UN-Klimagipfel„Wir brauchen Veränderungen, so umfassend wie die Industrielle Revolution“
18. September 2019, von Christina Krätzig
Foto: UHH/Ausserhofer
Am Klima-Aktionsgipfel der Vereinten Nationen in New York nimmt auch Prof. Dr. Detlef Stammer, Leiter der Klimaforschung an der Universität Hamburg und des World Climate Research Programme, teil. Warum ihn die Bewegung „Fridays for Future“ überrascht, warum er mehr Forschung zur Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre fordert und gleichzeitig vor Eingriffen in das Klimasystem warnt, erklärt er im Interview.
Herr Stammer, worum geht es bei dem UN-Gipfel?
Auf dem sogenannten „Climate Action Summit“ will der UN-Generalsekretär von den einzelnen Nationen ganz konkret wissen, was sie tun, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Was geschieht in Sektoren wie beispielsweise Verkehr, Land- und Forstwirtschaft? Was in den Bereichen alternative Energien oder Ozeanmanagement? Wie bekommen wir den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen in den nächsten zehn Jahren um die Hälfte reduziert? Und wie kommen wir in den nächsten dreißig Jahren zu einer CO2-neutralen Gesellschaft? All das ist notwendig, um die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen.
Maximal zwei Grad war das Ziel des Pariser Abkommens. Können wir das noch erreichen?
Der Ausstoß von Treibhausgasen wurde seit 2015 nicht wirklich reduziert, deswegen steuern wir derzeit eher auf eine vier Grad wärmere Welt zu. Wenn wir einen so starken Anstieg der mittleren globalen Temperaturen noch verhindern wollen, müssen wir in wenigen Jahrzehnten zu einer „Netto-Null-Emissionsgesellschaft“ werden – also zu einer Gesellschaft, die kontinuierlich ebenso viele Treibhausgase aus der Atmosphäre herauszieht wie sie produziert. Das ist eine Revolution, ebenso umfassend wie die Industrielle Revolution. Es ist es nicht damit getan, etwas weniger Fleisch zu essen oder mal auf eine Autofahrt zu verzichten. Wir müssen unser gesamtes Konsumverhalten ändern und zu einem ganz neuen Lebensstil kommen.
Seit gut einem Jahr demonstrieren Schülerinnen und Schüler weltweit jeden Freitag für den Klimaschutz. Hat Sie die Entstehung der Bewegung überrascht?
Ja. Die Fakten über den Klimawandel sind seit Jahrzehnten bekannt. Spätestens seit 1972, als die weltweit führenden Wissenschaftler im sogenannten „Charney Report“ dokumentiert haben, dass sich mit erhöhtem CO2-Gehalt in der Atmosphäre die Temperaturen erhöht haben. Wie das funktioniert, wissen wir sogar noch länger: Der schwedische Chemiker Svante Arrhenius hat schon vor 100 Jahren berechnet, wie ein steigender CO2-Gehalt in der Atmosphäre die Wärmebilanz der Erde ändert. In meiner Ausbildung als Ozeanograf war die Erderwärmung immer ein Thema. Nur die Öffentlichkeit hat es bis jetzt nicht interessiert. Deswegen überrascht mich, dass nun so viele Schülerinnen und Schüler so kontinuierlich auf die Straße gehen.
Haben Sie Sympathie für „Fridays for Future“?
Absolut. Diese Generation wird stark vom Klimawandel betroffen sein. Deswegen ist es genau richtig, dass sie protestiert.
Würden Sie auch Ihren Kindern empfehlen, dort hinzugehen?
Ja, das würde ich. Allerdings sind sie nicht mehr in dem entsprechenden Alter.
Und Sie selbst?
Ich bin auf einer Demonstration gewesen, finde aber, das ist eher eine Sache für junge Leute. Anders verhält es sich mit der Aktion „Scientists for Future“. Da unterstützen Forschende die Forderungen der Schülerinnen und Schüler mit wissenschaftlichen Argumenten. Sobald ich davon gehört habe, war vollkommen klar, dass ich unterschreibe – wie 26.000 Kolleginnen und Kollegen.
Welche Rolle spielt die Wissenschaft im Kampf gegen den Klimawandel?
Ich glaube, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht ohne sogenannte „Negative Emissionen“ führen können. Das bedeutet, dass wir das CO2, das wir erzeugt haben, wieder aus der Atmosphäre rausziehen. Man kann es beispielsweise verflüssigen und in den Boden zurückpumpen. Oder sogar in den Energiehaushalt der Erde eingreifen, das nennt man „Geoengineering“. Dazu müssen wir forschen, und zwar sehr, sehr schnell. Denn ich fürchte, dass wir nicht allein aus einer gesellschaftlichen Transformation heraus in naher Zukunft zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft werden.
Wie funktioniert Geoengineering? Und wie sicher ist es?
Es gibt beispielswiese Überlegungen, das biologische Wachstum in den Ozeanen anzuregen, damit sie zukünftig mehr CO2 aufnehmen können. Oder kleine Partikel in der Atmosphäre freizusetzen, die einen Teil der solaren Strahlung reflektieren und gar nicht erst zur Erde durchlassen. Das Problem ist aber, dass wir bislang nicht wissen, was die langfristigen Effekte wären oder wie sich solche Maßnahmen lokal auswirken würden. Wir können nicht abschätzen, ob wir das gesamte Klimasystem der Erde ins Kippen bringen könnten. Wir denken vielleicht, wir können mal eben die Sonnenstrahlung reduzieren und die Dynamik des Erdsystems kontrollieren wie aus einem Schaltraum. Aber wir haben kein Verständnis dafür, was wir da tun.
Jetzt drängt die Zeit. Woran liegt es, dass im Klimaschutz bis heute so wenig passiert ist?
Darauf habe ich keine Antwort. Wir forschen zu dieser Frage in unserem Exzellenzcluster „Climate, Climatic Chance, and Society (CliCCS)“. Ich vermute, dass es immer noch Klimaskeptiker gibt, weil sie Angst vor den andernfalls notwendigen Konsequenzen haben. In Deutschland sagen wir beispielsweise seit Jahren, dass Braunkohlekraftwerke wirklich das Schlimmste sind, was es gibt. Trotzdem wird erst jetzt überlegt, sie abzuschalten. Politiker betonen stets, wie viele Jobs da dran hängen. Sie verfolgen kurzfristige wirtschaftliche Ziele. Erst jetzt beginnen sie, den Klimawandel ernst zu nehmen.
Muss nur die Politik etwas tun? Oder liegt die Verantwortung auch bei jedem Einzelnen?
Der Klimawandel geht uns alle an und wir müssen alle etwas tun. Insofern sehe ich es auch positiv, dass im Moment auf der lokalen Ebene vielerorts mehr getan wird als auf der großen politischen Bühne. Wir sehen jetzt beispielsweise Städte, die ihre Braunkohlekraftwerke abschalten, die diese Energie nicht mehr wollen. Dazu brauche ich die Bundeskanzlerin nicht. Die notwendige Transformation der Gesellschaft wird nicht nur von oben nach unten gehen, sie muss auch von unten nach oben gehen.
Klartext zur Klimakrise
Weitere Informationen
Prof. Dr. Detlef Stammer ist Sprecher des Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change, and Society (CliCCS)" und Direktor des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) an der Universität Hamburg. Als Leiter des World Climate Research Programme (WCRP) wird er beim Klimagipfel in New York sprechen. Die Organisation wurde vor 40 Jahren von der World Meteorological Organization und dem International Council for Science gegründet und koordiniert die internationale Zusammenarbeit in der Klimaforschung.