Frauen in der Geschichte der UHH
Zum Universitätsjubiläum stellt die Stabsstelle Gleichstellung unter dem Motto "Frauen, die Segel setzten" monatlich eine Wegbereiterin für Frauen in Forschung, Lehre und Studium aus der Geschichte der Universität Hamburg vor.
Dezember: Gabriele Löschper
Bild: dpa/DPA/A9999 Tobias Kleinschmidt
Die Sozialpsychologin und Kriminologin Prof. Dr. Gabriele Löschper war die erste hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte der Universität Hamburg sowie Vizepräsidentin der Universität Hamburg und von 2010 bis 2020 Dekanin der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Gabriele Löschper wurde im Dezember 1954 in Lüdenscheid geboren. Nach ihrer schulischen Ausbildung absolvierte sie ein Psychologie-Studium an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster, das sie 1978 mit dem Diplom abschloss. 1981 wurde Frau Löschper dort mit einer Dissertation zum Thema „Definitionskriterien aggressiver Interaktionen. Normabweichung, Intention und Schaden als Einflussfaktoren auf die Definition von Verhaltensweisen als aggressiv“ zum Dr. phil. promoviert. Nach ihrer Zeit in Münster wechselte sie 1984 an die Universität Hamburg und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Aufbau- und Kontaktstudium der Kriminologie der Universität Hamburg im damaligen Fachbereich Rechtswissenschaften (FB 17) tätig. Von 1993 bis 1995 hatte Frau Löschper ein Habilitationsstipendium der DFG inne. Danach war sie von Oktober 1996 bis September 1997 an der Universität Bremen tätig und habilitierte dort im Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften 1997 mit einer Habilitationsschrift zum Thema "Bausteine für eine psychologische Theorie richterlichen Urteilens ". Ihr wurde die Lehrbefugnis für Sozialpsychologie und Kriminologie von der Universität Bremen zuerkannt. Frau Löschper war bis 2002 am Institut für Kriminologische Sozialforschung des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Universität Hamburg tätig und dort auch in der Zeit von 2001 bis 2002 Frauenbeauftragte. Ein Jahr später wurde sie von der Universität Hamburg zur Professorin (nach § 17 HmbHG) ernannt.
2002 wurde Gabriele Löschper zur ersten hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten der Universität Hamburg gewählt. Bis dahin wurde dieses Amt nur nebenamtlich an der Universität Hamburg ausgeführt. Die Bewerbung für das Amt der hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten der UHH war Frau Löschper von Kolleginnen verschiedener Fächer nahegelegt worden, die sie aus ihrem (früheren) Engagement in verschiedenen Gremien (z.B. als langjährige Sprecherin der Gruppe der Hochschulassistent:innen/Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen im Akademischen Senat) kannten und ihre Fähigkeit, Sachverhalte und Positionen klar zu benennen und unaufgeregt und beharrlich zu argumentieren, sehr schätzten. Frau Löschper selbst bezeichnet "Humor und Fähigkeit zur Selbstironie" als wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche und erfüllende Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte (oder Vizepräsidentin oder Dekanin). In ihrer Rolle als hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte sei es ihr sehr darauf angekommen, Gleichstellung zu einem Thema für Frauen und Männer zu machen und zu zeigen, dass Verbesserungen für Frauen in der Universität Verbesserungen der Universität und ihrer Strukturen insgesamt bedeuten können.
In Frau Löschpers Amtszeit konnten viele Strukturen und Prozesse an der Universität Hamburg zur Förderung der Gleichstellung neu angelegt oder ausgebaut werden. Als Gleichstellungsbeauftragte begleitete sie unter anderem den Auf- und Ausbau des damaligen „Women's Career Center“ an der Universität Hamburg. Insgesamt übte sie das Amt der Gleichstellungsbeauftragten fünf Jahre aus.
Von 2004 bis 2007 war Gabriele Löschper (als eines der beiden von der Universität Hamburg gewählten Mitglieder) Mitglied des Hochschulrats der Universität Hamburg.
Nach ihrer Amtszeit als Gleichstellungsbeauftragte wurde sie 2007 zur Vizepräsidentin für Struktur- und Personalentwicklung des wissenschaftlichen Personals gewählt. In dieser Funktion war sie maßgeblich an der Erarbeitung des ersten Struktur- und Entwicklungsplans der Universität beteiligt und entwickelte (gemeinsam mit dem damaligen Kanzler der UHH, Manfred Nettekoven) ein Personalentwicklungsprogramm für Juniorprofessor:innen und Nachwuchsgruppenleitungen.
Von Juli 2009 bis Februar 2010 leitete Frau Löschper kommissarisch als „amtierende stellvertretende Präsidentin“ die Universität Hamburg, nachdem der Vertrag mit der damaligen Präsidentin der Universität Hamburg Prof. Dr. Monika Auweter-Kurtz aufgelöst worden war.
Von 2010 bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2020 war Gabriele Löschper hauptamtliche Dekanin der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Es sei, so Frau Löschper, für sie ein großer Vorteil gewesen, die Universität in vielen verschiedenen Funktionen und Rollen (Wissenschaftlerin in verschiedenen Fachbereichen/Fakultäten, Gremienmitglied, Gleichstellungsbeauftragte, Hochschulratsmitglied, Vizepräsidentin, Dekanin) erlebt zu haben. Dies ermöglichte ihr, aus dem Blickwinkel sehr unterschiedlicher Kontexte und "Kulturen" auf die Situation und die Entwicklung der Universität zu schauen.
Forschung
In ihrer Forschung beschäftigte Frau Löschper vor allem mit der Kriminologie, der Strafrechtssoziologie, der Rechtspsychologie, richterlichen Urteilen und Gewalt und hat die Fachdisziplin Kriminologie an der Universität Hamburg maßgeblich mitgestaltet.
Mit der Herausgabe der Textsammlung „Das Patriarchat und die Kriminologie“ (2000) legte Frau Löschper auch in ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin einen Schwerpunkt darauf, die Geschlechterfrage im kriminologischen Diskurs zu verankern und die kritische und feministische Kriminologie voranzubringen. So war sie auch bis 2003 Vorsitzende der Gesellschaft für Interdisziplinäre Wissenschaftliche Kriminologie.
Engagement für Gleichstellung
Während ihrer Zeit als Gleichstellungsbeauftragte der Universität Hamburg führte sie unter anderem den Frauenförderfonds ein, welcher finanzielle Mittel zur Förderung von Projekten zum Abbau geschlechterbedingter Benachteiligungen in Studium, Lehre, Forschung sowie der Verwaltung zur Verfügung stellt.
Ein weiterer wichtiger Schritt für die Chancengleichheit war das Forschungsprojekt „Frauen in der Spitzenforschung“, welches von 2008 bis 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Frau Löschper gab (zusammen mit Prof. Dr. Ulrike Beisiegel, ehemals Med. Fakultät der Universität Hamburg) den Anstoß zur Konzipierung dieses Projekts. Unter der Leitung von Prof. Dr. Anita Engels (Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) untersuchte das Projekt, inwiefern durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder die Chancengleichheit von Frauen und Männern umgesetzt wird. Der Fokus lag auf dem Problem der Unterrepräsentanz von Frauen in der universitären Forschung mit dem Ziel, den bundesweiten Ausbau von frauenfördernden Strukturen in der Spitzenforschung zu unterstützen.
Frau Löschpers Eindruck ist, dass es in der Uni Hamburg heute viel selbstverständlicher sei, über Gleichstellungsanliegen und Diversity-Maßnahmen zu sprechen, als zu ihrer Zeit als Frauen- bzw. Gleichstellungsstellungsbeauftragte. Dazu habe vermutlich auch die Exzellenzinitiative bzw. Exzellenzstrategie beigetragen, in deren Rahmen allen antragstellenden Hochschulen in den verschiedenen Förderlinien immer wieder ans Herz gelegt wurde, größere Anstrengungen zur Stärkung des Frauenanteils gerade in den Spitzenpositionen der Verbundvorhaben zu unternehmen.
Auch als Dekanin der WiSo-Fakultät vertrat Gabriele Löschper in dieser Funktion weiterhin das Anliegen der Gleichstellung. So schätzen viele Universitätsmitglieder Frau Löschpers Rat in Gleichstellungsfragen, bei strategischen Überlegungen und im Umgang mit Problemen oder zu treffenden Entscheidungen. Frau Löschper berichtet, dass es zuweilen viel Kraft koste damit umzugehen, wenn Frauen im Hochschulmanagement weniger Strategiekompetenz, Leistungsfähigkeit und Durchsetzungsstärke zugetraut wird. Sie empfiehlt: Nicht aufgeben, beharrlich die eigenen Ziele verfolgen und sich "ein dickes Fell" zulegen! Es sei wichtig, auch in kritischen Situationen und Konflikten in der Sache hart, aber im Ton verbindlich zu argumentieren und aufzutreten.
Nach dem Ende ihrer Amtszeit als Dekanin der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften plant Frau Löschper, sich wieder ihren kriminologischen Wurzeln anzunähern - nämlich mit der ausführlichen Lektüre von Kriminalromanen.
Frau Löschper bei ihrer Laudatio zur Vergabe des Gleichstellungspreises 2019 an das Team des Career Center der Universität Hamburg (Bild: UHH/Saint Pere)
Weitere Informationen und Literatur
Frauenförderfonds
https://www.uni-hamburg.de/gleichstellung/foerderungen/frauenfoerderfonds.html
Forschungsprojekt „Frauen in der Spitzenforschung“
https://www.campus.de/e-books/wissenschaft/soziologie/bestenauswahl_und_ungleichheit-10104.html
November: Martha Muchow
Quelle: Martha-Muchow-Bibliothek
Martha Muchow war Lehrerin und als promovierte Psychologin an der Universität Hamburg tätig. Sie war dort entscheidend an der Entwicklung des universitären Lehramtsstudiums beteiligt. Sie nahm sich aufgrund der Repressionen im Nationalsozialismus das Leben.
Martha Marie Muchow wurde am 25. September 1892 in Hamburg als Tochter eines Zollinspektors geboren. Nach ihrer schulischen Ausbildung, welche sie mit ihrem Abitur 1912 beendete, wurde sie Lehrerin und arbeitete zweieinhalb Jahre an einer höheren Mädchenschule in Tondern (Dänemark). Ab 1915 unterrichtete sie dann an Hamburger Volksschulen und besuchte gleichzeitig in ihrer Freizeit Veranstaltungen des Psychologischen Laboratoriums, eine Abteilung des Seminars für Philosophie im „Allgemeinen Vorlesungswesen“, das eine Vorgängerinstitution der Universität Hamburg war. Bereits während dieser Zeit veröffentlichte Martha Muchow erste wissenschaftliche Aufsätze und arbeitete neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin an Aufgaben des Laboratoriums mit. Dadurch kam sie auch erstmalig mit dem renommierten Professor William Stern in Kontakt, der ab 1916 das Laboratorium leitete und Muchows Biographie sehr prägte.
Als 1919 die Universität Hamburg gegründet wurde, war Martha Muchow eine der ersten Studentinnen der Psychologie, Philosophie, der deutschen Philologie und der Literaturgeschichte. Ab 1920 wurde sie durch Unterstützung von William Stern aus dem Schuldienst beurlaubt, um als wissenschaftliche Hilfskraft am Psychologischen Laboratorium arbeiten zu können. 1923 promovierte sie summa cum laude mit einer Arbeit über „Studien zur Psychologie des Erziehers“ und im Jahr 1930 wurde Martha Muchow zur wissenschaftlichen Rätin des psychologischen Instituts der Universität Hamburg ernannt.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialist:innen hatte Martha Muchow von Anfang an persönlich und beruflich zu kämpfen. Sie war beunruhigt wegen der Einschränkung der Freiheit der Lehre und Forschung und der politischen Entwicklungen allgemein. Das psychologische Institut an der Universität Hamburg, an dem sie zu der Zeit tätig war, wurde von den Nationalsozialist:innen als „jüdisches Institut“ diffamiert und sollte deswegen schnellstmöglich an nationalsozialistisches Gedankengut angepasst werden. Muchows engstem Vertrauten und bisherigen Leiter des Instituts William Stern wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft im April 1933 das Berufsverbot erteilt. Dadurch wurde Muchow zur faktischen Leiterin des Instituts und sollte die Übergabe an die Nationalsozialist:innen vorbereiten, da sie die einzige „Nicht-Jüdin“ am Institut war. Gleichzeitig erfuhr sie aber aufgrund ihres Engagements in der Volksheimbewegung zum Ausbau von öffentlichen Jugendzentren ebenso Diskriminierung und wurde als marxistische Demokratin diffamiert. Während dieser Zeit kam es zu diversen Zusammenstößen mit der Landesunterrichtsbehörde, da Martha Muchow die von den Nazis geforderten Erziehungsmethoden aus humanistischen Gründen nicht mittragen wollte, was ihr zunehmend psychisch und physisch zusetzte. Im September 1933 wurde schließlich die Leitung des Psychologischen Instituts verwaltungsmäßig an den nationalsozialistischen Erziehungswissenschaftler Gustav Deuchler übergeben. Daraufhin wurde auch Martha Muchows Beurlaubung aus dem Schuldienst aufgehoben, so dass sie nicht länger als Wissenschaftlerin an der Universität Hamburg tätig sein konnte.
Dies war der Zeitpunkt an dem Martha Muchow mit dem Einfluss des Nationalsozialismus auf die Lehr- und Forschungsbedingungen an der Universität Hamburg, die sich selbst direkt nach der Machtergreifung der Nationalsozialist:innen gleichschaltete, nicht mehr umzugehen wusste: Zwei Tage nach ihrer Entlassung unternahm sie einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen sie am 29. September 1933 starb.
Forschung und Lehre
Die promovierte Psychologin Martha Muchow beschäftigte sich in ihrer Forschung vor allem mit Kinderpsychologie, Kindergartenpädagogik, Schulgestaltung, Begabtenforschung sowie Lebensraum- und Entwicklungstheorie. Dabei hatte sie sowohl perspektivisch als auch methodisch eine sehr vielseitige Herangehensweise und verband Psychologie und Pädagogik, Theorie und Empirie sowie wissenschaftliche Forschung und konkreten Praxisbezug zur Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Ebenfalls neuartig war die Einbeziehung der Perspektiven von Kindern bei ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt und dem wie Kinder die sie umgebende Welt sehen, interpretieren und in ihr leben. Dies gilt insbesondere für ihr Hauptwerk „Der Lebensraum des Großstadtkindes“, welches 1935 posthum durch Martha Muchows Bruder veröffentlicht wurde und als Pionierarbeit der deutschen Sozialforschung zur meist zitierten Studie in der neueren Kindheitsforschung geworden ist.
Ab 1926 war sie zudem maßgeblich an der Entwicklung des universitären Lehramtsstudiums an der UHH beteiligt, als die Universität die Ausbildung der künftigen Volksschullehrer:innen übernahm. Sie wirkte darauf hin, dass in der Ausbildung der Lehrer:innen ein sozialpädagogisches Praktikum eingeführt wurde. Ab 1927 leitete sie auch die Praktika auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychologie und hatte zusätzlich zu ihrer akademischen Tätigkeit auch Lehraufträge für Psychologie am Hamburger Fröbelseminar.
Engagement
Martha Muchows interdisziplinärer Forschungsansatz, das heißt die Kombination von psychologischen und sozialpädagogischen Ansätzen, ist auch Ausdruck ihrer Praxisorientierung und ihres damit verbundenen gesellschaftspolitischen Engagements. Neben ihren dienstlichen Aufgaben engagierte sie sich vor allem in der Volksheimbewegung zum Ausbau von Jugendzentren für die Jugendlichen. Zudem arbeitete sie in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften und Ausschüssen in der „Gesellschaft für Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ mit. Auch war sie an der Planung von Tagesheimen für Großstadtkinder beteiligt und engagierte sich in der Kindergartenbewegung. Dies fand auch Ausdruck in ihrer Mitarbeit an der Zeitschrift „Kindergarten“, der „Zeitschrift des Deutschen FröbelVerbandes, des Deutschen Verbandes für Schulkinderpflege und der Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Jugendleiterinnen e.V.“.
Ebenso engagierte sich Martha Muchow für die politisch Verfolgten und Geächteten nach der Machtergreifung der Nationalsozialist:innen.
Die UHH und Martha Muchow
Die inhaltliche Wirkung Martha Muchows auf die heutigen Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg ist allgegenwärtig: Sei es die Berücksichtigung und Bearbeitung der frühkindlichen Erziehung und der Rolle der Kindertagesstätten, die Erforschung des kindlichen Spiels oder auch die Bedeutsamkeit von Räumen für heutige Sozialisationsprozesse – all dies gehört auch heute noch zum Lehrkanon der Erziehungswissenschaften.
Martha Muchow bleibt auch räumlich an der UHH in Erinnerung: 2007 wurde die Martha-Muchow-Bibliothek (als Fakultätsbibliothek für die Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft) an der Universität Hamburg eröffnet.
Quelle: UHH / Denstorf
Zudem befindet sich ein Stolperstein in Gedenken an Martha Muchow seit 2010 vor dem Hauptgebäude der Universität Hamburg.
Quelle: Wikipedia.de
Weitere Informationen und Literatur
Martha-Muchow-Stiftung
http://martha-muchow-stiftung.de/
Martha-Muchow-Bilbliothek
https://www.ew.uni-hamburg.de/mmb/ueberuns/muchow.html
Laudatio zur Eröffnung der Martha-Muchow-Bibliothek
https://www.ew.uni-hamburg.de/mmb/ressourcen/laudatio.pdf
Stolperstein in Erinnerung an Martha Muchow
http://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?MAIN_ID=7&BIO_ID=3117
Oktober: Rahel Liebeschütz-Plaut
Rahel Liebeschütz-Plaut
Foto: CC BY-SA 4.0 – Johndhall
Rahel Liebeschütz-Plaut war 1923 die erste habilitierte Ärztin der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg und die dritte habilitierte Ärztin in Deutschland.
Elisabeth Amalie Rahel Liebeschütz-Plaut wurde am 21. Juni 1894 in Leipzig geboren und starb am 22. Dezember 1993 in Rochester. Ihr Vater Hugo Plaut war ein angesehener Bakteriologe und ihre Großmutter stammte aus der Familie Feist-Belmont, einer noch heute existierenden Sektkellerei. Mit ihren Geschwistern Theodor, Hubert und Carla wuchs sie in Alsternähe auf. Vor dem Besuch des „Realgymnasiums für Mädchen des Vereins für Frauenbildung“ in Hamburg, wurden sie und ihre Geschwister von ihren Eltern zu Hause unterrichtet – vor allem in Geschichte und Deutsch, um ihre Kinder vor antisemitischem Gedankengut zu schützen. Rahel Liebeschütz-Plaut studierte ab 1913 zunächst Zoologie und wechselte anschließend zur Medizin. 1923 wurde sie als Frau an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg habilitiert. 1933 entzog ihr der Hamburger Senat angesichts ihrer jüdischen Herkunft die Lehrerlaubnis. Aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung emigrierte sie mit ihrer Familie 1938 nach England. Sie lebte u.a. in Winchester, Sutton, Epsom und Liverpool. Bis ins hohe Alter engagierte sie sich für soziale und wohltätige Zwecke. 1989 wurde Rahel Liebeschütz-Plaut, mittlerweile 95-jährig, als Ehrengast zur 100-Jahr-Feier des UKE eingeladen und konnte dort noch ihre Rehabilitierung erfahren. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie bei ihrer Tochter in Rochester und starb im Alter von 99 Jahren.
Forschung und Lehre
Rahel Liebeschütz-Plaut studierte zunächst an den Universitäten in Freiburg und Kiel Medizin, bevor sie im Sommersemester 1916 an die Universität Bonn wechselte. Im Frühjahr 1918 bestand Liebeschütz-Plaut die ärztliche Staatsprüfung. Nach ihrem Staatsexamen promovierte sie ebenfalls in Bonn. Erste ärztliche Erfahrungen sammelte sie als Praktikantin im Israelitischen und Eppendorfer Krankenhaus in Hamburg, wo sie zwei Frauen- und eine Kinderstation betreute. Anschließend folgten Tätigkeiten als Assistenzärztin im Allgemeinen Kreiskrankenhaus in St. Georg (1919) und als wissenschaftliche Assistentin am Physiologischen Institut der Universität Hamburg (1919–1924). In ihrer Forschung widmete sich Rahel Liebeschütz-Plaut dem Gaswechsel bei verschiedenen Erkrankungen wie Muskelphysiologie, Stoffwechselstörungen sowie fehlerhafter Wärmeregulation und publizierte von 1919 bis 1925 über 25 Arbeiten.
Nach der Geburt von drei Kindern und ihrer Habilitation an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg war sich von 1923 bis 1933 als Privatdozentin für Physiologie tätig. Durch ihre Heirat mit Hans Liebeschütz (1893–1973) im Jahr 1924 musste sie die Stelle als Assistenzärztin aufgeben. Durch den Doppelverdiener-Paragraphen war es verheirateten Frauen verboten, eine Anstellung im öffentlichen Dienst zu haben. Rahel Liebeschütz-Plaut gab nach ihrer Entlassung einige Zeit Unterricht an einer jüdischen Hauswirtschaftsschule sowie am Israelitischen Krankenhaus. Von 1924 bis 1933 arbeitete sie außerdem als niedergelassene Ärztin in einer Privatpraxis für Stoffwechselkrankheiten.
Im Juli 1933 entzog der Hamburger Senat Liebeschütz-Plaut die Lehrerlaubnis und die Approbation, da sie als „Nicht-Arierin“ galt. So erging es auch 500 anderen Mediziner:innen in Hamburg, sowohl Studierenden als auch Hochschullehrer:innen, die während des Nationalsozialismus ihre Existenzgrundlagen verloren. Selbst als die britische Militärverwaltung 1946 die Medizinische Fakultät aufforderte, die unrechtmäßig Entlassenen zu benennen und ihnen eine Rückkehr zu ermöglichen, passierte nichts.
1938 zog sie mit ihrem Ehemann nach England, wo sie jedoch aufgrund der fehlenden Anerkennung ihrer fachlichen Qualifikationen in der Medizin nicht mehr lehren und forschen konnte. Daher engagierte sie sich sozial und arbeitete bis zu ihrem 91. Lebensjahr ehrenamtlich für den Women‘s Royal Voluntary Service (WRVS).
Nach Rahel Liebeschütz-Plauts Habilitation als erste Frau an der Medizinischen Fakultät der UHH dauerte es 36 Jahre, bevor sich mit Hedwig Wallis (1921–1997) die zweite Frau und Ärztin an der UHH habilitieren sollte.
Quelle: UKE/Medizinhistorisches Museum
Engagement
Obwohl sie trotz ihres für damalige Verhältnisse Außenseiterstatus als Frau und Jüdin einen Arbeitsplatz mit Habilitationsmöglichkeit in Otto Kestners Labor bekam, war sie während ihrer Arbeit im „Matrikel der Hamburger Ärzte“ an der Medizinischen Fakultät immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. So war es Frauen beispielsweise verboten, den Speisesaal, auch Casino genannt, zu betreten. Dieser Ort war den männlichen Ärzt:innen vorbehalten, die dort aßen und ihre Freizeit verbrachten. Sie saß dagegen an einem Tisch nur für Frauen. Ein Assistenzarzt, der sie ans Telefon innerhalb des Casinos gerufen hatte, musste sogar Strafe zahlen, weil Frauen hier keinen Zutritt hatten.
1930 war sie Mitunterzeichnerin eines Briefes der Hamburger Ärzt:innen an die Hamburger Gesundheitsbehörde, in dem die Unterzeichnenden gegen die Aufstellung von sogenannten Schutzautomaten aus moralischen und ethischen Gründen protestierten. 1930/1931 hielt Rahel Liebeschütz-Plaut vor den Mitgliedern der Ortsgruppe Hamburg des „Bundes deutscher Ärzte“ einen Vortrag über „Die visionäre Frauenmystik des Mittelalters vom medizinischen-psychologischen Standpunkt aus“.
Diese Erfahrungen und ihre Emigration nahm sie zum Anlass, sich besonders für Frauen und Kinder in Not einzusetzen. Nach ihrer Emigration nach England arbeitete sie ab 1938 als Sozialarbeiterin mit Kindern und später als Altenpflegerin für den Women’s Royal Voluntary Service, einer ehrenamtlichen Organisation, die 1938 gegründet wurde und Menschen in Not versorgte.
Die UHH und Rahel Liebeschütz-Plaut
Auch noch Jahrzehnte nach ihren Tätigkeiten wirkt Liebeschütz-Plaut auf die UHH und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Das UKE-Mentoring-Programm, das nach ihr benannt ist, fördert dort seit 2014 Habilitationsprojekte von Ärztinnen und Nachwuchswissenschaftlerinnen, um den Frauenanteil in Führungspositionen der Medizin mittel- bzw. langfristig zu steigern.
Im Medizinhistorischen Museum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) eröffnete im Juni 2019 der Ausstellungsraum „Ärztin werden“, der einen Blick auf das Leben und Wirken von Rahel Liebeschütz-Plaut wirft.
Quelle: UKE/Medizinhistorisches Museum
Weitere Informationen
Kurzbiographie auf den Seiten der Charité Berlin
Eintrag im Hamburger Professor:innenkatalog
Literatur
Kaiser von Holst, Silke: Liebeschütz-Plaut, Rahel. In: Hamburgische Biografie. Band 1. Hamburg 2001, S. 185-186.
Fischer-Radizi, Doris: Vertrieben aus Hamburg. Die Ärztin Rahel Liebeschütz-Plaut. (= Wissenschaftler in Hamburg 2). Göttingen 2019.
September: Dorothea Frede
Dorothea Frede
Bild: UHH/Frede
1991 wurden Sie die erste Philosophieprofessorin an der Universität Hamburg. Können Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag erinnern?
Daran kann ich mich aus einem besonderen Grund sehr gut erinnern. Als ich Anfang April 1991 zu meinem ersten Arbeitstag in die Universität Hamburg aufbrach, fiel mir ein, dass ich mich auf den Tag genau 30 Jahre zuvor als Erstsemester vom selben Ort in die Universität aufgemacht hatte, vom Haus von Verwandten an der Außenalster. Sonst hatte sich natürlich sehr vieles verändert; nicht zum wenigsten ich selbst. Denn ich bin nach zwanzigjähriger Lehrtätigkeit in den USA nach Hamburg berufen worden. Die Vertrautheit mit Hamburg hat es mir aber leichter gemacht, mich wieder an die doch sehr anderen, damals noch reichlich chaotischen Verhältnisse an einer deutschen Universität zu gewöhnen. Die Philosophen saßen nach wie vor im 10. Stock des Philosophenturms – und daher fühlte ich mich dort gleich wieder vertraut, auch wenn von den ‚Alten‘ niemand mehr aktiv war.
Können Sie uns etwas über Ihren akademischen Werdegang und die Arbeit als Philosophieprofessorin ab 1991 erzählen?
Das Studium habe ich, wie gesagt, 1961 in Hamburg aufgenommen, zunächst in den Fächern Germanistik und Musikwissenschaft; nach drei Semestern wechselte ich zu Philosophie mit Schwerpunkt Philosophiegeschichte und zur Klassischen Philologie. Im Herbst 1963 setzte ich das Studium an der Universität Göttingen fort; dort wurde ich im Sommer 1968 von Günther Patzig mit einer Arbeit zu Aristoteles promoviert. Anschließend hatte ich für drei Jahre ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
1971 emigrierte ich mit meinem Mann, Michael Frede, nach Berkeley, Kalifornien. Nach der Geburt zweier Kinder – 1970 und 1972 – arbeitete ich als Lecturer, in Teilzeit, zunächst in Kalifornien, danach in und um Princeton, New Jersey. Von 1978 bis 1985 arbeitete ich dann als Assistant Professor, in Vollzeit, an der Rutgers University; danach war ich bis 1991 als Associate Professor am Swarthmore College in Pennsylvania.
Von 1991 bis zu meiner Emeritierung 2006 war ich dann in Hamburg als Professorin für Philosophie tätig. Nach meiner Emeritierung lehrte ich noch bis 2011 als Adjunct Professor an der University of California Berkeley und 2015 als Gastprofessorin an der University of Toronto. Seither widme ich mich eigenen Arbeiten zur Philosophiegeschichte, biete in diesem Semester in Hamburg aber noch einmal eine Vorlesung über Aristoteles an.
Die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten, war sehr wichtig; denn nur so war es mir möglich, die Sorge für zwei Kinder mit dem Zwang zu Publikationen und dem Besuch internationaler Konferenzen zu vereinbaren, die in den USA für die Tenure-Entscheidung unerlässlich sind. Im sicheren Windschatten dieser frühen Jahre konnte ich auch beobachten, wie sich die Möglichkeiten für Frauen an den Universitäten schrittweise verbesserten. Dies ist mir zugutegekommen, als ich 1978 eine Vollzeitstelle antrat.
All dies lag hinter mir, als ich 1991 an die Universität Hamburg kam. Angesichts einschlägiger Erfahrungen habe ich mich bald auch in der akademischen Selbstverwaltung betätigt, zunächst im damaligen Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften, von 1995 bis 2000 auch im Akademischen Senat. Der Unterricht an der Universität Hamburg war für mich durchweg erfreulich. So haben es die Studierenden offensichtlich zu schätzen gewusst, wenn man sie ermunterte, sich in schwierige Texte der Philosophiegeschichte einzulesen und darüber vorzutragen, wie auch, wenn man sich Zeit für sie genommen hat und der Unterricht gut organisiert war.
Wo haben Sie als Frau in der Philosophie Hürden erlebt, wo hatten Sie aber vielleicht auch Vorteile als Frau?
Hürden habe ich insofern immer wieder erlebt (auch noch in Hamburg), als man als Frau zunächst nicht ganz ernst genommen wurde. Es erforderte einige Energie, sich nicht einschüchtern oder überfahren zu lassen. Von Vorteil war es für mich aber, dass sich ab Mitte der 80er-Jahre in den USA auch die Philosophen genötigt sahen, Bewerbungen von Frauen sorgfältig zu prüfen. Auch in Hamburg dürfte mir das zugutegekommen sein; einen männlichen Bewerber aus den USA hätte man wohl kaum zum Vortrag eingeladen. In meinem Fach, der antiken Philosophie, gab es aber schon früh im angelsächsischen Bereich hochgeachtete Spezialistinnen; man hatte daher weniger mit Vorurteilen zu kämpfen als in anderen Bereichen der Philosophie. Man war zudem Teil einer überschaubaren Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern Wohlwollen und Respekt entgegenbrachte; das galt auch für die Frauen. Manche der Ehrungen, Einladungen und Mitgliedschaften sind mir aber gewiss auch deswegen zugefallen, weil ich eine Frau bin. In meiner Generation waren Frauen immer noch rar, so dass man sich um die wenigen Vertreterinnen umso mehr bemühen musste, wenn es darum ging, den Frauenanteil zu erhöhen.
Seit dem Antritt Ihrer Professur sind über 25 Jahre vergangen. Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Frauenbild innerhalb der Philosophie verändert?
Frauen werden, wenn sie es denn einmal über sämtliche Hürden geschafft haben, heute durchweg kollegial behandelt und fair beurteilt. Man wird heute nicht mehr gönnerhaft-abschätzig beurteilt, wie das vor dreißig Jahren oft noch spürbar war.
Frauen sind im Fachbereich Philosophie, vor allem auch bei Professuren und unter dem wissenschaftlichen Personal, nach wie vor unterrepräsentiert. Was würden Sie Philosophiestudentinnen oder denjenigen, die es werden wollen, aus Ihrer erfahrenen Perspektive mit auf den Weg geben?
Der Anteil von Professorinnen ist in der Philosophie, vor allem im Vergleich mit anderen Geisteswissenschaften, immer noch gering und das nicht nur in Deutschland. Das hat anscheinend mehrere Gründe. Zum einen sind Frauen – angesichts der sehr unsicheren Zukunftsaussichten in diesem ‚brotlosen‘ Fach − meiner Erfahrung nach eher geneigt, sich aus pragmatischen Gründen nach dem MA umzuorientieren als Männer. So haben gerade vielversprechende junge Frauen auf die Möglichkeit einer Promotion zugunsten sicherer Stellen in der Industrie, in Funk oder Fernsehen verzichtet. Zum anderen fühlen sich Frauen von der manchmal hemdsärmeligen, manchmal auch ruppigen Diskussionskultur in der Philosophie abgestoßen; das gilt meiner Erfahrung nach sowohl für die USA wie für Deutschland. Wenn die Lautesten und Aggressivsten den Ton angeben, verstummen Frauen oft. Daher dünnt sich die Zahl der qualifizierten Frauen schon im Lauf des Studiums aus, eine Tendenz, die bei den weiteren Qualifikationen noch zunimmt, so dass sich oft nur wenige Bewerberinnen für eine Professur finden.
Als guten Rat kann man jungen Frauen nur die Ermunterung mit auf den Weg geben, sich nicht beirren zu lassen, wenn sie diesen Weg gehen wollen. Angesichts der wenigen Stellen in der Philosophie bleibt es jedoch ein Wagnis; Alternativen bieten sich ab einem gewissen Alter kaum noch an. Auch mir selbst ist manchmal nur der glückliche Zufall zu Hilfe gekommen. Ein Verlass ist auf ihn nicht und es gibt keine sicheren Rezepte für eine Zukunft in der Philosophie.
August: Heidrun Hartmann
Heidrun Hartmann
Foto: Wilfried Hartmann
Die Botanikerin Heidrun Hartmann war eine leidenschaftliche Forschungsreisende, Autorin und Lehrende der Universität Hamburg.
Heidrun Elsbeth Klara Hartmann, geb. Osterwald, wurde am 5. August 1942 in Kolberg (heute Polen) geboren und starb am 11. Juli 2016 in Hamburg. Heidrun Hartmann war von 1969 bis 2007 im Fachbereich Biologie in der Allgemeinen Botanik an der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), dem Biozentrum Klein Flottbek und dem Botanischen Garten als Forscherin und Dozentin tätig.
Durch ihr Engagement in Forschung und Lehre in über 35 Jahren an der Universität Hamburg (UHH), erhielt sie zu ihren Lebzeiten und nach ihrem Tod zahlreiche Würdigungen und Auszeichnungen, dazu zählt auch als Anerkennung ihrer Entdeckung die Benennung einer Pflanzengattung und zweier Arten nach ihrem Namen.
Mit ihrem Ehemann Wilfried Hartmann, Professor für Vergleichende und internationale Pädagogik an der UHH, hat sie zwei Töchter.
Wissenschaftlicher Werdegang
Nach dem Abitur in Hildesheim im naturwissenschaftlich-mathematischen Zweig studierte Heidrun Hartmann ab 1962 zunächst Lehramt mit dem Unterrichtsfach Biologie an der UHH und wechselte nach einigen Semestern und diversen Sozialpraktika in den Diplomstudiengang Biologie. Sie konnte schon früh Erfahrungen auf verschiedenen Exkursionen und in der Tätigkeit am Biologischen Institut Helgoland sammeln. Außerdem erhielt sie ein von der International Association for the Exchange of Students for Technical Experience (IAESTE) gefördertes Stipendium an der Hebrew University in Jerusalem. Dieser zweimonatige Aufenthalt prägte ihr Interesse an Wüsten- und Steppenregionen nachhaltig.
Nach der erfolgreichen Diplom-Prüfung arbeitete sie als Dozentin am „Institut für Allgemeine Botanik und Botanischer Garten“ der UHH. Nach ihrer Promotion 1973, ihrer Habilitation 1981 und der „venia legendi“ (Lehrbefugnis) für das Fach Allgemeine Botanik, gehörte sie in ihrer Funktion fortan der Gruppe der Professor:innen an. Diese Stelle hatte sie bis zum Eintritt in den Ruhestand 2007 inne.
Die Biologin Heidrun Hartmann mit einem Kollegen auf Feldforschung in Süd-Afrika 1982 (Foto: Prof. Dr. Sigrid Liede-Schumann, Bayreuth).
Forschungsschwerpunkte
Das Forschungsinteresse von Heidrun Hartmann galt der Systematik der sukkulenten Pflanzen. 1969 widmete sie sich der Pflanzenfamilie der Aizoaceae (dt.: Mittagsblumengewächse) aller Kontinente. Sie führte Feldforschungen u.a. in Afrika, Südamerika, dem Süden der USA und den Vereinten Arabischen Emiraten durch. Für Herbararbeiten reiste sie zudem nach China, Großbritannien, Finnland, Schweden sowie in die USA und prägte damit ihr internationales Forschungsprofil. Ihre Forschungsergebnisse zu Taxonomien von Gattungen, Arten und Adaptationsmustern veröffentlichte sie in mehr als 130 Publikationen in vielen Sprachen.
In ihrer Dissertation 1973 revidierte Heidrun Hartmann die Gattung der Mittagsblumengewächse, indem sie die Anzahl der Arten von 100 auf zehn reduzierte. Reaktionen zu ihrer Forschung gab es nicht nur von internationalen Fachgesellschaften, sondern auch außerhalb der Wissenschaft von Sammler:innen und Landwirt:innen. Ein zweibändiges, englischsprachiges Handbuch, dessen zweite vollständig überarbeitete Auflage sie kurz vor ihrem Tod fertigstellte, gilt gegenwärtig als Standardwerk für die Familie der Aizoaceae.
Engagement und Ehrungen
Das Fachwissen auf dem Gebiet sukkulenter Pflanzen zeigte sich in Heidrun Hartmanns Forschungsleistung sowie ihren internationalen Publikationen und Vorträgen in über 23 Ländern. Sie war Mitglied der Linnean Society, der Association for the Taxonomic Study of the Tropical African Flora (AETFAT), der Association Internationale des Amateurs de cactus et Plantes Succulentes (AIAPS) und der Internationalen Organisation für Sukkulentenforschung (IOS). Ihr zu Ehren wurden 1996 die Gattung Hartmanthus, 2012 die Art Gibbaeum hartmannianum und 2018 die Art Delosperma heidihartmanniae benannt. 1977 erhielt sie als exzellente Nachwuchswissenschaftlerin den südafrikanischen Kirstenbosch Jubilee Award und 2007 die schwedische Linné-Medaille. 2012 erhielt sie den von der Fürstin Gracia Patricia von Monaco gestifteten und alle zwei Jahre verliehenen Cactus d‘ Or der IOS. 2015 verlieh ihr außerdem die Cactus and Succulent Society of America (CSSA) ihre höchste Ehrung und ernannte sie zum Fellow.
Die Botanikerin Heidrun Hartmann bei einem Feldaufenthalt in Lesotho 1982. Deutlich erkennbar ist die Tasche, mit zwei Kameras für Fotos und Dias zur Dokumentation ihrer Forschung (Quelle: Prof. Dr. Sigrid Liede-Schumann, Bayreuth).
Die UHH und Heidrun Hartmann
Heidrun Hartmann studierte, lehrte und forschte mit Leidenschaft an der UHH – auch trotz späterer eingeschränkter Mobilität. Sie leitete außerdem mehrere Jahre den Arbeitsbereich Systematik und war Vorsitzende des Promotionsausschusses des Fachbereiches Biologie. Ihre wissenschaftliche Arbeit wurde durch die Bereitstellung von 600 m2 Gewächshausfläche und gärtnerische Betreuung im Botanischen Garten unterstützt. Von ihren zahlreichen Feldaufenthalten brachte Heidrun Hartmann lebende Pflanzen mit.
Seit 1969 hatte Heidrun Hartmann ca. 45.000 Schwarz-Weiß-Fotos und Dias in einer Handbibliothek gesammelt, von denen viele auch digitalisiert vorliegen. Außerdem hat sie eine eigene Datenbank entwickelt, in der ca. 15.000 Datensätze, eigene Sammlungen sowie Arbeiten mit Studierenden und Kolleg:innen gespeichert sind. Die Materialien befinden sich gegenwärtig als Forschungs- und Gedenkbibliothek an Heidrun Hartmann im Botanischen Institut der UHH.
Weitere Informationen
Hamburger Professor:innenkatalog
Forschungsprofil am Arbeitsbereich Biodiversität, Evolution und Ökologie der Pflanzen (BEE)
Juli: Agathe Lasch
Agathe Lasch
Foto: bpk / Staatsbibliothek
Agathe Lasch war nicht nur die erste Professorin an der Universität Hamburg, sondern auch bundesweit die erste Professorin für Germanistik, sowie die Begründerin der Erforschung der mittelniederdeutschen Sprache.
Agathe Lasch wurde am 04. Juli 1879 in Berlin als drittes von fünf Kindern einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Sie begann 1906 ihr Studium der Deutschen Philologie und Skandinavistik in Heidelberg und erhielt im Jahr 1923 als erste Frau in Hamburg und als erste Germanistin bundesweit den Professorinnentitel. Sie lehrte und forschte am Lehrstuhl für Niederdeutsche Philologie an der Universität Hamburg bis sie 1934 nach der Machtergreifung der Nationalsozialist:innen aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus dem Dienst entlassen wurde. Da sie auch von einem Publikationsverbot betroffen war und keine Anstellung im Ausland fand, war ihre wissenschaftliche Karriere damit so gut wie beendet. Sie wurde schließlich im August 1942 gemeinsam mit ihren Schwestern von den Nationalsozialist:innen nach Riga, Lettland, deportiert und verstarb am 18. August 1942 zusammen mit mehr als 1.000 ebenfalls gleichzeitig deportierten Menschen.
Agathe Lasch bleibt dennoch in Erinnerung. Sie war nicht nur die Begründerin der Erforschung der mittelniederdeutschen Sprache und eine der ersten Professorinnen in Deutschland. Als Frau jüdischer Herkunft meisterte sie auch ihren Weg an der Universität und unterstützte dabei Studentinnen als Mentorin und (finanzielle) Förderin.
Forschung, Lehre und Werk
Nach ihrem Studium der Deutschen Philologie und Skandinavistik promovierte Agathe Lasch im Jahre 1909 zum Thema „Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts“ und ging anschließend für sieben Jahre in die USA, um dort am Bryn Mawr (Frauen-)College in Pennsylvania im Department „Allgemeine Germanische Philologie“ zu lehren und zu forschen. Während dieser Zeit spezialisierte sich Agathe Lasch auf die mittelniederdeutsche Sprache und veröffentlichte 1910 das heutige Standardwerk der Germanistik „Mittelniederdeutsche Sprache“. Durch dieses Werk gilt sie auch als Begründerin der Erforschung der mittelniederdeutschen Sprache. Dort und in ihrem gesamten Werk verfolgte Agathe Lasch einen speziellen Forschungsansatz: Bei der systematischen Beschreibung einer Sprache, insbesondere für das Verstehen der Geschichte einer Sprache, ist es ihrer Auffassung nach notwendig, neben der kulturellen Entwicklung der Sprache auch die parallele politisch-historische Entwicklung zu berücksichtigen. Das heißt, dass die Sprachgeschichte mit der politischen Geschichte und den sozialen Faktoren der entsprechenden Zeit zu verknüpfen sind.
Nach ihrer Rückkehr 1917 nach Deutschland arbeitete Agathe Lasch zunächst als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin und später als Leiterin der „Sammelstelle für das Hamburgische Wörterbuch“ am Deutschen Seminar des Hamburgischen Kolonialinstituts. Nach der Gründung der Universität Hamburg, habilitierte sie dort 1919 in Germanischer Philologie und erhielt 1923 als erste Frau in Hamburg und als erste Germanistin bundesweit den Professorinnentitel. Den Lehrstuhl für Niederdeutsche Philologie an der Universität Hamburg erhielt sie jedoch erst drei Jahre später. Agathe Lasch beschäftigte sich vor allem mit zwei großen Projekten innerhalb ihres Forschungsschwerpunkts: Der Erstellung des „Hamburgisches Wörterbuch“ und des „Mittelniederdeutsches Handwörterbuch“. Ihre Werke gelten auch heute noch als zentrale Referenzwerke für eine historische Sprachwissenschaft des Niederdeutschen.
Als die Nationalsozialist:innen 1933 die Macht ergriffen und Dienstverbote für Menschen „nichtarischer Herkunft“ veranlassten, konnte Agathe Lasch trotz ihrer jüdischen Herkunft durch den engagierten Einsatz einiger Studierender und skandinavischer Germanist:innen zunächst noch einige Monate weiter an der Universität Hamburg forschen und lehren. 1934 wurde sie dann vorzeitig pensioniert und erhielt zudem ein Publikationsverbot in Deutschland. Bis zu ihrer Deportation 1942 publizierte sie mit Hilfe ihrer Studierenden, die sie mit Literatur versorgten, noch vereinzelt in skandinavischen Magazinen und bemühte sich auch um eine Anstellung im Ausland, die jedoch aus Deutschland verhindert wurde.
Trotz des abrupten Endes von Agathe Laschs wissenschaftlicher Karriere erreichte sie ihr Ziel, die niederdeutsche Philologie als akademische Disziplin, vor allem in Hamburg, zu etablieren.
Die UHH und Agathe Lasch
Agathe Lasch hinterlässt auch heute noch Spuren in der Stadt Hamburg und an ihrer Universität: In Gedenken an ihre fachliche Kompetenz und Vorreiterinnenrolle im Bereich der niederdeutschen Sprache wird seit 1992 von der Freien und Hansestadt Hamburg alle drei Jahre der Agathe-Lasch-Preis vergeben an Nachwuchswissenschaftler:innen auf dem Gebiet der niederdeutschen Sprache. Zudem gibt es im Sinne ihres besonderen Engagements für Frauen in der Wissenschaft seit 2013 das Agathe-Lasch-Coaching-Programm der Stabsstelle Gleichstellung zur Förderung der Chancengleichheit für Juniorprofessorinnen und Habilitandinnen an der Universität Hamburg. Auch ist der Hörsaal B im Hauptgebäude der Universität nach Agathe Lasch benannt und vor dem Gebäude erinnert ein Stolperstein an sie.
Weitere Informationen
Agathe-Lasch-Coaching plus divers der UHH: www.uni-hamburg.de/gleichstellung/foerderungen/agathe-lasch-coaching
Agathe-Lasch-Preis der FHH: www.agathe-lasch.de/Agathe-Lasch-Preis
Literatur
Kaiser, Christine M. (2011): „... ausnahmsweise eine weibliche Kraft“. Agathe Lasch ˗ die erste Germanistikprofessorin Deutschlands am Germanischen Seminar der Hamburger Universität. In: Mirko Nottscheid/Myriam Richter (Hrsg.): 100 Jahre Germanistik in Hamburg. Traditionen und Perspektiven. In Zusammenarbeit mit Hans Harald Müller und Ingrid Schröder. Berlin/Hamburg, S. 81–105.
Maas, Utz (2018): Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933–1945. Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL): https://zflprojekte.de/sprachforscher-im-exil/index.php/catalog/l/298-lasch-agathe (abgerufen am 29. April 2019).
Möhn, Dieter (2002): Die Geschichte in der Sprache. Die Philologin Agathe Lasch. Vortrag anlässlich der Benennung des Hörsaals B im Hauptgebäude der Universität Hamburg in Agathe Lasch-Hörsaal am 4. November 1999. In: Zum Gedenken an Agathe Lasch (1879–1942?). Reden aus Anlass der Benennung des Hörsaals B im Hauptgebäude der Universität Hamburg in Agathe Lasch-Hörsaal am 4. November 1999. Hamburg, S. 14–27.
Nottscheid, Mirko, Kaiser, Christine M., Stuhlmann, Andreas (Hg.) (2009): Die Germanistin Agathe Lasch (1879–1942). Aufsätze zu Leben, Werk und Wirkung. Nordhausen (zugleich: Auskunft. Zeitschrift für Bibliothek, Archiv und Information in Norddeutschland 29).
Priebe, Anna Maria (2014): Agathe Lasch. In: 19neunzehn – Magazin der Universität Hamburg (3), S. 38–39.
Schröder, Ingrid (2011): „... den sprachlichen Beobachtungen geschichtliche Darstellung geben“ - die Germanistikprofessorin Agathe Lasch. In: Nicolaysen, Rainer (Hg.): Das Hauptgebäude der Universität Hamburg als Gedächtnisort. Mit sieben Porträts in der NS-Zeit vertriebener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Hamburg, S. 81–111 (auch online verfügbar unter: http://hup.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2011/112/chapter/HamburgUP_Hauptgebaeude_Schroeder_Lasch.pdf).
Juni: Ulla Knapp
Ulla Knapp
Foto: Gerhard Will
Frauen endlich in den Fokus nehmen – das prägte Ulla Knapps wissenschaftliches Wirken als erste Inhaberin einer Professur für Ökonomie mit Gender-Orientierung in der Bundesrepublik.
Ulla (Ursula) Knapp wurde 1952 in Velbert in Nordrhein-Westfalen geboren. Nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bochum und der Universität Gießen war sie dort zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft tätig. Ab 1977 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin an der Gesamthochschule Wuppertal, bevor sie 1983 bei Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel (TU Dortmund) promovierte. Ihre Promotion stand unter dem Titel „Vermarktung der Arbeit und weiblicher Lebenszusammenhang. Hausarbeit und geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt in Deutschland bis zum Ende der Weimarer Republik“.
Im Anschluss an die Promotion wechselte sie aus der akademischen in die politische Sphäre und wurde Referentin u.a. für Gleichstellungspolitik, Arbeitsmarkt im Wirtschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, wo sie ab 1991 das Referat als Ministerialrätin leitete. Im selben Jahr wurden Ulla Knapp und ihr Mann Eltern eines Sohnes. Im darauffolgenden Jahr wurde sie auf die erste Frauenforschungsprofessur an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) in Hamburg berufen. Als die HWP 2005 in die neu gegründete Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg (UHH) eingegliedert wurde, wurde auch Ulla Knapps Professur Teil der Universität. Insgesamt 18 Jahre lehrte und forschte Ulla Knapp im Rahmen dieser Professur. Im Oktober 2010 verstarb Ulla Knapp nach langer schwerer MS-Erkrankung im Alter von 58 Jahren.
Forschung und Lehre an der HWP
Ihre Berufung an die HWP im Wintersemester 1992/93 als Professorin für Volkswirtschaftslehre mit einer Gender-Orientierung hatte auch eine wichtige strukturelle Bedeutung sowohl für das Fachgebiet, als auch für die Hochschule. Die Ausrichtung dieser Professur auf das Thema „Ökonomie des Geschlechterverhältnisses" konnte gegen Widerstand aus der Wissenschaftsbehörde durchgesetzt werden und war wegweisend für den Einbezug der Genderperspektive in die (ökonomische) Wissenschaft.
In ihrer Forschung setzte sich Knapp vor allem mit dem Zusammenwirken von Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Geschlechterverhältnissen aus makroökonomischer Sicht auseinander. Dieser Schwerpunkt auf die ökonomischen Bedingungen für Frauen spiegelte sich auch in ihren Vorlesungen „Arbeitsmarkt und Beschäftigung“ und „Ökonomik des Geschlechterverhältnisses“ wider.
Ihre wissenschaftliche Arbeit war geprägt von ihrem leidenschaftlichen Kampf gegen Diskriminierung von Frauen. In der Auseinandersetzung mit dem stark männlich geprägten Fachkollegium der Volkswirtschaft forderte Ulla Knapp die eigene Fachdisziplin bisweilen durch provokante Titel ihre Veröffentlichungen heraus: „Eine Einführung in die Volkswirtschaftslehre für Nicht-Mathematiker, Frauen und andere Minderheiten“.
Ulla Knapp war es immer ein Anliegen, die althergebrachten wissenschaftlichen Methoden nicht nur zu nutzen, um die fehlende Gleichstellung von Frauen zu analysieren, sondern gleichermaßen die Methoden selbst auf den Prüfstand zu stellen. Dabei offenbarte sie, dass der patriarchale Blick der VWL Frauen ausblendet, indem er nichterwerbsmäßige Arbeit aus ökonomischen Analysen außen vor lässt.
In Forschung und Lehre vertrat Ulla Knapp einen interdisziplinären Ansatz, indem sie verdeutlichte, dass Volkswirtschaftslehre und Soziologie einen gemeinsamen Ursprung haben und wissenschaftlich nicht getrennt voneinander gedacht werden können und gleichzeitig stets eine historische Betrachtung der Verhältnisse vornahm. Als vehemente Kritikerin des Neoliberalismus wehrte sie sich auch konsequent gegen die neoklassische Ausrichtung des Fachgebiets und setzte sich für Methodenvielfalt und das Einbeziehen von ökologischen und feministischen Perspektiven ein. Diese Art der Wissenschaft prägt insbesondere ihren ehemaligen Fachbereich, die heutige Sozialökonomie und wirkt damit auch heute noch in der Universität nach.
Politisches und persönliches Engagement
Ulla Knapp verband ihre wissenschaftliche Arbeit immer auch mit politischer Praxis. Sie war nicht nur eine genaue Beobachterin der neuen sozialen Bewegungen, sondern verstand sich selbst auch als Teil davon. Als solche schrieb sie in verschiedenen Magazinen, um so auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend Einfluss auf die Ausrichtung der Bewegung zu nehmen.
Die enge Verknüpfung von Wissenschaft und Frauenförderung zeigt sich bereits in ihrem Engagement im Arbeitskreis „Wissenschaftlerinnen von NRW“, mit welchem sie sich in den 1980er Jahren für erste Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für erwerbslose Wissenschaftlerinnen einsetzte. Knapps Bemühungen, die Gleichstellung von Frauen auch über institutionelle Maßnahmen zu erreichen, kamen auch darin zum Ausdruck, dass sie sich an der Gesamthochschule Wuppertal mit als eine der ersten für die Einrichtung einer Frauenbeauftragten einsetzte.
Auch in späteren Jahren war sie aktiv daran beteiligt, Frauen und vor allem Wissenschaftlerinnen zusammen zu bringen, um sich gemeinsam zu organisieren. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des Ökonominnen-Netzwerk efas (economics, feminism, and science), welches ihr seit 2000 eine berufspolitische Vernetzung zum wissenschaftlichen Austausch und zur Kooperation bot. Auch hier war sie auf inhaltliche Weiterentwicklung bedacht. So sprach sie sich 2007 dafür aus, sich auf den gemeinsamen Tagungen „mehr über ‚Feminismus global’, also z. B. Frauen in Entwicklungs- und Transformationsländern, Auswirkungen des Finanzkapitalismus etc.“ (Knapp 2007) auszutauschen.
Ihr außerordentliches Engagement, die intensive Betreuung besonders der Studentinnen und ihre Verbundenheit mit dem Fachbereich waren nach Ulla Knapps Tod im Herbst 2010 Anlass für Studierende, Kolleg:innen, ihren Mann und andere Weggefährt:innen, Erinnerungen an sie und an ihr Wirken zusammenzutragen und so als Andenken und Bezugspunkt zu wahren. Entstanden ist daraus ein Sammelband.
Weiterführende Informationen
Knapp, Ulla (1997): Ökofeministisch wirtschaften? In: Ökologisches Wirtschaften Spezial 3/4 1997. oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/download/888/888 (abgerufen am 22.05.2019).
Knapp, Ulla (2007): Steckbrief. In: efas Newsletter Nr. 10/2007. https://efas.htw-berlin.de/wp-content/uploads/newsletter-10.pdf (abgerufen am 28.05.2019).
Unbekannt (2011): Nachruf Ulla Knapp. In: VMP9 – Das Magazin für den Fachbereich Sozialökonomie. https://gdff.de/wp-content/uploads/2014/06/GDFF-VMP9-DasMagazin_Ausg07_2011_04.pdf (abgerufen am 22.05.2019).
Mai: Hedwig Klein
Hedwig Klein
Foto: Staatsarchiv Hamburg
Die Arabistin Hedwig Klein hatte ihre wissenschaftliche Laufbahn noch vor sich, als sie von den Nationalsozialist:innen deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Die wenigen Jahre, in denen sie wissenschaftlich tätig war, sind von großem Engagement für die Islamwissenschaften und insbesondere durch ihre Mitarbeit am großen arabisch-deutschen Wörterbuch geprägt.
Hedwig Klein wurde am 02. September 1911 in Antwerpen (Niederlande) geboren und wuchs ab 1914 in der Hansestadt Hamburg auf. Ihr Vater, ein ungarischer Kaufmann, fiel als Soldat des Ersten Weltkriegs im Jahr 1916 an der Ostfront. Zusammen mit ihrer älteren Schwester, der Mutter und Großmutter verlebte Klein ihre Kindheit und Jugend in Hamburg und besuchte ab 1918 die Israelitische Höhere Mädchenschule. Ihre Reifeprüfung absolvierte sie im Frühjahr 1931 und schrieb sich noch zum Sommersemester an der Universität Hamburg für ein Studium der Islamwissenschaft, Semitistik (Vergleichende Sprachwissenschaft der semitischen Sprachen) und der Englischen Philologie ein. Die Machtübernahme der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und die zunehmende Diskriminierung insbesondere von Jüdinnen und Juden hatten auch für Hedwig Klein spürbare Konsequenzen. Der Runderlass von 1937 führte zum Promotionsverbot für Menschen jüdischen Glaubens mit deutscher Staatsangehörigkeit. Dennoch gelang es ihr, mit Hilfe des Dekans der Philosophischen Fakultät Wilhelm Gundert und ihres Doktorvaters Rudolf Strothmann ihre Promotion, eine kritische Edition einer arabischen Handschrift aus der Frühgeschichte, anzumelden und diese mit dem Prädikat „ausgezeichnet“ erfolgreich zu bestehen. Allerdings verweigerte der neu ernannte Dekan Fritz Jäger Ende 1938 Hedwig Klein die Imprimatur und die Verleihung der Doktorwürde aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. Klein verließ aufgrund der sich zuspitzenden Verfolgung von jüdischen Menschen und der aussichtslosen Situation auf eine Anstellung am 18. August 1939 Deutschland. Mit der Unterstützung Carl Rathjens versuchte sie, mit dem Schiff nach Indien zu gelangen, wo Rathjens ihr zu einer Stelle in einem arabistischen Projekt verholfen hatte. Aufgrund des nahenden Weltkriegs wurden aber am 27. August 1939 alle deutschen Schiffe in ihre Heimathäfen zurückbeordert – unter diesen kehrte auch das Schiff von Hedwig Klein nach Hamburg zurück.
Wissenschaftliches Engagement
Nach der gescheiterten Auswanderung nach Indien gelang es Klein, mit der Unterstützung des Arabistiklehrers Arthur Schaade im August 1941 an den Vorarbeiten für das „Große Arabisch-deutsche Wörterbuch“ unter Leitung von Hans Wehr mitzuwirken. Das Wörterbuch sollte der späteren Übersetzung des Buches „Mein Kampf“ von Adolf Hitler dienen. Klein verfasste für das Wörterbuch Einträge über die Wortbedeutungen einzelner arabischer Begriffe, wofür sie im Gegenzug jeweils zehn Pfennig pro Definition erhielt. Sowohl Schaade als auch Wehr setzten sich für den Verbleib der jüdischen Arabistin ein und verhinderten durch Hervorhebung der Bedeutung von Klein für das Projekt ihre Deportation nach Riga. Ihre Schwester hingegen konnte der Deportation nicht entgehen und wurde von den Nationalsozialist:innen ermordet. Klein arbeitete zwar weiter an dem Wörterbuch mit, jedoch verschlechterte sich ihre Lebenslage zunehmend. Im Jahr 1942 wurden sie, ihre Mutter und ihre Großmutter ins Hamburger Judenhaus überführt und ihrer Wohnung enteignet. Ihr zweiter Deportationsbefehl konnte nicht verhindert werden. Am 11. Juli 1942 wurde Hedwig Klein zusammen mit tausend anderen Menschen aus Hamburg direkt nach Auschwitz deportiert. Wann und wie Hedwig Klein ermordet wurde, ist nicht rekonstruierbar.
Posthume Anerkennung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sich Carl Rathjens für die Veröffentlichung ihrer Doktorarbeit und die posthume Verleihung der Doktorwürde ein. Am 15. August 1947 wurde Hedwig Klein offiziell zum Doktor der Philosophie erklärt. Das „Arabische Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart“, an welchem Klein bis zu ihrer Deportation mitwirkte, wurde erst 1952 veröffentlicht. Das arabische Wörterbuch, welches kurz als der „Wehr“ bezeichnet wird, ist heute das meistgenutzte Arabisch-Lexikon weltweit. Hedwig Klein wird hierbei lediglich als Mitwirkende im Vorwort zur ersten Auflage genannt. Ihr weiteres Schicksal bleibt unerwähnt.
Am 22. April 2010 ließ die Universität Hamburg zum Gedenken an Hedwig Klein und neun weiterer NS-Opfer sogenannte „Stolpersteine“ vor dem Hauptgebäude an der Edmund-Siemers-Allee 1 verlegen.
Literatur
Freimark, Peter (1991): Promotion Hedwig Klein – zugleich ein Beitrag zum Seminar für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients. In: Eckhart Krause, Ludwig Huber & Holger Fischer (Hrsg.). Hochschulalltag im »Dritten Reich«. Die Hamburger Universität 1933-1945. Teil II: Philosophische Fakultät Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät (Bd.3). Hamburg: Dietrich Reimer Verlag. S. 851–859.
Maas, Utz (2018): Klein, Hedwig. Online verfügbar unter: http://zflprojekte.de/sprachforscher-im-exil/index.php/catalog/k/282-klein-hedwig.
Universität Hamburg (2010): Stolpersteine an der Universität Hamburg verlegt. Online verfügbar unter: www.hamburg.de/wissenschaftslandschaft-hamburg-aktuell/2221212/stolpersteine-uhh-22-04-2010.html.
Buchen Stefan (2018): Die Jüdin Hedwig Klein und „Mein Kampf“. Die Arabistin, die niemand kennt. Online verfügbar unter: https://de.qantara.de/inhalt/die-j%C3%BCdin-hedwig-klein-und-mein-kampf-die-arabistin-die-niemand-kennt.
April: Anna Siemsen
Anna Siemsen
Foto: AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung
Anna Siemsen war mit ihrer Bildungskarriere und ihrem politischen Engagement eine einzigartige Frau ihrer Zeit.
Anna Siemsen wurde am 18. Januar 1882 im Dorf Mark in Westfalen geboren. Nach erfolgreicher Promotion und Staatsexamen war sie einige Jahre als Gymnasiallehrerin tätig, bevor sie in die Bildungsverwaltung wechselte. 1923 wurde sie zunächst als Dozentin an die Friedrich-Schiller-Universität Jena berufen, wo sie später eine Honorarprofessur für Pädagogik erhielt. Neben ihren erziehungswissenschaftlichen Tätigkeiten war Anna Siemsen stets politisch engagiert, war Mitglied in der SPD und wirkte an verschiedenen sozialistischen Zeitschriften mit.
1933 emigrierte sie in Folge des Nationalsozialismus in die Schweiz. Dort erlangte sie die schweizerische Staatsbürgerschaft und Arbeitserlaubnis und konnte sich weiterhin politisch betätigen. Im Exil arbeitete sie darauf hin, Deutschland nach dem Ende des NS-Regimes beim Aufbau eines demokratischen Bildungswesens zu unterstützen.
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1946 war sie als Dozentin an der Universität Hamburg tätig und engagierte sich für die Friedensbewegung, die Völkerverständigung und die europäische Einigung. Anna Siemsen starb am 22. Januar 1951 in Hamburg.
Lehre und Werk
Anna Siemsen besuchte zunächst eine höhere Mädchenschule in Hamm. Diese musste sie jedoch aus Krankheitsgründen verlassen. Auf ihr Lehrerinnenexamen bereitete sie sich selbstständig vor und bestand es im Jahr 1905. Später promovierte sie in Bonn mit Auszeichnung und erzielte auch im Staatsexamen für höhere Schulen ein ausgezeichnetes Ergebnis. Danach arbeitete Anna Siemsen zehn Jahre lang als Gymnasiallehrerin.
1920 wurde sie als erste weibliche Beigeordnete für Erziehungsfragen der Stadt Düsseldorf ernannt und arbeitete in dieser Funktion an einer Reform des Fach- und Berufsschulwesens, ein Gebiet, für das sie sich auch in den kommenden Jahren weiter einsetzte. Nach einer Zeit als Oberschulrätin in Berlin wurde sie als Dozentin nach Thüringen berufen, mit der Aufgabe, das höhere Schulwesen zu organisieren. Damit verbunden war auch eine Honorarprofessur für Pädagogik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Als das sozialistisch geführte Ministerium Thüringens durch die Reichswehr aufgelöst wurde, wurde Anna Siemsen 1932 die Honorarprofessur entzogen. Sie emigrierte in die Schweiz und richtete dort unter anderem Kurse für die Lehrer:innenausbildung ein. Sie war sich früh bewusst, dass Deutschland nach Ende des Nationalsozialismus auf neue Lehrkräfte angewiesen sein würde. Bei der Entwicklung eines demokratischen Bildungswesens für Deutschland wollte sie mitwirken.
1946 kehrte Anna Siemsen zurück nach Deutschland. Mit dem Versprechen, als Oberstudienrätin unter Anrechnung ihrer Dienstjahre angestellt zu werden, begann sie im Jahr darauf ihre Tätigkeit an der Universität Hamburg. Verschiedene Gründe – darunter der angespannte Haushalt der Stadt Hamburg, Anna Siemsens hohes Alter und ihre schweizerische Staatsbürgerschaft – führten dazu, dass die versprochene Stelle nicht umgesetzt werden konnte. So erhielt sie zwar die Leitung der Notausbildungslehrgänge für Volkshochschullehrer:innen und einen Lehrauftrag für Europäische Literatur, zu einer erneuten Professur kam es jedoch nicht mehr.
Politisches und Engagement
Als sozialistische Pädagogin betrachtete Anna Siemsen Erziehung als politisch - untrennbar von gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Dabei nahmen die besonderen Probleme von Frauen – wie die Mehrfachbelastung durch Hausarbeit und lebensnotwendige Erwerbsarbeit – einen großen Stellenwert in ihren Publikationen ein.
Da kaum eine ihrer Schriften nach ihrem Tod neu aufgelegt wurde, gerieten Anna Siemsens pädagogische Werke weitgehend in Vergessenheit. Dabei war sie mit ihrer Bildungskarriere und der ihr übertragenen Professur eine einzigartige Frau ihrer Zeit.
Nicht nur in der Pädagogik, auch politisch war Anna Siemsen sehr engagiert. Dabei positionierte sie sich stets links, als Sozialdemokratin und Sozialistin.
Nach dem Ersten Weltkrieg trat sie in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland ein (USPD), dann in die SPD, für die sie von 1928 bis 1930 sogar im Reichstag saß. Im Kampf gegen den Faschismus trat Anna Siemsen 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) bei und nahm dort eine wichtige Rolle im sozialdemokratischen, pazifistischen Flügel ein. Neben dem parteipolitischen Engagement wirkte sie als Autorin und Redakteurin an verschiedenen sozialistischen Zeitschriften mit und gehörte dem Vorstand der Deutschen Liga für Menschenrechte sowie der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit an.
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland setzte sich Anna Siemsen als Mitglied der SPD und Pazifistin für die Völkerverständigung, demokratische Prinzipien und die europäische Einigung ein.
Die UHH und Anna Siemsen
Trotz der teilweise schwierigen Beziehung zwischen der Universität Hamburg und Anna Siemsen erinnert noch heute der Hörsaal der Erziehungswissenschaften – der Anna-Siemsen-Hörsaal – an die Pädagogin. Im Jahr 2005 wurde der Hörsaal während eines Fakultätsfestes nach umfangreichen Sanierungen feierlich benannt und Anna Siemsens pädagogisches Verdienst gepriesen.
Foto: UHH/Möller
Weitere Informationen
Portrait über Anna Siemsen in der Serie Namenspatenschaft der 19neunzehn
Eintrag zu Anna Siemsen in der Hamburger Frauenbiografien-Datenbank
März: Asta Hampe
Asta Hampe
Asta Hampe 1935 Quelle: DAB
Asta Hampe steht für eine Generation von Frauen, die fast ein ganzes Jahrhundert miterlebt haben und die entgegen der damals gängigen Rollenvorstellungen ihren eigenen Weg gegangen sind. Die Universität Hamburg war dabei eine entscheidende Station auf ihrem Lebensweg.
Asta Hampe, geboren am 24. Mai 1907 in Helmstedt, entwickelte früh ein großes technisches Interesse, da sie schon als Kleinkind ihren Vater und ihren Onkel in die familiäre Wollspinnerei und Seidenfabrik begleiten durfte. In der Fabrik arbeiteten hauptsächlich Frauen. Zudem waren es die Jahre der ersten großen technischen Erfindungen, wie die Rundfunktechnik oder die erste Atlantik-Überquerung eines Zeppelins. Schon während der Schulzeit bastelte sich Asta Hampe ein eigenes Radio. Dank der Unterstützung ihres Onkels und Großvaters, die ihr Studium finanzierten, konnte sie ein Studium der Ingenieurswissenschaften an der Technischen Hochschule München beginnen. Ihre weitere berufliche Laufbahn brachte Asta Hampe quer durch das Land. Um ihr Englisch zu verbessern, reiste sie außerdem 1929 und 1935 nach London, Sheffield und Exeter. Nach Ende ihres Berufslebens kehrte sie 1974 wieder nach Hamburg zurück. Hier starb sie mit 96 Jahren am 22. Oktober 2003.
Studium und erste Stationen des Berufslebens
Im Wintersemester 1927/28 waren etwa 500 Männer und fünf Frauen im ersten Semester an der Technischen Hochschule München eingeschrieben. In den ersten Wochen wurden die jungen Frauen jedes Mal mit Getrampel ‚begrüßt‘, sobald sie den Hörsaal betraten. Als sie nach dem Vorexamen an die Technische Hochschule Berlin wechselte, um Fernmeldetechnik zu studieren, besserten sich die Studienbedingungen für Frauen. Nichtsdestotrotz waren auch dort nur drei Frauen unter insgesamt 200 bis 300 Studierenden. Während des Studiums hatte sie erste Kontakte zum Deutschen Akademikerinnenbund (DAB), der in Berlin ein Studentinnenheim betrieb.
Nach dem Studium arbeitete Asta Hampe für ein Jahr in der Krupp’schen Versuchsanstalt, bevor sie als Physikerin nach Hamburg an das Barmbeker Krankenhaus wechselte. Im Zuge des aufkommenden Nationalsozialismus wurde es für Frauen in der Wissenschaft zunehmend schwierig ihren Beruf auszuüben. Nach nur sechs Monaten wurde Asta Hampe 1933 gekündigt mit der Begründung, dass Physik kein Frauenberuf sei. In den darauffolgenden eineinhalb Jahren arbeitete sie als Angebotsingenieurin bei einer Exportfirma.
Anschließend wurde sie Leiterin eines Versuchslabors bei Philipps-Valvo. Asta Hampe wollte die Stelle verlassen und ihr war bewusst, dass man sie wegen der Bedeutung als kriegswichtiges Unternehmen nur gehen lassen würde, wenn sie eine andere Stelle hätte. Sie bewarb sich deswegen 1939 als Physikerin bei der Kriegsmarine, bekam diese Stelle auch und konnte so Philipps-Valvo verlassen. Sie erhielt eine Dienstverpflichtung zum Nachrichtenmittel-Versuchs-Kommando in Kiel. Da Frauen bei der Marine nicht auf die Schiffe durften, musste Asta Hampe im Labor bleiben. Ihre Arbeiten wurden von Männern auf den Schiffen getestet. Vermutlich für ihre Arbeit in der Kriegsmarine trat Asta Hampe 1939 der NSDAP bei.
Richtungswechsel
Schließlich zog es Asta Hampe aus persönlichen Gründen zurück nach Hamburg, wo sie 1942 an der Universität Hamburg ein Studium der Volkswirtschaft aufnahm. Fünf Jahre später, 1947, promovierte sie zum Thema „Der Einfluss der kriegsbedingten Gebäudezerstörung auf den städtischen Bodenkredit“.
Ab 1951 wurde Asta Hampe Lehrbeauftragte für Statistik an der Universität Hamburg und Assistentin von Prof. Dr. Albert von Mühlenfels. Nach ihrer Habilitation im Jahr 1957 erhielt Asta Hampe eine außerordentliche Professur. Sechs Jahre später wurde sie an den neu geschaffenen Lehrstuhl „Wirtschaftsstatistik“ an der Philipps-Universität Marburg berufen. So bekam sie die Gelegenheit, dieses Fach neu aufzubauen und prägte damit eine ganze Generation von Wirtschaftswissenschaftler:innen. Von 1968 bis 1969 war sie Dekanin der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Marburg.
Engagement
Zeitlebens engagierte sich Asta Hampe für die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft. Als Studentin in Berlin gründete sie die Gemeinschaft Deutscher Ingenieurinnen. Diese trat 1931 dem Deutschen Akademikerinnenbund (DAB) bei. In Hamburg war sie 1947 Gründungsmitglied der Hamburger Gruppe des Deutschen Akademikerinnenbunds. Im DAB leitete sie von 1958 bis 1963 und 1976 bis 1981 den Hochschulausschuss. Bis ins hohe Alter besuchte sie Veranstaltungen des Deutschen Akademikerinnenbundes. Schließlich war sie Initiatorin und Mitbegründerin des 1990 gegründeten Deutschen Hochschullehrerinnenbundes. Darüber hinaus war Asta Hampe auch Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und ständiges Mitglied im Wohnungswirtschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wohnungsbau, bis dieses aufgelöst wurde.
Weitere Informationen
Hamburger Frauenbiografien: Asta Hampe
Datenbank Internationale Netzwerke von Akademikerinnen
Literatur
Maul, Bärbel (2002): Akademikerinnen in der Nachkriegszeit. Ein Vergleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Frankfurt, S. 422.
Von der Lippe, Peter (1977): Asta Hampe 70 Jahre. In: Allgemeines Statistisches Archiv 61, S. 211–212.
Februar: Margaretha Rothe
Margaretha Rothe
Foto: Gunther Staudacher
Margaretha Rothe war Medizinstudentin der Universität Hamburg und Widerständlerin in der „Weißen Rose Hamburg“ gegen das Nationalsozialistische Regime.
Margaretha Rothe, geboren am 13. Juni 1919, begann 1939 nach ihrem Abitur an der Lichtwarkschule in Hamburg-Winterhude ein Medizinstudium an der Universität Hamburg. Neben ihrem Interesse an der Medizin nahm sie mit Traute Lafrenz an einem Lesekreis der NS-Gegnerin Erna Stahl teil. Während ihres Studiums in Hamburg traf sie auf oppositionelle Kommiliton:innen und regimekritische Ärzt:innen, mit denen sie in kulturellen und politischen Gesprächskreisen diskutierte.
Durch einen Gestapo-Spitzel wurden die Aktivitäten um den Hamburger Widerstandskreis jedoch 1943 aufgedeckt und über 30 Personen festgenommen – darunter auch Margaretha Rothe. Nach ihrer Festnahme wurde sie wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“, „Feindbegünstigung“, „Wehrkraftzersetzung“, „Rundfunkverbrechen“ und „Verabredung eines Sprengstoffverbrechens“ angeklagt, verhaftet und zwischen Gefängnissen in Hamburg, Cottbus und Leipzig verlegt.
Margaretha Rothe starb aufgrund der katastrophalen Haftbedingungen am 15. April 1945 im Alter von 26 Jahren in Leipzig. Sie wurde erst auf dem Südfriedhof Leipzig und nach Kriegsende in Hamburg-Ohlsdorf beerdigt.
Engagement
Margaretha Rothe war gesellschaftlich und politisch engagiert. Um ein Zeichen gegen die eingeschränkte Meinungsfreiheit des Nationalsozialismus zu setzen, verteilte sie Flugblätter mit Sendezeiten und Frequenzen ausländischer Rundfunksender. Diese hatte sie mit Hilfe eines Druckkastens hergestellt. Außerdem äußerten sich die Flugblätter kritisch gegen das nationalsozialistische Regime und den Krieg.
1941 schloss sich Margaretha Rothe der Gruppe um Hans Leipelt und Reinhold Meyer an, die später in der Forschung als „Weiße Rose Hamburg“ bezeichnet wurde. In den geheimen Treffen der Studierenden wurde über verbotene Literatur, politische Tagesfragen und Militär gesprochen. Durch vernetzte Freundes- und Bekanntenkreise bestanden Kontakte nach München zu den Geschwistern Scholl, sodass die Flugblätter der „Weißen Rose“ bis nach Hamburg kamen.
Margaretha Rothe war eine aufgeschlossene junge Frau, ehrgeizige Schülerin und Studentin der UHH, die durch ihre Taten Menschlichkeit und Mut bewies. Sie appellierte an das Verantwortungsgefühl ihrer Mitmenschen, stand für bürgerliches Engagement und eine offene Gesellschaft.
Erinnerung an Margaretha Rothe
Der Name Margaretha Rothe ist bis heute im Hamburger Stadtbild präsent. Der Margaretha-Rothe-Weg in Hamburg Niendorf (seit 1982), das Rothe-Geussenhainer-Haus auf dem Gelände des UKE (seit 1987) und das Margaretha-Rothe-Gymnasium in Hamburg-Barmbek (seit 1988) erinnern an ihr Engagement.
An der damaligen Buchhandlung „Agentur des Rauhen Hauses“ am Jungfernstieg erinnert seit 1984 eine Gedenktafel an die Aktivist:innen, die sich im Keller des Gebäudes zu Gesprächen trafen. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof wurde im Garten der Frauen ein künstlerischer Gedenkstein für Margaretha Rothe errichtet. Außerdem erinnern im Hamburger Stadtgebiet insgesamt vier Stolpersteine an ihr Wirken.
Stolperstein zur Erinnerung an Margaretha Rothe. Foto: NordNordWest
Das ehemalige „Zuchthaus Cottbus“, in dem auch Margaretha Rothe untergebracht war, wurde 2013 zu einer Gedenkstätte umgewandelt, in dem Originaldokumente wie Briefe und Studienbücher ausgestellt werden. In Hamburg-Niendorf befindet sich das Mahnmal „Tisch mit 12 Stühlen“, welches für die Hamburger Widerstandskämpfer:innen steht, die vom NS-Regime ermordet wurden.
Die UHH und Margaretha Rothe
Auch an der Universität Hamburg wird an Margaretha Rothe erinnert. 1971 wurde eine Bodenplatte im Audimax eingeweiht, die an das Engagement der Medizinstudentin und ihrer Kommilton:innen im Widerstand erinnert. Ein Studierendenwohnheim des Studierendenwerks in Winterhude trägt ebenfalls ihren Namen. Am 01. Dezember 2016 wurde die Anlage „Paul-Sudeck-Haus“ mit einem Festakt in „Margaretha-Rothe-Haus“ umbenannt. Die Umbenennung wurde von den Bewohner:innen initiiert, die damit ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt setzen wollten.
Gedenktafel für die Widerstandskämpfer:innen gegen den Nationalsozialismus im Audimax der Universität Hamburg. Foto: UHH
Weitere Informationen
Stolpersteine der Stadt Hamburg und Biographisches
Gedenkstätten im Stadtraum Hamburg
Literatur
Groschek, Iris: Rothe, Margaretha. In: Hamburgische Biografie Bd. 4. Hamburg 2008, S. 294f.
Schneider, Nina: Hamburger Studenten und Die Weiße Rose: Widerstehen im Nationalsozialismus. Begleitheft zur Ausstellung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. Hamburg 2003.
Staudacher, Ingeborg/ Staudacher, Gunther (Hrsg.): Margaretha Rothe, eine Hamburger Studentin und Widerstandskämpferin. Balingen 2010.
Staudacher, Ingeborg: Margaretha Rothe: Opposition im Dritten Reich. Balingen 2003.
Januar: Magdalene Schoch
Magdalene Schoch
Foto: Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte
Magdalene Schoch war nicht nur die erste habilitierte Juristin der Universität Hamburg, sondern ganz Deutschlands.
Magdalene Schoch, geboren am 15. Februar 1897 in Würzburg, begann 1916 an der Universität Würzburg als eine der ersten Frauen in Deutschland ein rechtswissenschaftliches Studium. Ihr Interesse galt neben der Rechtswissenschaft auch der Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte. Sie war politisch interessiert und engagierte sich in der studentischen Selbstverwaltung. Vier Jahre später schloss Magdalene Schoch ihr Studium mit einer Promotion ab. Als sie schließlich ihrem Mentor Albrecht Mendelssohn Bartholdy an die Universität Hamburg folgte, wurde sie in der Hansestadt schnell heimisch und prägte die Universität maßgeblich.
Die zweite Hälfte ihres Lebens verbrachte Magdalene Schoch in den USA, wohin sie in Folge des Nationalsozialismus 1937 emigrierte und eine zweite berufliche Karriere verfolgte. Dort verstarb sie am 6. November 1987 als eine bemerkenswerte Frau, die sich ihr ganzes Leben in einer Männerwelt behauptete und so ein Vorbild für das Selbstverständnis von Frauen im Beruf wurde.
Forschung und Lehre
An der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg trug Magdalene Schoch in den 1920er-Jahren entscheidend zur Internationalisierung und Völkerverständigung der Universität und der Stadt Hamburg bei. Sie arbeitete nicht nur als Assistentin für Albrecht Mendelssohn Bartholdy, sondern auch an dem von ihm 1923 gegründeten Institut für Auswärtige Politik. Dieses war zu diesem Zeitpunkt eines der ersten Institute weltweit, das sich mit der Erforschung von Friedensbedingungen befasste und so maßgeblich an der Entstehung der Politikwissenschaft in Deutschland beteiligt. Magdalene Schoch wurde 1932 zur Direktorin der Rechtsabteilung des Instituts ernannt. Durch Magdalene Schoch und Albrecht Mendelssohn Bartholdy war die Universität Hamburg die erste deutsche Universität, an der englisches und US-amerikanisches Recht gelehrt wurde.
Gemeinsam mit Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Kurt Sieveking, Erich M. Warburg und Otto Laeisz war Magdalene Schoch ebenfalls Gründungsmitglied im Vorstand der „Gesellschaft der Freunde der Vereinigten Staaten“. Sie gab die zweisprachige Zeitschrift der Gesellschaft, die „Hamburg-Amerika-Post“, heraus, die der Völkerverständigung zwischen den USA und Deutschland dienen sollte. Daneben wurde Magdalene Schoch 1930 Leiterin der im Neuen Rechtshaus gegründeten Amerika-Bibliothek.
Im November 1932 habilitierte sie sich im Internationalen Privat- und Prozessrecht, Rechtsvergleichung und Zivilprozessrecht. Auf diese Weise wurde Magdalene Schoch zur ersten habilitierten Juristin in ganz Deutschland.
Nachdem ihre akademische Karriere durch den Nationalsozialismus zu einem abrupten Ende kam, gelang es Magdalene Schoch nach ihrer Emigration in die USA eine zweite berufliche Karriere zu beginnen. Auf eine schlecht bezahlte Stelle als Forschungsassistentin an der Harvard Law School folgten Anstellungen als Expertin für deutsches Recht im Office of Economic Welfare und in der Foreign Economic Administration. Anschließend war sie als Sachverständige für Internationales und Ausländisches Recht im US-Justizministerium beschäftigt, in dem sie später Abteilungsleiterin wurde. Bis zu ihrem Tod war sie als Gutachterin und Anwältin tätig.
Engagement
Neben diesen aktiven akademischen und beruflichen Tätigkeiten war Magdalene Schoch auch gesellschaftlich sehr engagiert. Als Tochter einer politisch aktiven Mutter erwachte ihr Interesse an frauenpolitischen Themen sehr früh. Während ihres Studiums hatte sie viele sozialdemokratische und jüdische Freund:innen und nahm an zahlreichen Demonstrationen teil. Später war sie Mitglied und Initiatorin der Hamburger Frauenfront gegen den Nationalsozialismus und ab 1931 Gründungspräsidentin des ersten deutschen Zonta-Clubs in Hamburg.
Die nationalsozialistische Machtübernahme sorgte für einen Einschnitt in Magdalene Schochs Leben. Nachdem Albrecht Mendelssohn Bartholdy 1934 im Zuge der Gleichschaltung der Universität nach England auswandern musste, hatte sie einen zunehmend schweren Stand an der Fakultät. Ihre Arbeit wurde sukzessive von den Nationalsozialisten zerstört. So wurde das Institut für Auswärtige Politik zu einem Propagandainstrument des Nationalsozialismus, die „Hamburg-Amerika-Post“ wurden eingestellt, die „Gesellschaft der Freunde der Vereinigten Staaten“ aufgelöst und der Zonta-Club musste sich aus dem Vereinsregister streichen lassen, so dass sich die Mitglieder nur noch heimlich treffen konnten. Als alle Mitarbeitenden der Universität aufgefordert wurden, der NSDAP beizutreten, weigerte sich Magdalene Schoch. Im Sommer 1937 kündigte sie und emigrierte im Oktober in die Vereinigten Staaten. Im amerikanischen Exil organisierte Magdalene Schoch 1946 als Präsidentin des Zonta-Clubs Arlington eine umfassende Verschickung von Care-Paketen nach Hamburg.
Die UHH und Magdalene Schoch
An der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg geriet Magdalene Schoch lange in Vergessenheit. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Universität fand Magdalene Schoch wieder Erwähnung. Im Jahr 2012 fand ihr zu Ehren ein Festakt statt. Der Hörsaal J im Hauptgebäude der Universität wurde ebenfalls nach ihr benannt. Inzwischen bietet das Gleichstellungsreferat der Fakultät Rechtswissenschaft jedes Jahr ein Magdalene-Schoch-Mentoring für Nachwuchswissenschaftlerinnen an und verleiht den Magdalene-Schoch-Preis.
Weitere Informationen
Magdalene-Schoch-Preis der Rechtswissenschaftlichen Fakultät
Literatur
Kopitzsch, Franklin und Brietzke, Dirk, 2008: Magdalene Schoch. In: Kopitzsch, Franklin und Brietzke, Dirk, (Hrsg.), Hamburgische Biografie. Personenlexikon. Göttingen 2008, Band 4, S. 309-310.
Lembke, Ulrike und Valentiner, Dana-Sophia, 2012: Magdalene Schoch – die erste habilitierte Juristin in Deutschland. In: Hamburger Rechtsnotizen, 2012, S. 93-100.
Nicolaysen, Rainer, 2006: Für Recht und Gerechtigkeit. Über das couragierte Leben der Juristin Magdalene Schoch (1897-1987). In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 92, 2006, S. 113-143.