große Löcher hatten. Das war auch ein Grund, warum wir uns zu Anfang nicht sehr wohl gefühlt haben. Der Tiefpunkt war unser Besuch im städtischen Schwimmbad, das eigentlich mehr ein Kinderbecken war; da standen wir im Wasser und waren entschlossen, wieder nach Deutschland zurückzufahren.
Dann tauchte im wahrsten Sinne des Wortes ein anderer deutscher Student auf und hat uns zu seiner Abschiedsparty eingeladen. Da haben wir viele Leute kennengelernt und später konnten wir auch das Haus übernehmen, in dem er mit zwei Kommilitonen gewohnt hat.
Gab es denn damals vonseiten der Universität Unterstützung bei der Organisation?
Die Sekretärin des Professors hat uns ein bisschen unterstützt, aber das meiste war Eigenorganisation. Wir sind in Leicester angekommen und es gab kein Office, keine Infoveranstaltung und keine Homepage mit Checkliste. Das ist sehr informell gewesen.
Wenn ich später Leute in der Beratung für Erasmus hatte, die vorab ganz hektisch geworden sind, habe ich schon mal gesagt:
‚Ich bin auch mit Eramus im Ausland gewesen und das geht auch, wenn gar nichts organisiert ist.‘ Die Menschen vor Ort sind in der Regel sehr nett und hilfsbereit.
Haben Sie noch Kontakt zu Leuten von damals?
Ich habe noch Kontakt zu meinem damaligen Trainer, der mittlerweile schon sehr alt ist. Seit ich da studiert habe, fahre ich auch jedes Jahr nach England in den Urlaub – und wenn es die Reiseroute zulässt, fahre ich oft über Leicester. Aber ich schaue dann nicht mehr bei irgendwem rein; das Institut, an dem ich damals war, gibt es auch gar nicht mehr.
Was Erasmus angeht, sind Sie ja durchaus Wiederholungstäter.
Nach meiner Promotion bin ich als Dozent mit Erasmus für sechs Wochen nach Barcelona gegangen. Das muss 2002 oder 2003 gewesen sein. Ich habe für meine Habilitation ein Forschungsprojekt gemacht und auch Kurse gegeben.
Außerdem habe ich mehr als zehn Jahre lang einen sogenannten Erasmus-Intensivkurs mitorganisiert. Da haben sich immer fünf Professoren und Dozenten aus Leicester, Rom, Barcelona, Paris und Hamburg für eine Woche mit ihren Studierenden getroffen. Das Ziel war, dass die Studierenden untereinander über ihre Abschlussarbeiten diskutieren und neue Perspektiven bekommen. Ich bin die ersten drei Jahre als Student mitgefahren und dann als Doktorand. Als Dozent habe ich das bis 2006 in der Soziologie weitergeführt.
Von 2008 bis 2018 haben Sie im Referat Internationalisierung der Fakultät für Erziehungswissenschaft zudem Studierende bei ihren Auslandsaufenthalten unterstützt. Wie hat sich Erasmus seitdem verändert?
Als ich 2008 angefangen habe, hatten wir in der Erziehungswissenschaft acht Incoming-Studenten, also Studierende aus dem Ausland, und sechs Outgoings. Mittlerweile haben wir ungefähr 50 Incomings und um die 80 Outgoings – das ist heute eine ganz andere Dimension. Auch bei den Unterstützungsleistungen, die wir den Studierenden anbieten. Manchmal denke ich schon: Wenn die wüssten, wie wir damals betreut worden sind. Inzwischen gibt es sehr strukturiert Input in Kleingruppen – auch mit Beratung durch Ehemalige, die in dem jeweiligen Land waren und Tipps geben. Wir betreuen die Studierenden ganz intensiv – vor der Reise, während der Reise und auch hinterher, wenn es um die Anerkennung der Leistungen geht.
Wenn Sie zurückblicken: Was ist Ihre prägendste Erinnerung an Ihre studentische Erasmus-Zeit?
Für mich ist das die erste Nacht, in der ich auf Englisch geträumt habe. Das an sich ist nicht so spektakulär, aber es war ein tolles Gefühl, wirklich in eine andere Kultur einzutauchen und das, was in Hamburg ist, hinter mir zu lassen.
Es berichten übrigens viele, dass man sich wirklich von den Problemen in der Heimat löst, wenn man länger weg ist – so nach vier oder fünf Wochen. Es wird im Nachhinein oft als Gewinn empfunden, dass man über viele Dinge mal mit Abstand nachdenken kann. Deswegen kann ich auch jedem nur empfehlen, das für sich zu machen. Es ist eine einzigartige Möglichkeit, auf dieser Ebene andere Denkweisen und Kulturen kennenlernen und nachvollziehen zu können.
Hamburg und die Welt
Über das europäische Austauschprogramm Erasmus, das Swiss-European Mobility Programme, bilaterale Fakultätspartnerschaften sowie den fächerübergreifenden Zentralaustausch können Studierende der Universität aus mehr als 300 Universitäten in der Welt ihr Ziel für ein Auslandssemester wählen. Rund 500 Studierende pro Jahr nutzen das Erasmus-Programm. Seit 2012 baut die Universität zudem im Rahmen ihrer Internationalisierungsstrategie ein strategisches Netzwerk von inzwischen 17 internationalen Hochschulpartnerschaften auf.
Doch Studierende gehen nicht nur aus Hamburg in die Welt, sondern viele kommen auch für ein oder mehr Semester in die Hansestadt. 5.697 internationale Studierende konnte die Universität im Wintersemester 2018 / 19 begrüßen, davon 1.131 Promovierende. Die drei häufigsten Herkunftsländer sind die Türkei (458; 8,04%), China (446; 7,83%) und die Russische Föderation (358; 6,24%). Aus der EU kommen die meisten Studierenden aus Italien (219; 3,84%). Weitere Infos: uhh.de/internationales