Die Spinnen, die HamburgerHamburgs Arachnologische Sammlung
15. April 2017, von Anna Priebe
Foto: UHH/Mentz
Für viele sind Spinnen ein Grund zum Ekeln, aber in der Arachnologischen Sammlung der Universität Hamburg bilden sie gemeinsam mit Hundert- und Tausendfüßern, Milben und Bärtierchen den Grundstein für vielfältige Forschung.
So bedrohlich sieht der Hundertfüßer gar nicht aus. Er scheint erstarrt zu sein in dem mit Alkohol gefüllten Glas, sein etwa 20 Zentimeter langer, länglicher Körper mit den vielen Beinchen wiegt sich leicht hin und her. „Eine Kollegin von mir hat sich mal aus Versehen auf so einen draufgesetzt, die konnte danach mehrere Wochen nicht sitzen“, sagt Dr. Danilo Harms mit einem Schulterzucken, als er das Glas wieder in den Eisenschrank stellt. „Hundertfüßer sind Jäger und produzieren zum Teil sehr wirksames Gift, für Menschen nicht tödlich, aber schmerzhaft“, ergänzt er, während er zu einem der Schränke mit den Tausendfüßern weitergeht.
Harms ist seit Juni vergangenen Jahres Kurator der rund eine Million Objekte umfassenden Arachnologischen Sammlung des Centrums für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg. Damit wacht er nicht nur über die Tausend- und Hundertfüßer (Myriapoden), sondern auch über die drittgrößte Spinnentiersammlung Deutschlands mit Spinnen, Skorpionen, Walzenspinnen und Weberknechten. Hinzu kommen international bedeutende Sammlungen von Milben (Acari), Bärtierchen (Tardigrada) und Stummelfüßern (Onychophora). „Es ist wirklich eine sehr diverse Sammlung, die viele verschiedene artenreiche Gruppen der Gliedertiere abdeckt und weltweit bedeutend ist“, so der 35-Jährige.
Sammlung mit langer Geschichte
Die Präparate – die wegen ihres relativ geringen Chitin-Anteils im Panzer nicht trocken gelagert, sondern grundsätzlich in 75-prozentigem Alkohol eingelegt werden – sind zum Teil mehr als 200 Jahre alt. Viele gehen ursprünglich auf das Privatmuseum Godeffroy zurück, das zwischen 1861 und 1885 in Hamburg existierte, und stammen unter anderem von den bekannten Arachnologen Carl Ludwig Koch (1778–1857) und Eugen von Keyserling (1832–1889). Nach der Schließung des Museum Godeffroy gingen die Exponate an das Naturhistorische Museum Hamburg. Dieses wurde durch die Bombenangriffe im 2. Weltkrieg 1943 zerstört; die Exponate konnten gerettet werden, weil sie in U-Bahn-Schächten ausgelagert waren. Seit den 60er-Jahren gehört die Arachnologische Sammlung zur Universität und wird seitdem im Zuge wissenschaftlicher Projekte beständig erweitert.
Harms hat in Berlin Biologie studiert, wo er während seines Bachelors eher zufällig zu den Spinnentieren gekommen ist. „Viele Menschen interessieren sich ja eher für Säugetiere und bunte Schmetterlinge“, so der Wissenschaftler, „aber wer einmal eine Spinne beim Bau eines Netzes beobachtet oder sich die oftmals kleinen Tiere unter dem Mikroskop näher angesehen hat, wird meine Faszination verstehen.“ Zu Anfang, gibt Harms zu, hatte auch er eine „kleine Arachnophobie“, die habe sich aber im Zuge der wissenschaftlichen Arbeit schnell ins Gegenteil verkehrt. Spinnen seien innerhalb des biologischen Gefüges als Räuber unwahrscheinlich wichtig. Zumal zwei Prozent aller terrestrischen Tiere Spinnen seien, da könne man in der Forschung eine Menge machen.
Die Sammlung ist ein interaktiver Raum.
Zum Beispiel in Australien, wo Harms für seine Master- sowie seine Doktorarbeit geforscht hat und mit dessen Forschungseinrichtungen er das CeNak zukünftig stärker vernetzen will. Vor allem Südwest-Australien sei ein Biodiversitätshotspot mit einer extrem diversen Tierwelt, der jedoch – wie viele andere artenreiche Regionen der Erde – sehr stark von Umweltzerstörung bedroht sei. Mit einem neuen Tagebau könnten da in einem Gebiet auf einmal mehr als 100 Arten verschwinden, die es nur dort gab. „Wir vernichten Biodiversität im Minutentakt, daher ist es umso wichtiger, dass wir die Vielfalt erhalten – und wenn das nicht geht, sie zumindest dokumentieren“, erklärt der Biologe.
Mehr studentische Projekte ermöglichen
Da Spinnen aus evolutionsbiologischer Sicht eine sehr alte Gruppe sind, kann man aus ihrer Verbreitung und ihren Verwandtschaftsverhältnissen ableiten, wie sich die Biodiversität bestimmter Regionen entwickelt hat. Die Sammlung bietet nicht nur eine wichtige Forschungsgrundlage für die Benennung und systematische Einordnung von Arten, sondern auch für weiterführende Fragen der Biogeografie – also wie entsteht Biodiversität, wie ist sie verteilt und wie entwickelt sie sich?
Diese Themen sind nicht nur für entfernte Kontinente, sondern auch für Hamburg relevant. In den kommenden Jahren sind daher neben einem Spinnenführer für die Hansestadt mehrere Kooperationen innerhalb der Universität und mit anderen Hochschulen in Norddeutschland geplant. So etwa verschiedene Projekte zu Skorpionen und eine Barcoding-Datenbank für Milben, die in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Entomologie des CeNak entstehen soll. Die umfangreiche Hamburger Milbensammlung mit mehr als 37.000 mikroskopischen Präparaten soll dafür die Grundlage sein.
Zudem will Harms die Sammlung mehr in die Lehre einbinden: „Die Idee ist, dass wir Studenten vielfältige Projekte in verschiedenen Bereichen anbieten können, ob das morphologische Arbeit ist oder molekulargenetische.“ Die Sammlung sei dabei immer zentral. „Ihr entnehmen wir das Material für unsere Forschung und ihr fügen wir neues Material hinzu. Ich sehe sie auch nicht als statisches Gebilde, das es nur zu erhalten gilt, sondern als interaktiven Raum für junge Wissenschaftler, die an interessanten Projekten arbeiten und mit dem Material lernen.“
Blick hinter die Kulissen
Bei den Aktionstagen der StadtNatur (16.–18.6.) werden Führungen durch die Arachnologische Sammlung angeboten.