Serie „Namenspatenschaft“ – Wolfgang PauliEinsteins „geistiger“ Sohn
14. November 2018, von Sarah Batelka
Foto: CERN
Edmund-Siemers-Allee, Anna-Siemsen-Hörsaal oder Von-Melle-Park: Gebäude und Straßen erzählen mit ihren Namen Geschichten, die eng mit der Universität Hamburg verbunden sind. 19NEUNZEHN stellt in einer Serie die Personen hinter diesen Namen vor. Dieses Mal: Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli.
Mit einem Festkolloquium hat die Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN) im November 2005 den „Wolfgang Pauli-Hörsaal“ an der Universität Hamburg eingeweiht. Acht Jahre später tauften sie – gemeinsam mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY – das neu gegründete Zentrum für theoretische Physik „Wolfgang Pauli Centre“. Der Namensgeber stehe für brillante Forschung auf verschiedenen Gebieten der theoretischen Physik, darunter Quantentheorie, Teilchenphysik, Relativitätstheorie und Kosmologie, begründete der damalige Sprecher des Centre, Prof. Dr. Wilfried Buchmüller, die Entscheidung.
Wolfgang wer? Tatsächlich gehört Pauli zu den bedeutendsten Physikern des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu anderen Fachkolleginnen und -kollegen seiner Zeit – unter ihnen Nobelpreisträgerinnen und -preisträger wie Marie Curie (1867–1934), Albert Einstein (1879–1955) und Werner Heisenberg (1901–1976) – ist Wolfgang Pauli heute außerhalb der Fachwelt aber quasi unbekannt.
„Frohe Tage in Hamburg“
Dabei galt er, am 25. April 1900 in Wien geboren, laut seines Biografen und ehemaligen Assistenten Charles P. Enz als Wunderkind. Mit 18 Jahren verfasste der frisch gebackene Abiturient seine erste wissenschaftliche Publikation zum Gravitationsfeld, das Albert Einstein erst ein paar Jahre zuvor theoretisch beschrieben hatte. Mit 19 Jahren schrieb Pauli im Auftrag seines Doktorvaters an der Universität München, Arnold Sommerfeld, den mehr als 200 Seiten langen Übersichtsartikel „Relativitätstheorie“ für die „Encyklopädie [sic] der mathematischen Wissenschaften“.
Zwischen 1922 und 1928 arbeitete Wolfgang Pauli an der Universität Hamburg, erst als Assistent, dann als Professor. Die Jahre beschrieb er in Briefen als seine „frohen Tage in Hamburg“. Mit seinen Physiker-Kollegen, etwa Otto Stern, verbanden ihn schnell Freundschaften. Die Hamburger Wissenschaftler verbrachten oft ihre Freizeit miteinander: Sie gingen gemeinsam ins Kino oder fuhren an die Nordsee. Auch zum Astronomen Walter Baade hatte Pauli gute Beziehungen.
1945: Der Nobelpreis
Paulis Jahre an der Universität Hamburg gehörten zudem „wohl zu den fruchtbarsten in [seinem] Leben“, schreibt Physikhistoriker Steffen Richter in seiner Biografie des Wissenschaftlers. Der Physiker trieb seine akademische Ausbildung voran, habilitierte sich 1924 mit einer Arbeit über die Verallgemeinerung der statistischen Gesetze in der Quantentheorie der Strahlung; 1926 wurde ihm der Professorentitel verliehen. Auch feierte er große Forschungserfolge: 1924 entdeckte Pauli das Ausschließungsprinzip als Erklärung zum Aufbau der Materie – auch „Pauli-Prinzip“ genannt –, für das er 1945 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Um die Persönlichkeit von Wolfgang Pauli ranken sich zahlreiche Anekdoten. Er war laut seines Doktorvaters ein „Genius ersten Ranges“, er war Perfektionist und Gesellschaftsmensch. Pauli verbrachte seine Zeit gerne in Kneipen und arbeitete anschließend bis spät in die Nacht. Dieser Rhythmus passte nicht zu den Vorstellungen des Physikers Max Born, bei dem Pauli 1921 an der Universität Göttingen als Assistent arbeitete. Born schrieb an Albert Einstein: „Ich erinnere mich, dass er lange zu schlafen liebte und mehr als einmal die Vorlesung um elf Uhr verpasste. Wir schickten dann unser Hausmädchen um halb elf zu ihm, um sicher zu sein, dass er auf sei.“ Gefürchtet war unter seinen Kolleginnen und Kollegen auch der sogenannte „Pauli-Effekt“, der besagte, dass technische Geräte versagten, wenn Pauli anwesend war. Sein Freund Stern soll Pauli aus Furcht vor solchen Zwischenfällen den Zutritt zu seinem Institut verwehrt haben.
Forschungserfolge trotz Lebenskrise
Ende der 1920er-Jahre geriet Pauli in eine Lebenskrise: Seine Mutter Bertha, zu der er ein enges Verhältnis hatte, beging 1927 Suizid. 1929 heiratete er die Tänzerin Käthe Deppner, doch die Ehe hielt nur ein Jahr. Zu diesem Zeitpunkt hatte er Hamburg bereits verlassen, denn 1928 nahm Pauli den Ruf der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) auf die Professur für theoretische Physik an. In Zürich suchte Pauli sich dann professionelle Hilfe und wurde ab 1930 einige Jahre lang von dem Psychologen Carl Gustav Jung, einem Schüler Sigmund Freuds, behandelt. Die Analysen veröffentlichte Jung später ohne Nennung von Paulis Namen in seinem Buch „Psychologie und Alchemie“. Mit seiner zweite Ehe, die Pauli 1934 mit Franca Bertram einging, endete seine Krise.
Parallel zu den persönlichen Fortschritten erarbeitete er in der Wissenschaft Erkenntnisse, die sich später als Meilensteine der Physik herausstellten: 1930 stellte er in einem Brief die These auf, dass in den Kernen von Atomen bislang unbekannte elektrisch neutrale Teilchen existieren könnten. 26 Jahre später lieferten amerikanische Wissenschaftler den praktischen Beweis dazu: Das Teilchen – Neutrino genannt – gab es tatsächlich.
Ehrendoktor der Universität Hamburg
1938 erfolgte der „Anschluss“ Österreichs ans nationalsozialistische Deutschland; Wolfgang Pauli wurde automatisch deutscher Staatsbürger. Da sein später zum Katholizismus konvertierter Vater als Jude geboren worden war, stellte Pauli einen Antrag auf Einbürgerung in die Schweiz, der zweimal abgelehnt wurde. 1940 ging er als Gastprofessor zu Albert Einstein an das Institute for Advanced Study in Princeton, wo er sich dagegen entschied, kriegsrelevante Forschung zu betreiben und am Atomwaffenprogramm der USA teilzunehmen. Obwohl Einstein ihn als „geistigen Sohn“ bezeichnete, und als seinen Nachfolger in Princeton sah, kehrte Pauli 1946 an die ETH zurück. „I feel, however, that I am European“, erläutert er einem Kollegen. 1958 starb er unerwartet in Zürich an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Noch kurz vor seinem Tod hatte ihm die Universität Hamburg die Ehrendoktorwürde verliehen.
Der Text ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen, die seit Oktober in den Foyers der Uni-Gebäude und dem Unikontor sowie den Mensen und Bibliotheken erhältlich ist.