„Talente wollen gelebt werden“Interview mit UHH-Alumna Cornelia Funke
10. Dezember 2018, von Anna Priebe
Foto: Dressler/Joerg Schwalfenberg
Wie man seine Talente lebt, zeigt Cornelia Funke selbst am besten. Ihr literarisches Werk umfasst mehr als 50 Bücher. Am 10. Dezember wurde die Ehrensenatorin der Universität Hamburg 60 Jahre alt. Ein 19NEUNZEHN-Interview (Ausgabe 6, April 2016) über ihre Studienzeit.
Frau Funke, auf Ihrer Internetseite ist zu lesen, dass eine Figur im „Drachenreiter“, der Professor Barnabas Wiesengrund, von Theodor Wiesengrund Adorno inspiriert war, dessen Theorien in Ihrer Abschlussarbeit eine wichtige Rolle spielten. Wodurch hat sich gerade Adorno als Vorbild empfohlen?
Ich habe in meiner Diplomarbeit unter anderem Bezug genommen auf Adornos „Erziehung zum autoritären Charakter“, ein Thema, das mich als Deutsche immer sehr interessiert hat. Außerdem ist der Name Wiesengrund einfach zu schön (lacht).
Wie hat sich Ihr Studium abseits von Adorno in Ihren Werken niedergeschlagen?
Ich bin nicht sicher, ob sich da groß was niedergeschlagen hat. Ich habe während des Studiums schon begonnen, praktisch mit Kindern zu arbeiten, was sicher prägender war. Und ich habe mich für meine Diplomarbeit auch mit Kunst als Erziehungsmittel auseinandergesetzt – vielleicht hat sich da schon angekündigt, dass ich die Finger langfristig doch nicht von den Malpinseln würde lassen können. Am deutlichsten erinnere ich mich interessanterweise an eine Philosophievorlesung zum I Ging – dem „Buch der Wandlungen“ –, das ich gern ab und zu befrage. Der Professor war auch einer der Fragesteller in meiner mündlichen Prüfung. Und Adorno und Marcuse als Lesematerial zeigten natürlich schon etwas von meiner politischen Orientierung.
Viele Ihrer Bücher spielen in Fantasie-Welten oder enden – wenn sie in der realen Welt stattfinden – oft, bevor die Charaktere erwachsen werden. Da Wissenschaftler und Forscherinnen ja z. B. beim Drachenreiter schon vorkommen: Wäre eine Universität nicht auch mal ein schöner Handlungsort?
Ich gebe zu, mich zieht es immer eher in die nicht-akademische Welt hinaus, sowohl im Leben als auch in meinen Geschichten. Ich blicke gern dahin, wo Wissen angewandt und in praktische Veränderung umgesetzt wird. Barnabas Wiesengrund gründet in meinem Buch „Die Feder eines Greifs“ zum Beispiel eine Schutzstation für fabelhafte Wesen. Aber einmal weiche ich davon ab: In „Reckless – Lebendige Schatten“ trifft Jacob, eine meiner Lieblingsfiguren, an der Universität von Pendragon auf Robert Dunbar, den berühmten Historiker aus Albion.
Warum haben Sie damals nicht Literaturwissenschaft studiert?
Ich habe Diplom-Pädagogik studiert; Soziologie und Psychologie musste ich mit einigen Seminaren abdecken, gebe aber zu, dass ich sie ebenso wenig genossen habe wie die Pädagogik-Seminare. Ich habe mein Studienfach gewählt, weil mir eine Studienberaterin ausredete, Kindergärtnerin oder Sozialarbeiterin zu werden – leider war ich damals noch dumm genug, auf solche, ganze Berufsgruppen abwertenden Ratschläge zu hören. Ich war kaum 18 und fühlte mich verpflichtet, die Welt zu verändern, statt, wie meine Familie es wünschte, Kunst zu studieren. Aber die Kunst hat sich dann doch durchgesetzt – wie es oft mit unseren Talenten ist: Sie wollen einfach gelebt werden. Literaturwissenschaft hätte ich niemals studiert. Ich hätte zu viel Angst, dass mir durchs Zerpflücken meiner Lieblingstexte die Liebe zu ihnen abhanden kommt.
Würden Sie heute noch einmal genau die gleichen Fächer studieren?
Nein, ganz bestimmt nicht. Ich würde von Anfang an Illustration studieren.
Sie haben zwar auch kurze Zeit als Pädagogin gearbeitet, sich dann allerdings hauptberuflich der Illustration und eben der Schriftstellerei zugewandt. Warum sind Sie nicht in dem ursprünglichen Gebiet geblieben?
Ich glaube, das habe ich oben erklärt. Ich kam mir eine ganze Weile als Verräterin vor, als ich die Kinder, mit denen ich arbeitete, für Bleistifte und Pinsel im Stich ließ, aber nun unterstütze ich Charity-Projekte für Kinder in aller Welt – und alles macht Sinn.
Würden Sie sagen, dass das Schreiben von Kinderbüchern eine Form der Pädagogik ist?
Himmel, nein! Ich sage immer, ich verstehe mich immer noch sehr gut mit Kindern, obwohl ich Pädagogik studiert habe. Ich liebe Kinder. Ich habe nicht das Bedürfnis, sie zu erziehen – das scheinen Erwachsene oft wesentlich nötiger zu haben. Aber ich sehe mir in ihrem Namen gern die Welt an und versuche sie für sie in Worte zu fassen – mitsamt den Fragen, die wir alle stellen. „Erziehen“ ist für mich ein sehr problematisches Wort, wenn es um mehr als Wissensvermittlung geht.
Was sollen Leserinnen und Leser aus Ihren Büchern mitnehmen?
Dass ich ihnen Geschichten gebe, die das Chaos dieses Lebens und dieser Welt in Worte fassen, die sie vielleicht selbst nicht haben. Viele Leser schreiben mir, dass ich ihnen mit den Geschichten eine Zuflucht schaffe. „Shelter from the Storm“, wie Bob Dylan so treffend singt. Aber in diesem Shelter muss dennoch vom Sturm gesprochen werden, sonst ist er nichts als ein Versteck.
Ihr erstes englisches Bilderbuch heißt „The book no one ever read“. Was hätten Sie gemacht, wenn Ihre Bücher tatsächlich niemand hätte lesen wollen?
Weiter geschrieben und gezeichnet – und mir mein Brot mit Gärtnern oder im Naturschutz verdient (lacht).
Seit 2005 leben Sie im warmen, sonnigen Los Angeles. Vermissen Sie Hamburg manchmal?
Nein, ich gebe zu, ich lebe immer eher nach vorn als zurück, und mehr als 25 Jahre in Hamburg haben mich ja mit ausreichend wunderbaren Erinnerungen versorgt. Ich empfinde mich aber immer noch als Wahl-Hamburgerin, habe sogar noch den Akzent, obwohl ich aus Westfalen stamme, und brauche meine regelmäßigen Besuche in Hamburg. Mein deutscher Hauptverlag Dressler ist dort ansässig. Ich habe sehr viele sehr gute Freunde in Hamburg und ich finde auch immer noch, dass es die schönste Stadt Deutschlands ist!
Zur Person
Cornelia Funke (*10. Dezember 1958 in Dorsten) stammt aus Nordrhein-Westfalen, studierte von 1977 bis 1983 an der Universität Hamburg und schloss das Studium als Diplom-Pädagogin ab. Schon damals hat sie Kinderbücher illustriert, ihr erstes eigenes Buch erschien 1988. Heute ist sie eine der erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen weltweit und lebt in Los Angeles (Kalifornien). Einige ihrer bekanntesten Bücher sind „Die Wilden Hühner“ (1993–2003), „Der Herr der Diebe“ (2000) und die „Tintenwelt“-Trilogie. Aktuell arbeitet sie am zweiten Teil des „Drachenreiter“ und dem vierten Teil der „Spiegelwelt“-Serie. Zudem hat sie gerade einen eigenen Verlag gegründet und unterstützt zahlreiche gemeinnützige Projekte wie die „Häusliche Kinderkrankenpflege in Hamburg e. V.“. Für ihre Bücher wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland und dem Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache. Sie ist seit 2017 Ehrensenatorin der Universität Hamburg.