UHH-Alumnus Corny Littmann im InterviewVom Aufhören und Anfangen
8. Mai 2018, von Ellen Schonter
Foto: UHH/Dingler
In jeder Ausgabe stellt 19NEUNZEHN im Interview Alumni der Universität vor. Dieses Mal: Corny Littmann. Er hat drei Theaterbühnen gegründet, gilt als „König vom Kiez“ und hat als Club-Präsident den FC St. Pauli gerettet. Ein Gespräch über Heimatgefühle und Mut zum Risiko.
Warum haben Sie Psychologie studiert?
Eigentlich hat mich vor Beginn des Studiums vor allem die Gesprächstherapie interessiert. Im Rückblick stellt sich die Motivation aber anders dar, so wie vieles im Leben: Ich hatte sicherlich auch die unbewusste Erwartung, mehr über meine eigene Identität zu erfahren, denn Anfang der 1970er-Jahre hatte ich ja gerade mein Coming-out gehabt.
Nach dem 7. Semester haben Sie abgebrochen. Warum?
Das Psychologiestudium bestand in den ersten vier Semestern hauptsächlich aus Statistik, das fand ich strunzlangweilig. Als es anfing, interessant zu werden, habe ich mich schon immer mehr auf Bühnen bewegt, meine Leidenschaft entdeckt – und das Studium beendet.
Was haben Sie aus dem Studium mitgenommen?
Die Auseinandersetzung mit Lerninhalten hat mir sicherlich in meinem weiteren beruflichen Leben geholfen, auch wenn die Inhalte völlig anders waren. Untersuchungen zeigen, dass ein Mensch in seinem Leben die verschiedensten Berufe ausübt. Deshalb tut jeder gut daran, sich im Laufe seines Studiums Fähigkeiten und Qualitäten des Lernens anzueignen, die er auch in anderen Zusammenhängen nutzen kann. Und außerhalb des Studiums war ich ja auch sehr aktiv, im Fachschaftsrat, im StuPa und in der damaligen Schwulengruppe. Es war eine schöne, politisch bewegte Zeit, die ich nicht missen möchte.
Sie leben seit 50 Jahren in Hamburg. Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat hat mit Menschen und einer Vertrautheit zu tun. Heimat ist ein Gefühl der Zufriedenheit an einem Ort. Das muss nicht zwangsläufig in Deutschland sein, aber Heimat hat für mich auch etwas mit Sprache zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, in Bayern heimatliche Gefühle zu entwickeln, allein schon, weil mir Sprache und Kultur fremd sind. Eine meiner wesentlichen Heimaten ist natürlich St. Pauli.
Warum ist St. Pauli für viele Menschen ein Sehnsuchtsort?
Man muss sich mal vergegenwärtigen: Der Stadtteil St. Pauli hat etwa 25.000 Einwohner, das ist ja eigentlich eine Kleinstadt. Und in diesen Stadtteil kommen mehr als 20 Millionen Besucher pro Jahr. Das kann nur funktionieren, wenn die Haltung der Menschen, die hier leben, von Toleranz und Neugierde gegenüber Neuem geprägt ist. Die Menschen hier sind erstmal grundsätzlich offen gegenüber Fremdem. Dieses Lebensgefühl ist natürlich für viele Besucher attraktiv.
In den Medien heißt es, St. Pauli verändert sich. Kann ein Ort, der sich verändert, trotzdem Heimat bleiben?
Erst einmal: St. Pauli war immer vom Wandel geprägt und lebt von Veränderungen. Heutzutage wird in der Presse ja begierig aufgegriffen, das alte St. Pauli sei nicht mehr da. Kaum einer dieser Nörgler bedenkt aber: In den 1980er-Jahren war es an vielen Ecken schmuddelig und unangenehm. Davon hat sich das Viertel in den letzten 30 Jahren wegbewegt. Was soll man darüber jammern? Mir fällt es natürlich auch leicht, solche Veränderungen zu akzeptieren, weil ich daran maßgeblich beteiligt war. Das macht es einfacher, heimatliche Gefühle zu bewahren.
Wie lernen Studierende Hamburg am besten kennen?
Es gibt ein ungeheuer vielfältiges kulturelles Angebot in Hamburg, gerade in der Musik- oder Theaterszene. Ich glaube, wenn man als Fremder hierher kommt, gibt es genug Orte, Menschen, Szenen, die man erleben kann. Ich kann nur empfehlen, neugierig zu sein. Und wer übrigens das Phänomen FC St. Pauli nicht versteht, der muss nur einmal ins Stadion gehen. Dann wird er schon erleben, was das Besondere an diesem Verein ist.
Ihr Tipp an die Studierenden?
Die Augen offen halten. Nicht nur geradeaus, sondern auch nach links und rechts schauen, und auch Mut zum Risiko haben. Die Entscheidung für ein Studium ist ja verbunden mit einer Vision eines Berufs. Am Ende des Studiums sind viele auf der Suche nach Sicherheit – und treffen oft berufliche Entscheidungen, die nicht glücklich machen. Mich treibt immer nur die Lust an Neuem an; ich mache nichts, woran ich keinen Spaß habe. Dabei bin ich viele Risiken eingegangen – und habe vieles nicht nur angefangen, sondern aufgehört. Aufhören ist vielleicht sogar wichtiger als Anfangen, denn Scheitern gehört dazu, daraus lernt man. Es gibt also immer Ungewissheiten, trotzdem kann man Dinge auf sich zukommen und sich überraschen lassen.
Zur Person
Cornelius „Corny“ Littmann (*1952 in Münster) steht seit 1972 auf der Bühne. Im Theater und als Spitzenkandidat der Grünen im Bundestagswahlkampf 1980 setzte er sich für die sogenannte Lesben- und Schwulenbewegung ein. 1980 zerschlug Littmann Spiegel in öffentlichen Toiletten in Hamburg, um auf die polizeiliche Überwachung von Homosexuellen aufmerksam zu machen. 1988 gründete er das „Schmidt Theater“ – es folgten 1991 „Schmidts Tivoli“ und 2015 das „Schmidtchen“. Als Präsident des FC St. Pauli (2003 bis 2010) bewahrte er den Verein vor dem finanziellen Aus und verhalf ihm bis in die Bundesliga. Mit seinen drei Theatern, Musicalstücken wie dem St.-Pauli-Musical „Heiße Ecke“ und anderen Projekten prägte Littmann St. Pauli als Kulturstätte; gerade hat er mit Udo Lindenberg die „Panik City“ eröffnet.